# taz.de -- Polizeiausbilder Harold Selowski im Interview: "Der Schlagstock bri… | |
> Seit 40 Jahren erprobt die Berliner Polizei Konzepte, wie sie mit | |
> gewaltsamen Situationen bei Demonstrationen umgeht. Nicht nur mit Erfolg, | |
> sagt Polizeiausbilder Harold Selowski. | |
Bild: Polizisten nehmen Demonstranten bei der Besetzung des ehemaligen Flughafe… | |
taz: Herr Selowski, Sie sind bei der Polizei Fachbereichsleiter für | |
politische Bildung. Was geben Sie Polizeischülern mit auf den Weg? | |
Harold Selowski: Lest Zeitung! Beobachtet euer gesellschaftliches Umfeld, | |
denn ihr seid die sichtbaren Repräsentanten des Staates! Ihr habt große | |
Eingriffsbefugnis bis hin zum Schusswaffengebrauch. Achtet und schützt die | |
Grundrechte! Geht sorgsam mit Zwangsmitteln um! Das wichtigste | |
Einsatzmittel überhaupt ist die Sprache. Befolgt bei | |
Demonstrationseinsätzen immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit | |
beziehungsweise der Deeskalation! | |
Wie erklären Sie einem Schüler, was Deeskalation bedeutet? | |
Der Begriff kommt aus der Militärpolitik. Ich fange mit dem Wortsinn an: | |
Descendere ist lateinisch und heißt herabsteigen, escendere emporsteigen. | |
Beides zugleich bedeutet, einen Spagat zu machen. Polizeiliche Deeskalation | |
ist janusköpfig: absolute Zurückhaltung der Polizei bei friedlichem | |
Versammlungsverlauf und konsequentes, rasches Eingreifen, wenn von | |
Demonstrationsteilnehmern Gewalt ausgeübt wird. | |
Seit wann verwendet die Polizei den Begriff? | |
Seit Anfang der 80er-Jahre. Der Begriff gelangte durch die | |
Abrüstungsverhandlungen zwischen Sowjetunion und USA zur Polizei. Das war | |
die Zeit der großen Friedensdemonstrationen. Die Polizei habe grundsätzlich | |
versammlungsfreudig zu reagieren, hat das Bundesverfassungsgericht 1985 im | |
richtungsweisenden Brokdorf-Urteil festgestellt. Das Urteil besagt, dass | |
das Versammlungsrecht eines der wesentlichsten Grundrechte für Minderheiten | |
ist, ihre Anliegen an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Polizei habe alles | |
dafür zu tun, dass das Versammlungsrecht friedlich und ohne Waffen in | |
Anspruch genommen werden kann, auch wenn ein kleiner Teil der Teilnehmer | |
gewalttätig ist. | |
Sie sind seit 41 Jahren Polizist. Wenn Sie das Demonstrationsgeschehen | |
Revue passieren lassen: Was war aus Ihrer Sicht die schwierigste Zeit? | |
Meiner Meinung nach war es 1968/69 am schwierigsten. Ich war gerade als | |
Auszubildender zur Bereitschaftspolizei gekommen und kann mich noch lebhaft | |
erinnern, wie ein Lehrer der Polizeischule kreidebleich in den Unterricht | |
kam und sagte: "Auf die Galionsfigur der Studentenbewegung Rudi Dutschke | |
ist ein Attentat verübt worden. Das kann erhebliche Auswirkungen für uns, | |
die Berliner Polizei, haben." | |
Die Polizei war damals noch sehr militärisch geprägt. | |
Ich habe in der Ausbildung noch Gewehrgymnastik gemacht und im Hof - Hand | |
am Mützenschirm - Grüßen geübt. Wir mussten uns vorstellen, dass der | |
Zaunpfahl ein Vorgesetzter ist. | |
Ab 1969 wurden Sie auch bei Demonstrationen eingesetzt. Haben Sie dabei | |
auch den Schlagstock geschwungen? | |
Den Schlagstock habe ich, Gott sei Dank, nie benutzt. Die Leute sind doch | |
gerannt, gefolgt von Polizeiketten mit Wasserwerfern, teilweise auch noch | |
der Reiterstaffel. Warum sollte ich da noch mit dem Schlagstock | |
hinterherhauen? Der Schlagstock bringt im Demonstrationsgeschehen | |
eigentlich nichts. | |
Polizeipräsident Klaus Hübner hat die Polizei nach seinem Amtsantritt 1969 | |
allmählich demokratisiert. Als Erstes hat er ein Diskussionskommando ins | |
Leben gerufen. Was war das genau? | |
Das Diskussionskommando, das am 24. April 1969 gegründet wurde, war der | |
Vorläufer der heutigen Antikonfliktteams. "Gewalt abschöpfen durch | |
Diskutieren" hat Hübner es bezeichnet. Zum ersten Treffen kamen 60 Beamte. | |
"Überlegen Sie sich, ob Sie das können", hat Hübner damals gesagt. "Es ist | |
nicht ungefährlich. Ich brauche nur Freiwillige." Beim zweiten Treffen | |
kamen 47 Beamte wieder. Sie bildeten das Diskussionskommando. | |
Wie wurden die Beamten auf den Job vorbereitet? | |
Sie lasen Marx und Engels, Mao und Marcuse und bekamen Schulungen vom Otto | |
Suhr-Institut an der Freien Universität. Man lud auch Studentenführer ein, | |
um die universitären Probleme kennenzulernen. Offen sein, in die | |
Gesellschaft reingehen, statt in den Unterkünften zu sitzen, lautete die | |
Devise. | |
Mit dem Abflauen der Studentenbewegung wurde das Diskussionskommando | |
aufgelöst. Was war der Grund? | |
Die Studentenunruhen waren versandet; verbohrte Anhänger der K-Gruppen | |
mochten nicht diskutieren. Problem Nummer eins war der Terrorismus. In | |
Berlin hatten wir es ja weniger mit der RAF zu tun als mit der Bewegung 2. | |
Juni. Erst Ende der 80er-Jahre wurde die Idee des Diskussionskommandos | |
wieder aufgegriffen. Auslöser waren Vorlesungsstreiks an den Universitäten. | |
Doch erst 1999 wurden die Antikonfliktteams wieder bei Demos eingesetzt. | |
Es gab eine Zeit, wo wir den Eindruck hatten, dass sich die politische | |
Szene abkapselt und nicht mit der Polizei sprechen will. Man brauchte das | |
Feindbild Polizei, um die eigenen ideologischen Ziele propagieren zu | |
können. Die marxistischen Kaderorganisationen in den 70er-Jahren waren da | |
nicht anders als viele Hausbesetzer, insbesondere die Besetzerräte in den | |
80er-Jahren. | |
Auch die Polizei wollte nicht diskutieren. | |
Nach den ersten schweren Krawallen am 1. Mai 1987 hatten wir andere | |
Probleme. Die geschlossenen Einheiten bestanden zu dieser Zeit größtenteils | |
aus sehr jungen Beamten, die dem eruptiven Gewaltausbruch teils völlig | |
hilflos gegenüberstanden. Es gab Situationen, in denen die Kolleginnen auf | |
den Wannen geweint haben. Zur Unterstützung wurde dann eine aus rund 60 | |
Beamten bestehende Spezialeinheit gegründet … | |
… die berüchtigte Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und Training, | |
kurz EbLT, genannt. | |
Die Einheit hat sich schnell verselbstständigt. Bei einem Einsatz in | |
Wackersdorf haben sich sogar die Bayern über das harte Vorgehen der | |
Berliner gewundert. Das will was heißen. | |
1989 wurde die EbLT dann von dem rot-grünen Momper-Senat aufgelöst. Ein | |
Jahr später, im Wendejahr 1990, wurden zwölf besetzte Häuser in der Mainzer | |
Straße in Friedrichshain geräumt. Daraufhin platzte die rot-grüne | |
Koalition. | |
Ich erinnere mich noch gut an den Anblick der Mainzer Straße. In den | |
Häusern war Inventar teilweise mit Elektrokabeln unter Strom gesetzt. Wenn | |
man nicht aufpasste, konnte man wie der Bösewicht aus Batman III aussehen: | |
elektrisiert und angekokelt. Auf den Dächern waren Klos, Waschbecken und | |
Gehwegplatten zum Runterschmeißen gelagert. Vieles davon landete auch | |
unten. Gottlob gab es keine Toten. Auf der Straße waren Gräben ausgehoben. | |
Es war so, wie man sich eine mittelalterliche Festung vorstellt. | |
War das nicht schwieriger als die Einsätze zu Zeiten der Studentenbewegung? | |
Das kann man nicht vergleichen. Subjektiv würde ich sagen, die Schlacht am | |
Tegeler Weg im November 1968 war schlimmer. Da wurde völlig unerwartet mit | |
Steinen geschmissen, Aggression entlud sich wie nie zuvor. Und die meisten | |
von uns Polizisten hatten ja noch den Tschako auf. Das war eine imposante | |
Pappmütze, aber kein Schutzhelm. Dass es bei der Räumung der Mainzer Straße | |
Widerstand geben würde, war erwartbar. | |
Wo stehen wir heute? | |
Das Prinzip der Deeskalation ist das offizielle Einsatzkonzept der Berliner | |
Polizei. Sicherheit und Ordnung herstellen kann nicht heißen, illegale | |
Gewalt mit undifferenzierter staatlicher Gewalt zu beantworten. Das ist | |
gescheitert. Da ich als Hobby Polizeigeschichte betreibe, kann ich sagen: | |
Das ist seit dem Jahr 1848 immer wieder gescheitert. | |
Befürchten Sie nach den heftigen Krawallen am 1. Mai dieses Jahres in | |
Kreuzberg eine erneute Radikalisierung bei Demonstrationen? | |
Ein paar Extremisten hatten wir immer. Entscheidend ist, ob diese aufgrund | |
der Krise des Finanzmarktkapitalismus Zulauf von radikalen Kreisen und | |
perspektivlosen Menschen bekommen, oder ob unsere Marktwirtschaft eine | |
soziale bleibt. | |
8 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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