# taz.de -- Politik im Internet: Prostitution vor den Wählern | |
> Politiker trifft auf Onlinegemeinde: Auf StudiVZ, Twitter und YouTube | |
> kämpfen Merkel und Co. – und ihre Fakes – um Wählerstimmen. Blamagen | |
> nicht ausgeschlossen. | |
Bild: Wohl eher nicht die echte Merkel: Die Kanzlerin auf Twitter. | |
Am Anfang war die Amerikanisierung cremegelb. In dieser Farbe fuhr das | |
Cabrio von Willy Brandt vor, mit dem er 1961 auf Bundestags-Wählerfang | |
ging. Ein Jahr zuvor hatte John F. Kennedy so die Herzen der Amerikaner | |
erobert - jetzt wollten es die Sozialdemokraten nachmachen. | |
Auch 2009 kommen die Trends aus Amerika - der Wahlkampf wandert ins Netz. | |
Ob auf Social Networks oder Youtube-Channels, mit Twitter-Followern oder | |
auf den Partei-Homepages - wo sich potenzielle Wähler versammeln, ist auch | |
die Politik mit ihren Botschaften. | |
Endlich lässt sich dabei auch für die SPD mal wieder ein Erfolg feiern: In | |
der StudiVZ-Wahlzentrale haben die Sozialdemokraten mit knapp 16.000 | |
Anhängern die meisten Fans. Wenige hundert Stimmen dahinter folgen FDP, CDU | |
und Piraten. Damit gibt es bei StudiVZ ungeahnte Koalitionsmöglichkeiten: | |
Grüne, FDP und die Piraten könnten den Kanzler unter sich ausknobeln. | |
Bei der persönlichen Beliebtheit unschlagbar: die Kanzlerin. Über 52.000 | |
Anhänger hat Angela Merkel bereits gesammelt, Frank-Walter Steinmeier folgt | |
noch hinter Guido Westerwelle abgeschlagen auf Platz drei. Auf Platz neun | |
hat sich ein gewisser Murat Karakaya hochgenetzwerkt. Ein Rüsselsheimer | |
Juso, der zwar noch kein Amt hat, aber mehr Anhänger als Jürgen Trittin, | |
Renate Künast oder Oskar Lafonataine. Karakaya zeigt es den gestandenen | |
Politikern: Im Netz muss man sich vor allem gut organisieren. | |
Das bekommt auch die Bundeskanzlerin zu spüren: auf Twitter. Denn wer sie | |
sucht, findet sie zahlreich - allerdings als Fake. Über 3.500 "Follower" | |
hat die beliebteste Scheinkanzlerinnenversion "Merkel_CDU". Die Anhänger | |
bekommen täglich mit, wie diese absurde Dinge absondert. Zuletzte freute | |
sich "Merkel_CDU" angeblich über die vielen Stasi-Mitarbeiter in den | |
Behörden - denn die habe sie eigens dort hineingeschleust. Und auch die | |
Legalität von Bordellen sei ihr wichtig, weil sie sich ja selbst jeden Tag | |
vor den Wählern prostituiere. Ein anderer Merkel-Fake postet, sie habe in | |
der letzten G-8-Nacht von Canneloni mit Hackfleischfüllung geträumt. | |
Vielleicht tröstlich für die echte Merkel: Sie ist nicht die einzige | |
Politikerin, die den Umgang mit dem Netz erst erlernen muss. Andrea Nahles | |
fragt auf dem Youtube-Channel "Open Reichstag" die Internetgemeinde, was | |
gute Arbeit ausmache. Der User "Erdvater" belehrt die verkrampft wirkende | |
Nahles mit verfremdeter Computerstimme in Form eines sprechenden Baumes. | |
Die Zeit für gute Arbeit, so Erdvater, sei vorbei. | |
Das Beispiel zeigt: Wenn die konservative Spezies Politiker auf die | |
anarchische Netzgemeinde trifft, dann ist von Wählerstimme bis Blamage | |
einiges möglich. Nur kein Rückzug aus dem Netz. Denn wenn der Konkurrent | |
twittert, postet, Anhänger sammelt, darf man selbst nicht drauf verzichten, | |
sagt ein Bundestagsabgeordneter. | |
Beobachten werden wir das ab sofort jeden Freitag. 80 Tage noch, für den | |
entscheidenden, virtuellen, cremegelben Einfall für den Netzwahlkampf. | |
9 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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