# taz.de -- Debatte Gentechnik: Jenseits des Tellerrands | |
> In Schwellen- und Entwicklungsländern geht es beim Umgang mit transgenen | |
> Produkten ums Überleben. | |
Wer die hiesige Kontroverse über die Gentechnik in der Landwirtschaft | |
verfolgt, gewinnt mitunter den Eindruck, dass in dieser Debatte vor allem | |
die Belange der Verbrauchergesundheit, des Naturschutzes, | |
wissenschaftlich-technologische Fragen oder betriebswirtschaftliche | |
Einzelinteressen, etwa von LandwirtInnen oder ImkerInnen versus | |
agrochemischen Großunternehmen im Vordergrund stehen. Dass über die | |
Agrogentechnik aber auch anders diskutiert werden kann, zeigt ein Blick | |
über den Tellerrand. | |
Dort, wo transgene Produkte mehr und mehr auf die Felder und Märkte drängen | |
- was, einmal abgesehen von Nordamerika, vor allem in Entwicklungs- und | |
Schwellenländern der Fall ist -, wird diese Technologiedebatte nicht in | |
erster Linie anhand einzelner Aspekte oder von Partikularinteressen her | |
aufgerollt. Wo immer sich in Ländern des Südens der Widerspruch formiert, | |
rücken gesellschaftliche Fragen wie Rechtssicherheit, Souveränität und | |
Verteilungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt. Denn ebenso wie Klimawandel, | |
Naturzerstörung und Ausbeutung der Rohstoffe sind dort die Systeme der | |
Landwirtschaft und der Ernährungssicherung aufs engste verknüpft mit der | |
Frage des Überlebens. | |
Wer sich in Entwicklungs- und Schwellenländern skeptisch oder kritisch zu | |
Gentech verhält, muss rasch erfahren, dass man sich dabei nicht nur mit | |
mächtigen wirtschaftlichen, sondern mit ebensolchen politischen Interessen | |
anlegt. So hat die internationale Gentech-Lobby wiederholt die humanitäre | |
Nothilfe machtpolitisch eingesetzt, um gentechnisch veränderte | |
Nahrungsmittellieferungen aus den USA zu rechtfertigen. | |
Hierbei geht es um den Kampf gegen das in einem internationalen Abkommen | |
zur Biosicherheit, dem Cartagena-Protokoll, verankerte Vorsorgeprinzip. Als | |
die sambische Regierung sich, wie die Regierungen einiger Nachbarstaaten, | |
im Jahr 2002 weigerte, aus US-Überschüssen stammende Nahrungsmittelhilfe | |
anzunehmen, die vermutlich gentechnisch verunreinigt war, wurde sie von | |
US-Politikern - aber auch von hiesigen Gentech-Lobbyisten neoliberaler | |
Couleur - der Verantwortungslosigkeit bezichtigt und politisch bedrängt, | |
die Lieferungen zu akzeptieren. Die Gründe für Sambias strikte Ablehnung | |
der Einfuhr von transgenem Körnermais - bislang noch eher die Ausnahme in | |
Ländern des Südens - waren und sind gesundheitliche, agronomische und | |
wirtschaftliche Vorbehalte. Die Hilfsorganisation USAID jedoch behauptete, | |
kein anderes als transgenes Getreide liefern zu können. Darüber hinaus soll | |
die Agentur 2004 versucht haben, in Sambias Gesetzesvorlage zur | |
Biosicherheit unter anderem die nordamerikanische Sichtweise, dass nämlich | |
Produkte aus transgenen Verfahren und solche aus konventionellem Anbau | |
gleichartig sind, einzufügen. | |
Im Cartagena-Protokoll ist jedoch das Vorsorgeprinzip festgeschrieben, | |
wonach souveränen Staaten das Recht zugesprochen wird, nach eigenem | |
Ermessen über die Einfuhr transgener Organismen zu entscheiden, von denen | |
möglicherweise schädliche Folgen zu erwarten sind. | |
Während Landwirte hierzulande davon ausgehen können, dass ihnen im Fall der | |
Aufdeckung gentechnischer Verunreinigung ihrer Ernten zumindest eine | |
Entschädigung zusteht, ist das in Entwicklungs- und Schwellenländern | |
mitnichten der Fall. Obendrein wird in zahlreichen Staaten der Zugang zu | |
entsprechenden Informationen erschwert oder gar behindert, öffentliche | |
Anbauregister - den hiesigen vergleichbar - werden in Afrika, Asien oder | |
Lateinamerika nirgendwo geführt. | |
BefürworterInnen der Agrogentechnik führen gern ins Feld, dass die | |
Ausbreitung transgenen Sojas etwa in Argentinien oder Brasilien dessen | |
Erfolg und Akzeptanz unter LandwirtInnen jener Breitengrade beweise. Doch | |
wird mit dem Verweis auf Anbaumengen verschleiert, welche sozialen Folgen | |
die dortige Expansion des Sojaanbaus hat: Landvertreibung, Konzentration | |
der Sojaindustrie in wenigen Händen und Abbau von Lohnarbeit auf dem Land | |
durch die massiven Monokulturen selbst. | |
Im ersten Jahrzehnt nach der Einführung dieser agrarischen Produktionsweise | |
wuchs Argentiniens Sojaanbau - vor allem für die Futtertröge Europas und | |
Nordamerikas - um gut 125 Prozent. Allerdings bescherten die Sojaexporte | |
den EinwohnerInnen auch höhere Nahrungsmittelpreise. Denn zuvor waren auf | |
den nun für Soja genutzten Ackerflächen Futterpflanzen für die | |
Milcherzeugung, Mais, Weizen oder Gemüse angebaut worden. Wo aber mehr und | |
mehr Land für Exportprodukte genutzt wird, müssen die Nahrungsmittel teuer | |
auf dem Weltmarkt gekauft werden. Und während sich in Argentinien die | |
Sojaanbaufläche vervielfachte, verschwanden im selben Zeitraum 60.000 | |
Arbeitsplätze auf dem Land. Auch in Brasilien werden mit dem Sojamodell, | |
also der Nutzung vorhandener Agrarflächen für die ausgedehnten | |
Gentech-Monokulturen, durch jeden Arbeiter, der in diesem Industriezweig | |
einen Job findet, elf andere Landarbeiter verdrängt. | |
Die Liste der Folgen dieser Produktionsweise, die in den jeweiligen | |
Anbauländern Besorgnis erweckt, lässt sich weiter fortsetzen: In Mexiko, | |
dem Ursprungszentrum des Mais, wo bereits 2002 die Verunreinigung lokaler | |
Maissorten bestätigt wurde, geht es um den Verlust dieses Garanten der | |
Ernährungssicherung in weiten Regionen des Landes. In Südafrika und Indien | |
wird befürchtet, dass der großflächige Anbau transgener Baumwolle die | |
Kleinbauern verdrängt. In Brasilien, Argentinien und Paraguay bedrohen die | |
massiven Sprüheinsätze auf den riesigen Gentech-Feldern die Brunnen der | |
umliegenden Gemeinden. Zudem herrscht vielerorts die nicht unberechtigte | |
Furcht, dass mittels Sorten- oder Patentschutz des privatisierten | |
transgenen Saatguts wirtschaftlich schwache, soziale und politische | |
Gruppierungen weiter marginalisiert werden. | |
Somit ist die Frage des Einsatzes der Agrogentechnik in Afrika, Asien und | |
Lateinamerika gleichzeitig Teil der sogenannten sozialen Frage. Diese | |
Kontextualisierung scheint in hiesigen Breitengraden verloren gegangen zu | |
sein. | |
15 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Ute Sprenger | |
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