# taz.de -- Debatte über Stasi-Einfluss auf 68er: Die Quellen des Hubertus Kna… | |
> Die Enttarnung des Westberliner Polizisten Kurras als Stasispitzel führt | |
> zu wilden Behauptungen - eine Erwiderung auf den DDR-Forscher Hubertus | |
> Knabe. | |
Bild: Unterschrift für die SED: Parteibuch des West-Berliner Polizisten Karl-H… | |
Wann immer in den letzten Jahren die Studentenbewegung der Jahre 1967/68 | |
zum allgemein diskutierten Thema geworden ist - wie zuletzt wieder mit der | |
Nachricht, dass der Ohnesorg-Mörder Karl-Heinz Kurras ein Mitarbeiter des | |
Ministeriums für Staatssicherheit der DDR war -, konnte man sicher sein, | |
dass in der konservativen Presse dem Historiker Hubertus Knabe breiter | |
Platz eingeräumt wurde. Als langjähriger Mitarbeiter der Gauck-Behörde und | |
Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen gilt er als der "Experte" für | |
die Unterwanderung der Linken in der Bundesrepublik durch die Stasi, der | |
die meisten Agenten und informellen Mitarbeiter der Stasi schonungslos | |
entlarvt hat. | |
Nun hat er in der Frankfurter Allgemeinen am 24. Juni eine ganze Seite | |
eingeräumt bekommen, um den "lieb gewordenen Mythos vom 2. Juni" zu | |
bekämpfen und nachzuweisen, dass insbesondere der Sozialistische Deutsche | |
Studentenbund (SDS) und der Republikanische Club (RC) in Westberlin | |
unterwandert waren und ihre Aktivitäten und Absichten nur zu erklären sind, | |
wenn man weiß, dass diese vorher von der Stasi erdacht und geplant worden | |
sind. | |
Die Quellen, auf die sich Knabe dabei stützt, sind fast ausschließlich die | |
Spitzelberichte der informellen Mitarbeiter (IM) und interne Protokolle der | |
Stasi, zu denen er in der Gauck-Behörde einen privilegierten Zugang hatte | |
und deren Inhalt von ihm ganz unmittelbar als die reine Wahrheit akzeptiert | |
wird. Obwohl sich seit seinem Buch "Die unterwanderte Republik" (1999) | |
viele Stimmen gemeldet haben, die einen derart unkritischen und sorglosen | |
Umgang mit historischen Quellen als unverantwortlich kritisiert haben, ist | |
er seither keineswegs vorsichtiger geworden. Es ist ja nicht zu bestreiten, | |
dass Mitarbeiter der Stasi an vielen Stellen Westberlins und der | |
Bundesrepublik überhaupt gewirkt haben - etwa auch an führender Stelle der | |
SPD (Wienand und Guillaume) oder der FDP (William Borm) -, aber müsste | |
nicht jeder Historiker fragen, ob die Zuträger nicht Motive hatten, manches | |
zu verschweigen oder dazuzuerfinden, und ob die Infiltrationspläne der | |
Stasi-Oberen nicht Allmachtsfantasien selbstherrlicher Bürokraten | |
entsprangen? | |
Infam wird es, wenn Knabe Namen von Leuten fallen lässt, die über jeden | |
Verdacht erhaben sind, um sie dennoch ins Zwielicht zu rücken, frei nach | |
dem Spruch des Moskauer Gründers der Tscheka: "Es gibt keine Unschuldigen, | |
es gibt nur Leute, die noch nicht verhört worden sind." So erscheinen alle | |
Mitglieder und Sympathisierenden des SDS und des RC als schuldig, weil sie | |
sich zu Marionetten der Stasi haben machen lassen. | |
Peter Schneider hat schon in sehr deutlichen Worten klar gemacht, dass die | |
rebellierenden Studenten von 1967/68 weder die Anstiftung noch den Zuspruch | |
von Seiten der Stasi brauchten, um den Vietnamkrieg (wie später auch Robert | |
McNamara) zu verurteilen, um sich (wie schon damals Rudolf Augstein und | |
Gerd Bucerius) gegen die hetzerische Frontstadtpresse des Springer-Konzerns | |
zu wenden, um (wie später Willy Brandt und Egon Bahr) eine andere | |
Ostpolitik zu fordern oder um gegen die Notstandsgesetze zu protestieren. | |
Dass die linken Studierenden im August 1968 vor der Tschechoslowakischen | |
Militärmission gegen den Einmarsch in Prag protestierten und Klaus | |
Meschkat, der Vorsitzende des Republikanischen Clubs, die Hauptrede hielt, | |
passt natürlich nicht ins Bild von Herrn Knabe und findet denn auch keine | |
Erwähnung. Knabe bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf die | |
Spitzelberichte der Stasi. Wo es in sein Weltbild passt, übernimmt er auch | |
Darstellungen aus der linken Szene, die durchaus der Korrektur bedürfen. | |
So behaupten Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker in ihrer "Kleinen | |
Geschichte des SDS" (1977), ältere SDS-Mitglieder, die sich - aus einem | |
eher (links-)sozialdemokratischen Politikverständnis heraus - gegen | |
bestimmte Formen direkter Aktion gewandt haben, hätten nach Bildung der | |
großen Koalition im November 1966 "außerhalb des SDS und gegen den | |
SDS-Landesverband Berlin" die November-Gesellschaft gegründet. Sie | |
qualifizieren diese Gruppe mit einem Ausdruck, der offenbar von Wolfgang | |
Lefevre stammt, als "Alte-Keulen-Riege". | |
Damit sind allerdings Ursprung und Intention der November-Gesellschaft | |
falsch dargestellt. Den ungefähr 20 Mitgliedern dieser heterogenen Gruppe, | |
die nicht alle aus dem SDS kamen, ging es in keiner Weise um eine | |
Frontstellung gegen den SDS, sondern vor allem um die Herstellung eines | |
politischen Klimas in der Frontstadt Berlin, in dem die berechtigten | |
Forderungen der Studentenbewegung (und des SDS) eine Chance haben sollten, | |
gehört zu werden. Zu diesem Zweck wurde die Gründung des Republikanischen | |
Clubs geplant, der ein breites politisches Spektrum umfassen sollte und am | |
30. April 1967 tatsächlich aus der Taufe gehoben wurde. | |
Da mit Walther Barthel, Dietrich Staritz und Carl Guggomoos der | |
November-Gesellschaft drei Stasi-IMs angehörten, hat diese Gruppe das | |
besondere Interesse von Hubertus Knabe gefunden, für dessen schlichtes | |
Denken hier eine wichtige Zentrale der Unterwanderung zu suchen ist. | |
In seinem eigentlich lustig zu lesenden Buch über die "verspielte | |
Revolution" hat Uwe Wesel auch von der "Alte-Keulen-Riege" gesprochen, sie | |
aber als Gruppe "orthodoxer Marxisten" gekennzeichnet und der | |
Moskauhörigkeit geziehen. Das ist nun noch falscher. Ich habe im Jahre 1992 | |
von der Gauck-Behörde erfahren, dass ich im einzig bis dahin gefundenen | |
Bericht eines Stasi-IMs über mich als hartnäckiger "Feind der Partei der | |
Arbeiterklasse" bezeichnet wurde. | |
Im Unterschied zu Hubertus Knabe nehme ich das nicht als die reine | |
Wahrheit. Aber es zeigt immerhin, dass es mit der Moskauhörigkeit nicht so | |
weit her gewesen sein kann. Und was für mich gilt, das kann ich auch für | |
Klaus Meschkat, Ulrich K. Preuß, Wolfgang Nitsch, Karl-Heinz Stanzick, | |
Solveig Ehrler, Nele Hertling, Peter Brandt und andere Mitglieder der | |
November-Gesellschaft sagen, um nicht von Johannes Agnoli zu reden, der für | |
die antiautoritären Studenten in Berlin so etwas wie höchste Autorität war. | |
Wir alle waren längst mit Rudi Dutschke befreundet, auch weil manche von | |
uns ihn und seine Argumente im Doktorandenseminar von Professor Lieber | |
näher kennengelernt hatten, und teilten seine Abneigung gegen den | |
bürokratischen Staatssozialismus, wie wir ihn in der DDR verkörpert sahen. | |
Ich selbst hatte noch Anfang 1965 beantragt, die Aufnahme von Rudi Dutschke | |
in den Berliner SDS zu verhindern, und trat dann bald dafür ein, dass er | |
mein Nachfolger als Berliner Vertreter im Bundesvorstand des SDS werden | |
sollte. | |
Im Übrigen spielte für die meisten von uns im SDS und dann im RC die DDR | |
nicht die bedeutende Rolle, die sie für Leute hatte, für die sich die | |
Weltgeschichte auf den Kampf für oder gegen die Stasi konzentrierte. | |
Wir empfanden uns als Teil der Neuen Linken, wie sie sich in Westeuropa und | |
Nordamerika in jenen Zeiten immer deutlicher profilierte. Die Proteste | |
gegen den Vietnamkrieg führten uns an die Seite der Kriegsgegner in den | |
USA. Die Studentenbewegung in Frankreich fand größtes Interesse genauso wie | |
die Entkolonialisierung Afrikas und die Befreiungsbewegungen in | |
Lateinamerika. Und schließlich war der Marxismus, wie er unter uns | |
vertreten wurde, einer, der sich in lebendiger Auseinandersetzung mit den | |
Marxisten im Westen entwickelte und aus dem Osten Deutschlands meistens nur | |
die blauen Bände der Marx-Engels-Werke bezog. | |
Leider hat sich auch die taz vom 23. Mai bemüßigt gefühlt, den Vorwürfen, | |
wie sie Knabe gegen den SDS erhebt, dadurch zu begegnen, dass sie die | |
Vorwürfe gegen den Republikanischen Club als teilweise berechtigt | |
darstellt. Dort konnten, so die taz, "honorige Figuren für Spitzeldienste | |
gewonnen werden". Zu ihnen zählten, "der altliberale Politiker William Borm | |
und einer der führenden jüngeren DDR-Spezialisten, Dieter Staritz". Doch | |
Dietrich Staritz war schon zu Beginn der Sechzigerjahre Stasi-IM geworden | |
und war damit länger für das Ministerium für Staatssicherheit im SDS tätig | |
als der Republikanische Club überhaupt bestanden hat. Und William Borm ist | |
allenfalls als Sponsor und Sympathisant des RC in Erscheinung getreten. Er | |
ist auch nicht im RC für Spitzeldienste geworben worden, sondern bereits | |
1959. Und das nicht, um Einfluss auf die Außerparlamentarische Opposition | |
auszuüben, sondern auf die Berliner FDP, für die er von 1960 bis 1982 | |
Landes- und Ehrenvorsitzender sowie Mitglied des Bundesvorstands, von 1965 | |
bis 1972 Bundestagsabgeordneter und 1969 sogar Alterspräsident des | |
Bundestags war, das alles immer als Mitarbeiter der Stasi. Im Jahr 1979 | |
erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Seine Tätigkeit für die Stasi | |
wurde erst 1993 entdeckt und gilt seither als starkes (Knabe) oder | |
schwaches (taz) Argument gegen den Republikanischen Club. Als Argument | |
gegen die FDP ist sie noch nie verwandt worden. | |
Historiker, die sich der Geschichte des SDS und der Außerparlamentarischen | |
Opposition widmen wollen, sollten gründlicher recherchieren, um Leuten wie | |
Hubertus Knabe, deren "Geschichtsschreibung" oft an | |
Verleumdungsjournalismus grenzt, nicht noch Material zu liefern. | |
Ich erfuhr 1992 von der Gauck-Behörde, dass ich als "Feind der Partei der | |
Arbeiterklasse" bezeichnet wurde | |
Wir teilten Rudi Dutschkes Abneigung gegen den bürokratischen | |
Staatssozialismus der DDR | |
18 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Urs Müller-Plantenberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |