| # taz.de -- Pro und Kontra: Bundesverdienstkreuz für Israelkritik | |
| > Hat die israelkritische Rechtsanwältin Felicia Langer das | |
| > Bundesverdienstkreuz verdient? Oder heizt dies nur einen einseitigen | |
| > Empörungsdiskurs über Israel an? | |
| Bild: Felicia Langer voller Stolz. Hat Sie das Bundesverdienstkreuz verdient? | |
| PRO | |
| Die israelkritische Rechtsanwältin Felicia Langer hat das | |
| Bundesverdienstkreuz bekommen. Manche fordern nun, dass ihr dieses wieder | |
| aberkannt wird, weil diese Verleihung Israel schade. Diese Debatte trägt | |
| alle Züge einer Ersatzhandlung. Man schlägt die Botin für die Botschaft. | |
| Die ist unerfreulich, aber richtig. | |
| Israel hat seit 42 Jahren ein Besatzungsregime etabliert und wie jede | |
| Besatzung korrumpiert auch dieses die Besatzer. Israel forciert aggressiv | |
| den Siedlungsbau und verstößt im Westjordanland systematisch gegen | |
| Menschenrechte. Die israelische Armee hat, wie die Initiative "Breaking the | |
| silence" kürzlich zeigte, im Gazakrieg gezielt Zivilisten getötet. 1.400 | |
| Palästinenser und 13 Israelis starben. | |
| Wer all das nicht sieht, ist wahrscheinlich Anhänger des bundesdeutschen | |
| Philosemitismus, dem das präzise Benennen unerträglicher Missstände als | |
| Verrat gilt. Es gibt auch eine Feigheit vor dem Freund - die Antideutschen | |
| und Philosemiten haben diese Haltung unglückseligerweise zur einzig | |
| legitimem Moral im Nahostkonflikt veredelt. | |
| Mag sein, dass Langers moralisches Tremolo vielen auf die Nerven fällt. | |
| Aber darum geht es nicht. Verhandelt wird in dieser Debatte, ob scharfe | |
| Kritik an der israelischen Politik hierzulande Anerkennung verdient oder ob | |
| sie als trüber Antisemitismus tabuisiert gehört. Dies meint Ralph Giordano, | |
| der Langer für eine "Feindin Israels" und einen pathologischen Fall hält. | |
| So kann man sich die Realität vom Hals halten. Denn hat man jemand als | |
| psychopathologisch abgestempelt, braucht man sich mit dessen Anliegen nicht | |
| zu befassen. | |
| Israels Sicherheit ist nicht durch Felicia Langer gefährdet, sondern durch | |
| die Besatzung, die zu beenden die israelische Politik nicht willens oder | |
| fähig ist. Um langfristig zu überleben, braucht Israel ein Militär, das für | |
| Abschreckung sorgt, und kluge, kompromissfähige Politiker. An Ersterem ist | |
| kein Mangel, an Letzterem großer. Deshalb braucht Israel von außen eine | |
| Solidarität, die Kritik und wirksamen Druck einschließt. | |
| STEFAN REINECKE ist Autor im Parlamentsbüro der taz | |
| *************** | |
| CONTRA | |
| Felicia Langer wäre das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse besser nicht | |
| verliehen worden. Nicht weil sie sich für diejenigen einsetzt, die an den | |
| Checkpoints im Westjordanland drangsaliert werden, während jüdische Siedler | |
| gerade ihre Olivenbäume aus dem Boden reißen. Auch nicht wegen des von | |
| Henryk Broder skandalisierten Umstands, dass der deutsche Staat nun eine | |
| alte Kommunistin ausgezeichnet hat, Gott bewahre. Die in Tübingen lebende | |
| Israelin ist eine Krawallschachtel, weshalb sie mit unseren Sympathien | |
| rechnen darf. | |
| Nicht in Ordnung geht, dass Langer am Projekt der sogenannten Israelkritik | |
| mitarbeitet. Das Bundesverdienstkreuz wird somit symbolisch einem Diskurs | |
| angeheftet, der wie eine Blackbox funktioniert. Man weiß immer schon | |
| vorher, was hinten rauskommt: Gaza ist ein "Ghetto" und Israel das neue | |
| "Apartheidregime". Wenn linke Aktivisten in Israel von Apartheid sprechen, | |
| hat solche Zuspitzung in der innenpolitischen Debatte ihre Berechtigung. | |
| Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber Tübingen ist nicht Netanja. Langer | |
| spricht zu einem Publikum, das meist wenig Ahnung von den Verhältnissen in | |
| Israel hat. Das Besatzungsregime der Israelis im Westjordanland folgt einer | |
| politischen Logik, die man kritisieren kann. Den jüdischen Staat erhalten | |
| zu wollen ist aber nicht rassistisch, sondern legitim. Im Übrigen leben in | |
| Israel 20 Prozent Araber als Bürger mit gleichen Rechten und entsenden ihre | |
| Repräsentanten ins Parlament. | |
| "Israelkritik" ist ein geschlossenes System, das alles ausblendet, was das | |
| Publikum bei der Bestätigung der eigenen Rechtschaffenheit stören könnte. | |
| Im Gegensatz zu nüchterner kritischer Betrachtung gedeiht dieser | |
| Empörungsdiskurs nur unter gezielter Ignoranz realpolitischer | |
| Gegebenheiten. | |
| In ihm sind Juden nur als Bösewichter, Palästinenser nur als Opfer, wenn | |
| auch nie als Opfer von arabischen Regimen, vorgesehen. "Israelkritik" ist | |
| selbst eine intellektuelle Form des Kolonialismus, die Palästinenser als | |
| edle Wilde betrachtet. Den Palästinensern tut sie nicht viel Gutes. | |
| ULRICH GUTMAIR ist Kulturredakteur der taz | |
| 25 Jul 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| S. Reinecke | |
| U. Gutmair | |
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