# taz.de -- 20 Jahre Wacken-Festival: Thrash trifft Tradition | |
> Beim Wacken Open Air treffen sich die lautesten und härtesten Bands der | |
> Welt zur Leistungsschau. Auch der wahlkampftourende Ministerpräsident | |
> schaut vorbei. | |
Bild: Spaß am Pogo im Matsch: Beim Wacken-Festival ist fast alles erlaubt. | |
"Wacken trägt den Namen Schleswig-Holsteins in die Welt", deshalb sei er | |
als Landesvater gern hierhergekommen, um seinen Dank zu entrichten, | |
trompetet der sich gerade in politischen Turbulenzen befindende Peter Harry | |
Carstensen ins hingehaltene Horn. | |
Carstensen ist ja gerade auf Wahlkampftour, da kommt er an einem | |
allgemeinen Sympathieträger wie dem Wacken Open Air kaum vorbei. Er gibt | |
sich gewohnt volkstümlich, spricht gern Plattdeutsch, erklärt den auf der | |
Pressekonferenz anwesenden, von den beiden letzten Tagen durchaus | |
gezeichneten Metal-Afficionados noch einmal, was das Wacken Open Air im | |
Innersten zusammenhält - Politiker sind ja so! -, und dennoch, sein | |
hemdsärmliger Charme verfängt hier irgendwie. Das ist schon mehr als | |
Höflichkeitsapplaus. Nur ein zu spät gekommener Journalist bringt die | |
subkulturelle Welt wieder halbwegs in Ordnung. "Was macht denn der Tanzbär | |
da vorn?" | |
Das Wacken Open Air feiert wieder einmal Jubiläum, das 20. ist es | |
mittlerweile. Und während in der Vergangenheit vor allem die | |
Genre-Orthodoxie, die sich gern mit dem Label True Metal schmückt, die | |
großen Bühnen unter sich aufgeteilt hatte und zuletzt mehr und mehr die | |
Knüppelfraktion, also die extremen Spielarten Black und Death Metal, Gehör | |
fanden, ist das Billing, also das Programm, in diesem Jahr wieder absolut | |
ausgewogen. | |
Man konnte sich etwa von den wunderbaren D.A.D. erläutern lassen, wie | |
ruppiger Hard Rock und melancholischer Country Blues eine haltbare Liaison | |
eingehen können; In Flames stellten unter Beweis, dass sich Death Metal und | |
zuckersüßer Pop nicht ausschließen müssen; Volbeat, die Band mit den | |
meisten weiblichen Crowdsurfern, legten uraltem Rockabilly eine passgenaue | |
eiserne Rüstung an; und Coheed & Cambria demonstrierten sehr filigran und | |
suggestiv die Kompatibilität von Stoner Rock und dem Progressive Metal der | |
Rush-Tradition. | |
Das Subgenre, das hier nicht mit wenigstens einem prominenten Vertreter | |
vorgestellt worden wäre, muss erst noch erfunden werden. Und auch dabei | |
mischt das W:O:A kräftig mit. Seit Jahren schon leistet man sich so etwas | |
wie eine experimentelle Giftküche, eine kleinere Bühne im Zelt, in der | |
internationale Newcomer ohne Labelvertrag im "Metal Battle" gegeneinander | |
antreten und die Gattungsgrenzen bestenfalls wieder ein Stückchen | |
verschieben. Dass es sich auch für die Bands mitunter lohnen kann, beweisen | |
Drone, Sieger des Jahres 2006. Mit ihrem modernen Frickel-Thrash, der auf | |
dem zweiten Album mit beinahe schon eingängig zu nennenden Harmonien | |
gekontert wird, emanzipieren sie sich von ihren ehemaligen Vorbildern | |
Machine Head und mausern sich so zur großen weißen Hoffnung in diesem | |
Segment. | |
Machine Head selbst gaben sich ebenfalls die Ehre, am Samstag zur besten | |
Auftrittszeit. Angesichts der Masse, die sich mittlerweile auf dem Platz | |
versammelt hatte, konnten sie sich eines "Fuckin wooow" nicht enthalten. | |
Die Band füllt die große Bühne, auch beim übelsten 32tel-Geschredder huscht | |
ihnen noch ein Lächeln über die Lippen, und Sänger Robb Flynn hat durchaus | |
demagogische Qualitäten - ein Wort von ihm ("Open up the circle pit, right | |
now!"), und die Jünger formieren sich und rennen zu Hunderten im Kreis | |
herum. | |
Aber die Thrasher der Herzen sind dennoch Testament an diesem Tag. Die | |
Erz-Bay-Area-Band war u. a. wegen fataler Krankheitsfälle lange weg vom | |
Fenster, aber kürzlich hat man Alex Skolnick, die einst demissionierte | |
Saitenlegende aus den glorreichen Achtzigern, noch einmal überreden können | |
- und das Publikum ist einfach nur froh, dass sie wieder da sind. | |
Vielleicht auch weil zumindest der Old-School-Trasher immer noch Wert legt | |
auf gewisse melodische Spurenelemente in der Tiefenstruktur des Songs. | |
Diesem Konzept, eine betörende Hookline unter gewaltigen akustischen | |
Geröllmassen zu tarnen, fühlt sich auch Lemmy Kilmister seit Jahrzehnten | |
verpflichtet. Motörheads hypertrophierter Blues Rock ist praktischer | |
Geschichtsunterricht, sie sind lebende Fossilien, an ihnen lässt sich | |
gewissermaßen die Evolution des Genres ablesen. Aber wer Lemmys | |
leichenblasses, abgelebtes, einfach todmüdes Gesicht gesehen hat, muss sich | |
auch langsam mit dem Gedanken vertraut machen: womöglich nicht mehr sehr | |
lange. Kilmisters Memento-mori-Antlitz stand denn auch wie ein Menetekel | |
über dem ganzen Wochenende. Es war wie immer ein gutes Festival, | |
musikalisch vermutlich das beste der letzten Jahre, aber eben auch: wie | |
immer. Und die Frage drängt sich auf, wie oft man eigentlich noch | |
hierherfahren - und drüber schreiben kann. | |
3 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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