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# taz.de -- "Gina Lisa's Best Buddy": Wer tanzt, ist weiter
> ProSieben sucht einen Freund für die einstige "Germany's Next
> Topmodel"-Kandidatin Gina-Lisa Lohfink. Ein Erlebnisbericht vom
> trostlosen Casting.
Bild: Die Suchende: Gina-Lisa braucht einen besten Freund.
Als der Anruf kommt, erschrecke ich. Über den Auftrag. Ich soll mich für
das Casting für die neue ProSieben-Show "Gina-Lisas Best Buddy" bewerben
und darüber schreiben. Die durch "Germanys Next Topmodel" bekannte
D-Prominente sucht in der Doku-Sendung einen besten Freund. Ich bitte um
Bedenkzeit, da ich mich vor einer Kamera nicht sonderlich wohl fühle. Ich
habe Angst, mich zu blamieren. Es vergehen ein paar Tage und ich sage doch
zu. Ich sende meine Bewerbung für das Casting ab - besondere
Voraussetzungen sind nicht erforderlich. Verlangt werden Angaben zur Person
(Alter, Beruf, Größe und Gewicht) und zwei Fotos. Außerdem müssen zwei
Fragen beantwortet werden: Warum willst du Gina-Lisas Best Buddy werden,
und womit willst du sie beim Casting beeindrucken?
Ohne lange zu überlegen, beantworte ich die erste Frage. "Gina-Lisa ist
eine Inspiration. Ihre Ehrlichkeit beeindruckt mich." Eine Antwort auf die
zweite Frage zu finden ist schwieriger. Ich habe keine besonderen
Fähigkeiten. Ich kann weder tanzen, singen noch Capoeira. Am Ende
entscheide ich mich für den kitschigen Klassiker: "Ich will sie mit meinem
Charme beeindrucken."
Am Sonntag erscheine ich um neun Uhr leicht verspätet zum Casting im Kölner
Club Blumengold. Die anderen Bewerber sind da, aber keiner von der
Produktionsfirma. Plötzlich ist eine Kamera auf mich gerichtet. "Du sieht
aus wie Rick Kavanian", sagt der Kameramann. Ich erwidere leicht genervt:
"Echt? Das habe ich ja noch nie gehört." Ein guter Start. Ich überlege
immer wieder, alles hinzuschmeißen, erst recht als ich höre: ProSieben hat
alle Rechte an dem gefilmten Bild- und Tonmaterial.
Wir zwölf Kandidaten sitzen unter einem schwarzen Partyzelt auf Bierbänken
vor dem Club. Der Männeranteil ist deutlich höher. Wir reden über
Gina-Lisa, das Casting und überlegen schon, wer mit wem in der "Villa" in
einem Zimmer übernachten soll. Dabei ist der 26-jährige Kevin*, der alle
zwei Minuten seine Homosexualität erwähnt und jetzt schon in eine Tüte
atmen müsste, weil er hyperventiliert. Der ältere Rocker Günther, der schon
bei zig Castings war. Der viel zu sonnenbankgebräunte und viel zu blonde
Justin. Und die blonde Mutti, die nicht weiß, warum sie eigentlich hier
ist, und schwitzige Hände hat. Ich erkenne auch einige bekannte Gesichter.
Die transsexuelle Mandy wurde schon in jeder Dokutainment-Sendung medial
ausgeschlachtet. Sie schaut mich von oben bis unten an und verdreht die
Augen. Ich lache.
Nach einer halben Stunde kommt eine Frau zu uns. Christina sieht wichtig
aus, sie hat ein Headset. Der Erste aus der Runde fragt, wann es denn
losgehe. "Gleich. Wir müssen um eins fertig sein, dann kommt die nächste
Gruppe", antwortet sie ihm. Eine Stunde vergeht. Christina erscheint schon
wieder. Gina-Lisa sei noch in der Maske und das dauere zwei Stunden, sagt
sie. Um uns zu besänftigen, sagt sie noch: "Ihr habt alle super Chancen und
seid aus über tausenden Bewerbern ausgesucht worden." Gestern sei ja schon
ein Casting gewesen, und die seien nicht so gut gewesen, ergänzt sie. Jetzt
verdrehe ich die Augen und glaube ihr kein Wort.
Um elf Uhr ist der erste Kandidat immer noch nicht im "Studio". Ich bekomme
Durst und frage, ob ich mir einen Kaffee holen kann. Ich darf und gehe zu
McDonalds. Für Verpflegung und Trinken müssen die Kandidaten selbst sorgen
- so stand es in der Antwort auf meine Mail. Drei Stunden sitzen wir jetzt
draußen im Regen. Das Zelt schützt uns kaum, weil es durch die Löcher
durchregnet. Es ist kalt. Christina kommt wieder, spricht unverständliche
Laute in ihr Headset und verteilt mit dem Aufnahmeleiter Etiketten mit
unseren Casting-Nummern. Sie sind nicht numerisch aufeinander folgend,
sondern beginnen bei 511 und enden irgendwo bei 2.000. Ich bekomme die
1.414.
Endlich darf Günther als erster Kandidat in das "Studio". Der Rocker hat
extra für Gina-Lisa ein Lied geschrieben und will es ihr auf seiner Gitarre
vorspielen. In der Zwischenzeit geht Redakteurin Sonja auf die Straße. Sie
sucht nach weiteren Bewerbern. Ihr Tatendrang kennt keine Grenzen: Sie
fragt Rentner, Behinderte und Jugendliche. Nach einer halben Stunde kommt
Sonja mit einem stark alkoholisierten jungen Mann zurück. Sam war gerade
noch auf einer Afterhour, jetzt sitzt er draußen bei uns im Zelt. Günther
ist mittlerweile zurück und hält einen goldenen Schlüssel in der Hand. "Ich
fasse es nicht, ich bin weiter", schreit er und schüttelt sein langes Haar.
Die Kamera folgt ihm dabei.
Die Gründe, sich bei "Gina-Lisas Best Buddy" zu bewerben, sind vorhersehbar
und langweilig: "Ich wollte mal was Verrücktes machen." "Ich will unbedingt
ins Fernsehen." Oder: "Ich finde Gina-Lisa heiß." Alles perfekte Motive für
eine Freundschaft. Endlich bin ich als Nächster dran. Aufnahmeleiter Dirk
schaut mich an. "Kein Grund, nervös zu sein", sagt er. Ich bin panisch,
nicht nervös. Er nimmt mich durch die Tiefgarage mit in den Club. Ich gehe
rein, Kameras sind auf mich gerichtet und ich stelle mich auf die vorher
besprochene Stelle. Gina-Lisa sitzt in knappem Mini und hohen Pumps mit
ihrer Busenfreundin auf einem Sofa. Dünn sieht sie aus, denke ich.
Gina-Lisa schaut mich an, begrüßt mich und schweigt. Ich weiß nicht, was
ich machen soll, und fange an, wie wild zu reden: "Ich bin Enrico, bin 26
und Student. Ich brauche eine wilde Frau an meiner Seite." Als die Wörter
aus meinem Mund kommen, merke ich, was ich da eigentlich sage. Trotzdem
höre ich nicht auf: "Gerade in deinem hektischen Leben brauchst du einen
Ruhepol. Ich wäre die Schulter zum Anlehnen und würde dich bekochen."
Gina-Lisa lächelt und sagt: "Ach, du bist aber süß." Dann schaut sie ihre
Freundin Michi an und fragt nach ihrer Meinung. "Ich würde ihm einen Joker
geben", sagt die - und so wird es auch gemacht. Kandidaten, die einen Joker
erhalten, sind weder rausgeflogen noch eine Runde weiter.
Die Kamera stets nah dran
Fünf Minuten sind vergangen, ich darf gehen. Dann hält mich der Regisseur
auf: "Wir müssen leider noch was mit dir drehen. Das war zu kurz." Aus dem
Augenwinkel bekomme ich mit, wie eine Redakteurin mit Gina-Lisa redet. Ich
höre nur Wortfetzen: "Du musst mehr Fragen stellen, das wirkt
persönlicher." Ich stelle mich also wieder auf die Markierung und
beantworte schnell zwei irrelevante Fragen nach meinem Studium und danach,
was ich für sie kochen würde. Dann zwingt mich der Regisseur vor einen
Pappaufsteller von Gina-Lisa. Ich soll ein Statement abgeben. Die Kamera
ist ganz nah an meinem Gesicht. "Bitte antworte in ganzen Sätzen. Das
dürfte aber für dich nicht so schwer sein. Du studierst ja", sagt er.
Als ich ohne Schlüssel wieder in das Zelt komme, umarmt mich Kevin. "Mach
dir keine Sorgen. Du kommst auf jeden Fall weiter", muntert er mich auf.
Redakteurin Sonja kommt auf mich zu. Sie nimmt mich zur Seite und fragt, ob
ich denn die nächsten drei bis vier Wochen Zeit hätte. Ich schaue sie
fragend an. "Um in die Villa zu ziehen", sagt sie. Ich verstehe sie nicht
richtig. "Ich finde, du bist ein guter Typ. Ich möchte gern, dass du in die
Villa einziehst." Ich sage ab. Sonja ist genervt. "Warum hast du dich denn
beworben?", fragt sie ein wenig schnippisch. "Du kannst dann gleich gehen.
Ich kläre das nur kurz", sagt sie.
Ein Stunde vergeht, und ich weiß immer noch nicht mehr. Ich spreche sie an.
"Leider musst du bis zum Ende bleiben", antwortet sie mir. Jetzt bin ich
genervt - mir ist kalt und langweilig. Zwei weitere Stunden vergehen, wir
wissen nicht, wie es weitergeht. Plötzlich gehen mehrere Menschen von der
Produktion aus dem Studio raus. Nach 20 Minuten kommen sie voll beladen mit
McDonalds-Tüten wieder. Eine Ansage oder eine kurze Information für uns
gibt es nicht. Und so vergeht eine weitere Stunde, bis wir sechs
Joker-Kandidaten zur Entscheidung dürfen und die Kandidaten mit dem
Schlüssel endlich ihr Gruppenfoto machen können. Wir gehen mit dem
Aufnahmeleiter in den Club und proben unsere Standpositionen. Der Regisseur
hält eine kleine Rede: "Ihr habt so lange durchgehalten. Chapeau."
Gina-Lisa lächelt von ihrem Sofa herunter und sagt das Gleiche noch einmal.
Wir müssen wieder raus.
Mandy und Raul sind kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Beide halten Händchen
und überlegen, wie sie in die Kamera schauen sollen. Dann dürfen wir wieder
rein. Es gibt nur noch zwei Schlüssel, aber sechs Bewerber. Die ersten drei
Kandidaten sind nicht weiter. Ich stehe noch mit Mandy und Raul alleine da.
Gina-Lisa schaut mich an. "Ich liebe zwar Italien, aber ich habe Angst,
dass du in der Gruppe nicht bestehen kannst. Sei mir bitte nicht böse",
sagt sie. Ich darf wieder hoch ins Zelt. Ohne Schlüssel. Eine Kamera
erwartet mich schon. Wieder wollen sie ein Statement von mir. Ich bin müde
und sehr gelangweilt. Die anderen Kandidaten klatschen und schreien mir
hinterher: "Du bist ein super Typ. Ändere dich nicht."
Um 18 Uhr, nach neun Stunden, gehe ich ein wenig verwirrt nach Hause und
denke über das Konzept der Sendung nach. Ich verstehe es nicht. Warum ist
keiner von Anfang an rausgeflogen? Warum sucht Gina-Lisa einen besten
Freund, wenn sie doch Freundin Michi hat? Und warum kommt man nur weiter,
wenn man getanzt, gesungen oder sich zum Affen gemacht hat?
* Namen von der Redaktion geändert
10 Aug 2009
## AUTOREN
Enrico Ippolito
## TAGS
Gina-Lisa Lohfink
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