# taz.de -- Nach Verbot des Heß-Gedenkens: Neonazis entdecken den Flashmob | |
> Die Aktionsform ist für die rechtsextreme Szene neu, der Mythos, den sie | |
> beleben will, nicht: Am Montag wollen Neonazis mit Flashmobs des 22. | |
> Todestages von Rudolf Heß gedenken. | |
Bild: Die rechte Szene hat den Flashmob für sich entdeckt. | |
BERLIN taz | Mit so genannten Flashmobs wollen Rechtsextreme am Montag um | |
19.30 Uhr dem 22. Todestag von Rudolf Heß gedenken. Dies gilt als Reaktion | |
auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts, das in dieser Woche den | |
Eilantrag der Neonazis abgelehnt hat, in Wunsiedel eine Gedenkfeier für | |
Hitlers einstigen Stellvertreter zu veranstalten. | |
Für das Flashmob-Gedenken an Heß wirbt im Internet die Website | |
www.17august.info. Bei einem Flashmob treffen sich Menschen zu einem | |
verabredeten Zweck für eine kurze Zeit. Gemeinsam veranstalten sie etwa für | |
einige Minuten eine Kissenschlacht und gehen dann wieder auseinander. | |
Normalerweise. Der Neonazi-Flashmob jedoch wird öffentlich Heß zitieren. | |
Und das in fast 100 Städten in Ost und West, die auf der rechten | |
Internetseite mit Adressen aufgelistet sind. Aachen, Bahnhofsvorplatz, | |
Dresden, Theaterplatz vor der Semper Oper. Köln, Hauptbahnhof, Stralsund, | |
vor dem Meeresmuseum und Zwickau, Kommarkt, sind einige der prominenten | |
Orte. Auch in Wien, auf dem Europlatz, soll so die Öffentlichkeit gesucht | |
werden. | |
Aufmerksamkeit suchen die Neonazis so auf einem neuen Weg, sagt | |
Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke von der | |
Freien Universität Berlin. "Die Konfrontation mit dem Verfassungsgericht | |
haben die Rechtsextremen verloren. Mit dem Flashmob wollen sie solche | |
Probleme vermeiden." Gleichzeitig wollen die Neonazis mit solchen Aktionen | |
aber auch bei der breiten Masse punkten. Hajo Funke: "Sie wollen die | |
Öffentlichkeit damit faszinieren, dass sie das System überlisten." Der | |
Verfassungsschutz wollte sich zu dem bundesweiten Neonazi-Auflauf nicht | |
äußern. | |
Die Rechten selbst äußern sich jedoch heftig und streiten bereits über die | |
Flashmob-Idee. Das "Aktionsbüro Norddeutschland", ein Internetportal der | |
Freien Kameradschaften, warnt vor dem Aufruf. Das "Aktionsbüro" wundert, | |
dass eine solche Aktion im Vorfeld groß angekündigt wird. "Sinnlos, | |
schädlich, strafbar" sei das, heißt es. Die "Freien Kräfte Köln" stört | |
auch, das selbst in der Szene die Initiatoren von www.17.august.info | |
unbekannt seien. Sie schreiben, dass "spätestens" mit der Bekanntgabe der | |
Anlaufstellen bei "jedem erfahrenen Aktivisten die Alarmglocken klingeln.“ | |
Sie spekulieren, ob der Aufruf gar eine Falle sein könnte. Denn in Köln, | |
auch in anderen Städten wären die Flashmobs" nicht mit den Gruppen | |
abgesprochen. In Lüneburg hat eine Antifa-Initiative vorsorglich eine | |
Demonstration auf dem angekündigten Flashmob-Ort angemeldet. | |
Auf rechte Gegenliebe stößt der Flashmob nicht überall, weil er eigentlich | |
eine eher linke Taktik ist. Aber immerhin ein harter Kern findet Gefallen | |
daran, sagt Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke: "Seit ein oder zwei | |
Jahren adaptieren die Neonazis alles mögliche aus der linken Szene. Sie | |
tragen schwarz oder Palästinenserschals und werden in einigen Bereichen | |
immer flexibler." Das sei die Nazi-Form des Abkupferns. "Zu ihrer Aktion | |
Flashmob zu sagen, ist für viele mittlerweile kein Problem mehr", erklärt | |
Funke. | |
Ob von den Flashmobs allerdings auch ein erhöhtes Gewaltpotenzial ausgehe, | |
ließe sich noch nicht sagen. Doch die Heß-Verehrer gehörten zum | |
gewalttätigen Kern der Szene, sagt Hajo Funke. "Heß war ein Kriegsfürst, | |
der so tat, als wolle er plötzlich Frieden", fügt Funke hinzu. Heß taugte | |
für die Rechtsextremen erst nach seinem Tod zum Idol. Er wurde zum | |
"Märtyrer" erklärt, weil er 40 Jahre lang im Kriegsverbrechergefängnis | |
Spandau einsaß. "Heß ist eine Lichtgestalt für die Rechtsextremen, weil er | |
voll mit Hitlers Wahn identifiziert war und den Nationalsozialismus | |
überlebt hat", erklärt Hajo Funke. "Jeder Neonazi ist stolz, wenn er ein | |
Foto von Heß an seine Wand hängt." | |
Unter dem Motto "Märtyrer sterben nie" fanden um den Todestag von Heß immer | |
wieder spontane Aufmärsche, unangemeldete Kurzkundgebungen und regionale | |
Plakatierungen statt. In Wunsiedel liegt Heß begraben. Alleine 5.000 | |
Gesinnungsgenossen kamen 2005 zum Gedenken in die bayrische Stadt. Erst | |
breite Proteste, und spätere Rechtsentscheidungen unterbanden die offene | |
Verherrlichung. | |
Im Internet wird Heß auf der Website www.17.augutst.info verherrlicht und | |
verklärt. Die Rechtsextremen sprechen vom „Mord“ an Heß. Die Szene verehrt | |
ihn aber auch wegen seiner letzten Worte vor dem Internationalen | |
Militärgericht in Nürnberg 1946. "Ich bereue nichts. Stünde ich wieder am | |
Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte", erklärte er. Bei den | |
Flashmobs sollen die Kameraden genau jene Schlusssätze "langsam und | |
deutlich" vortragen – alles binnen fünf Minuten und dann schnell | |
verschwinden. | |
Falls die Rechtsextremen das tatsächlich tun, dürfte es auch schwierig | |
werden, den Flashmobs beizukommen. Nordrhein-Westfalens Innenministerium | |
will die Neonazi-Flashmob noch nicht abschließend bewerten. "Die | |
Sicherheitskräfte sind sensibilisiert, aber für uns ist das auch noch ein | |
neues Phänomen", sagt NRW-Ministeriumssprecher Jörg Rademacher. Man müsse | |
abwarten, was die Rechtsextremen bei diesen Versammlungen tatsächlich | |
unternehmen. | |
Auch in Bayern sind die Flashmobs im Blickfeld der Sicherheitsbehörden. | |
"Die Polizei wird genau darauf achten, aber es muss in jedem Einzelfall | |
festgestellt werden, ob es sich um eine spontane oder eine unangemeldete, | |
geplante Veranstaltung handelt", erklärt Holger Plank, Sprecher des | |
bayrischen Innenministeriums. "Die Teilnahme an einer nicht angekündigten | |
und nicht spontanen politischen Versammlung wäre ein Straftatbestand in | |
Bayern", sagt Plank. In diesem Fall würde die Polizei die Teilnehmer | |
feststellen. Er glaube nicht, dass die Neonazis tatsächlich innerhalb von | |
fünf Minuten wieder verschwunden seien, fügt Plank hinzu. | |
Es bleibt die Frage, ob die blitzschnellen Versammlungen dann auch wieder | |
aus der Szene verschwinden. „Wenn ihnen das gelingt und es genügend | |
Aufmerksamkeit gibt, dann werden sie es wiederholen“, urteilt Hajo Funke. | |
„Sie sind zu allem fähig, auch zu flexiblen Taktiken.“ | |
16 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
A. Speit | |
M. Haensch | |
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