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# taz.de -- Verteilungskämpfe in der Musikindustrie: Für eine Handvoll Euro
> Der Umbruch der Musikindustrie stiftete viele Diskussionen auf der c/o
> pop in Köln. Wenigstens entschädigten schöne Konzerte für das trocken
> Brot der Panels.
Bild: Langatmige Diskussionen, gute Konzerte: die c/o pop in Köln.
Nein, die c/o pop ist auch im sechsten Jahr noch immer nicht die neue
Popkomm. Und ja, das ist ein Kompliment. Denn das übersichtliche
Beisammensein am Rhein hat wenig mit dem Businesstreffen aus den Hochzeiten
der Musikindustrie zu tun. Schon, weil die großen Marktteilnehmer fast
vollständig fernblieben. Ausverkauft war die c/o pop trotzdem und nebenbei
auch noch sehr lehrreich. Wer erleben wollte, wie eine Branche im Umbruch
ihre Verteilungskämpfe austrägt, der war letzte Woche in Köln an der
richtigen Stelle.
Unter dem Banner "Werte 2.0" wurde der Begriff des "Geistigen Eigentums"
verhandelt. Auf dem Podium trafen sich Vertreter der Tonträgerverbände
IFPI, der die Majorlabels vertritt, sowie des für Indies zuständigen VUT
mit VertreterInnen aus Politik, Wissenschaft, der GEMA und der
Piratenpartei - also alle wichtigen Akteure in Sachen Internet, Musik und
Urheberrecht, könnte man meinen. Nur die Urheber selbst, die Komponisten
und Texter, waren nicht vertreten, sondern meldeten sich mit eigenem Panel
zu Wort.
"Die friedlichen Beziehungen zwischen Urhebern und Verwertern sind vorbei",
erklärte der Kulturwirtschaftsberater Michael Söndermann, der vom
Autorendachverband ADAM als Sprecher eingeladen wurde. Die 2.400
selbständigen Komponisten und Textdichter seien der Ursprung jeder
Wertschöpfung in der Musikwirtschaft, ihr Anteil am erzielten Umsatz jedoch
zu klein. Dennoch war die Neigung zu grundsätzlichen Konflikten gering
ausgeprägt. "Die GEMA ist der legitime Vertreter der Urheber," erklärte
Textschreiber Frank Dostal. Womit ein potentieller Konflikt schon mal
eingedämmt sein dürfte, Alternative Vergütungsmodelle wie die
Kulturflatrate haben im GEMA-Aufsichtsratmitglied Dostal keinen
Unterstützer. Sorge um die Außendarstellung seiner Branche macht er sich
trotzdem: "Wir laufen Gefahr als winzelnde Wauwis am Straßenrand zu
kläffen."
Damit hat er nicht Unrecht. 15 Jahre nach den ersten Modellen für den
Musikverkauf im Internet wirkt die Musikindustrie in Internet immer noch
unsouverän, entscheidende Ideen kommen weiterhin von außerhalb der Branche.
"Wir müssen Modelle entwickeln, die für den User genauso bequem wie
Filesharing sind," erklärte Mark Chung vom VUT.
Kein Wunder, dass der Name "Spotify" während der Convention immer wieder
mit großen Augen erwähnt wird. Die Software ermöglicht es Usern auf ihren
Rechnern Musik im Internet zu hören als wäre sie auf der eigenen Festplatte
gespeichert - und zwar ohne Zusatzkosten. Spotify kauft die Zugangsrechte
als Paket von den Labels und finanziert das Modell durch Werbung, so die
Theorie. In Deutschland verhandelt die Firma allerdings noch mit der GEMA
und auch für die Labels ist das Streaming von Inhalten für Labels im Moment
weniger lukrativ als der CD-Verkauf.
Eine zufriedenstellende Lösung für die dünnen Finanzdecken der Labels und
die notorisch niedrigen Einnahmen von Musikern scheint also nicht in Sicht.
Von daher hält man sich bei der c/o pop mit Debatten über den kulturellen
Wert von Musik nicht lange auf. Was nicht zuletzt an Dieter Gorny liegt.
Mit hochrotem Kopf sitzt der Vertreter der Majorlabels auf dem Podium,
wettert gegen die "Ideologisierung der Debatte über das Internet" und
fordert, dass man "die Zäune höher bauen müsse", um illegales Filesharing
einzudämmen. Den Saal hat er auf jeden Fall auf seiner Seite. "Sie wollen
uns doch verkaufen", ruft eine Stimme aus dem Publikum dem SPD-Politiker
Thorsten Krüger zu, als dieser den Begriff "Gemeingut" in die Debatte
wirft.
Der Betreiber eines kleinen Independentlabels zieht gar die Einführung der
Straßenverkehrsordnung als Vergleich heran. Dort habe es sechzig Jahre
gedauert, bis die Politik etwas gegen die hohe Zahl der Verkehrstoten
unternommen hat. Der entlassene Musikmanager als Unfallopfer von heute - so
treffend hat noch niemand die Absurdität auf den Punkt gebracht, mit der
die Partikularinteressen der Musikbranche in der weit darüber hinaus
reichenden Debatte um geistiges Eigentum als besonders schützenswert
erachtet werden.
## Pop im Konzerthaus
Dabei hat die Politik mittlerweile eine weitaus aktivere Rolle in der
Föderung von Popmusik eingenommen. Dieter Gornys Tirade über den
"etatistischen Komplex" aus Politik und Kulturestablishment, der Popkultur
den Zugang zu den Fördertöpfen der Hochkultur verweigere und so den
Anschluss an die Kultur der Gegenwart verliere, wird durch die Praxis der
Konzerthäuser an Rhein und Ruhr konterkariert. Fast überall treten
regelmäßig Pop-Acts auf, in Dortmund leistet man sich schon seit Jahren ein
eigenes Pop-Abo.
Damit ist nicht der Konflikt zwischen E-und U-Musik beseitigt. Die
Konzerthäuser stehen in erster Linie unter dem Druck, ihre
Auslastungszahlen zu erhöhen und haben im Stadtmarketing einen guten
Verbündeten. Denn nicht nur die gern herbeizitierte "kreative Klasse" an
Kulturarbeitern schätzt ein breites Angebot an Popkonzerten, auch Ärzte,
Lehrer und Anwälte.
Manchmal fällt dies alles zusammen. Beim ausverkauften Konzert von Beirut
in der Philharmonie in Köln am Eröffnungsabend der c/o pop zum Beispiel.
Bei der Zugabe stürmt das euphorische Publikum die Bühne und der Sprecher
des Hauses freut sich im Anschluss darüber, dass die Spontanbesetzung so
gesittet ablief.
Glücklicher Weise entschädigten die Konzerte beim c/o pop-Festival noch
häufiger für die große Anzahl an Nicklichkeiten im Diskurs. Die intimen
akustischen Songs der Tiny Vipers brachten eine ganze ehemalige Rotlichtbar
voller mitteilungsbedürftiger Hipster zum andächtigen Schweigen, der
Kompakt-Labelabend verlief wie gewohnt schwitzig und bis in die frühen
Morgenstunden. Der Berliner Prankster Gonzales nahm im weißen Frack in der
Filiale eines anglophilen Herrenmodedesigners am Flügel Platz und kündigte
an, sein neues Album "Broccoli" zu nennen: "You may not like it, but it's
good for you."
## Drama Queen Patrick Wolf
Zwei Tage zuvor hatte der Jungs- und Mädchenschwarm Patrick Wolf bei einem
Open-Air-Konzert seine Rolle als Drama Queen ein wenig übertrieben und die
Tontechniker mit einem Mikroständer beworfen, als diese ihm wie
abgesprochen um 22.00 den Strom abdrehten. Was dann aber ein schöner
Kontrast zu Bill Callahan war, der später am gleichen Abend wie gewohnt
stoisch am Publikum vorbei ins Leer starrend seine Songs abspulte und
wieder einmal bewies, dass amerikanischer Indierock immer dann auf der Höhe
der Zeit ist, wenn er sich auf die lange Tradition erzählenden
Songwritertums beruft.
In solchen Momenten fiel auf, wie wenig Nutzen Popmusik von den verhärteten
Fronten in Urheberrechtsfragen haben dürfte, weil sie im wesentlichen
darauf basiert, Unikate zu verfügbaren Oberflächen aufzuwerten und sie
durch Verfremdung, Parodie und Zitat weiterzuentwickeln. Was sich zeigt,
wenn die charmanten DIY-Popper von The Whitest Boy Alive dem Labelbetreiber
Daniel Miller freundlich zuwinken, indem sie ein paar Akkorde von Depeche
Mode spielen, die er seit der ersten Single unter Vertrag hat. Und man
selber als erstes denkt: "Hoffentlich haben die das bei der GEMA
angemeldet." Falls dem nicht so ist - tut mir leid, dass ich sie verpfiffen
habe.
16 Aug 2009
## AUTOREN
Christian Werthschulte
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