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# taz.de -- John Grishams neuer Verschwörungsthriller: Der zweite Maulwurf
> Der neue Roman "Der Anwalt" von John Grisham ist ein filmreifer Thriller
> mit viel Paranoia, Spannung und noch mehr Verschwörungen - und spielt im
> Milieu großer Kanzleien.
Bild: John Grisham ist u.a. bekannt durch seine Welterfolge "Die Firma" und "De…
Zwei unauffällige Herren passen Kyle McAvoy am Sportplatz ab, als er,
vielversprechender Jurastudent, Basketball mit Problemkids trainiert;
Sozialarbeit, der Idealismus des Jungmenschen aus guter Familie. Oft hat
man die beiden Herren im Kino, im TV gesehen, sich aber nie die Namen der
Darsteller gemerkt.
Kyle McAvoy dagegen, dessen Rite de passage in John Grishams neuem Roman
"Der Anwalt" erzählt wird, muss prominent besetzt sein. Der Schauspieler
Kyle McLachlan ("Blue Velvet") ist natürlich zu alt. James McAvoy
("Abbitte") könnte angehen. Obwohl der junge Mann vermutlich blond ist,
blond wie Brad Pitt, der wiederum längst die Altersgrenze überschritten
hat.
Bald tritt hinter den zwei gesichtslosen Herren des Anfangs der wahre
Mephisto hervor, Bennie Wright, FBI. Er präsentiert McAvoy eine ganze
juristische Akte; vor allem aber zeigt er ihm das Video, das all die Jahre
erfolglos gesucht wurde, um den Prozess zu beginnen. Wie bei einer
Studentenparty seine Freunde Joey Bernardo und Baxter Tate ein Mädchen
namens Eileen Keenan, bewusstlos dank Booze und Dope, vergewaltigt haben.
Eileen Keenan ist Reese Witherspoon. Joey Bernardo und Baxter Tate,
diesseits der Altersgrenze hätten das John Cusack und Tim Robbins sein
können. Und Bennie Wright, das wäre ohne Zweifel Tommy Lee Jones gewesen,
allein wegen seines satanischen Grinsens. Das er jetzt gleich fett
vorführt. Denn es gibt zwar das Video, es gibt aber keine Ermittlungsakte
gegen McAvoy, und Tommy Lee Jones ist nicht vom FBI. Er arbeitet für eine
grandiose Organisation im Dunkeln.
In ihrem Dienst soll James McAvoy seine nächsten Karriereschritte
unternehmen; ihn dazu zu erpressen, dafür taugt das Sexvideo - nein, Kyle
McAvoy natürlich. Aber von den Grisham-Filmen behält man immer die
Darstellernamen im Kopf statt ihrer Namen im Roman. Tom Cruise ist der
brillante junge Anwalt, der in "Die Firma" die Mafia als Auftraggeber
seiner renommierten Kanzlei entdeckt, und die Heldin von "Die Akte" heißt,
wie jeder weiß, Julia Roberts, der Held Denzel Washington; gemeinsam
verfolgen sie die mörderische Intrige bis hinauf ins Weiße Haus. McAvoy
plante, nach dem Studium eine Zeit lang Gutes zu tun, bei einer
Non-Profit-Organisation. Erst danach wollte er das schwere Geld ins Auge
fassen und bei Scully & Pershing eintreten, der größten Anwaltsfirma der
Welt, mit Zweigstellen in allen Ländern der Erde (ich übertreibe).
John Grisham scheint seine Namen mit viel Bedacht zu wählen, und so darf
man den Maler Sean Scully und den General Pershing anklingen hören. Zumal
die feindselige Gegenfirma Agee, Poe & Epps heißt, worin man die Namen von
Grishams Kollegen James Agee - der "African Queen" schrieb und ein
bedeutender Filmkritiker war - und Edgar Allan Poe mithören darf.
Im Krieg mit Agee und Poe
Es geht um Waffentechnologie, einen Superbomber, Scully & Pershing befindet
sich für Trylon Aeronautics im Krieg mit Agee, Poe & Epps, die Bartin
Dynamics vertreten. McAvoy, schon immer ein Liebhaber von
Spionageliteratur, soll die Akten über den Hyperschallbomber kopieren und
Tommy Lee Jones und seinen verborgenen Auftraggebern verschaffen, wozu
natürlich kein einfacher Fotokopierer mehr taugt wie bei Tom Cruise in "Die
Firma" - und dann die Akten auf einem Bötchen in der Karibik verstauen -
nein, komplizierte Technologie kommt zum Einsatz, die einen ganzen Subplot
erheischt.
Die Firma Scully & Pershing wäre durch Gene Hackman und Brian Dennehy
repräsentiert worden; aus "Die Akte" käme vielleicht Sean Shepard herüber,
und auf jeden Fall sähen wir John Goodman in einem schneeweißen Hemdzelt,
wenn er in der finalen Auseinandersetzung das Jackett ablegt.
McAvoys Vater John hingegen, der seine kleine Kanzlei in einer kleinen
Stadt in Pennsylvania betreibt und am Ende die Sache mit Reese Witherspoon
in Ordnung bringt, das ist natürlich Martin Sheen. Er raucht noch
Zigaretten - so wie Präsident Bartlet, den Martin Sheen in der grandiosen
TV-Serie "The West Wing" gibt, was auf Obama vorausdeutete, der ebenso der
Zigarette noch nicht restlos abschwören konnte, unterdessen ein eigenes
Indiz für Nonkonformismus.
Die wichtigste Person an der zweiten Romanfront ist Baxter Tate (Tim
Robbins). Schwacher Abkömmling einer schwerreichen Neuengland-Dynastie,
wollte er unbedingt Star in Hollywood werden, was in der Verfilmung
Cameo-Auftritte von Susan Sarandon und Ellen Chenoweth und Steven Spielberg
ermöglicht.
Stattdessen verfällt Tim Robbins Alkohol und Drogen, und die letzte
Entziehungskur, die sein dominanter Onkel Walt (Scott Glenn) bezahlt, endet
tatsächlich in einer Wiedergeburt. Tim Robbins verabredet eine Aussprache
mit Reese Witherspoon. Unterwegs wird er in der Toilette eines Rasthauses
erschossen.
In "Die Firma" und in "Der Klient" erkennen wir die Mafia im Hintergrund;
in "Die Akte" geht die Intrige bis zum US-Präsidenten (Robert Culp), der
mit dem verbrecherischen Kapital kooperiert. Aber in allen Fällen findet
die Geschichte eine Auflösung. In Grishams neuem Roman fehlt sie.
In wessen Auftrag genau Tommy Lee Jones den jungen Anwalt die Akten über
den Superbomber zu beschaffen zwingt, das lässt der Roman mit Gusto offen.
Die gegnerische Anwaltsfirma, Agee, Poe & Epps? Die gegnerische
Produktionsfirma, Bartin Dynamics? Arbeitete Tommy Lee Jones, der durch
keine Recherche zu identifizieren ist womöglich für die US-Regierung, die
einen gänzlich undurchsichtigen Zweck verfolgt?
Und noch eine zweite Verdachtsbombe darf am Ende McAvoy den hohen Herren
von Scully & Pershing ins Nest legen. Irgendeiner von ihnen, John Goodman
oder Gene Hackman oder Brian Dennehy oder Sam Shepard, ist ein zweiter
Maulwurf, der die Gegenseite auf dem Laufenden hält.
Geheime Hauptfigur
Eine dekonstruktivistische Pointe, die der Originaltitel des Romans
ausspricht. "The Associate", in der Übersetzung "Partner", der Terminus
technicus wäre "Sozius", ist die geheime Hauptfigur der Erzählung, und die
Genossen von Scully & Pershing nehmen es mit Schrecken zur Kenntnis. So
bleiben sie zurück, während McAvoy gemeinsam mit Martin Sheen eine
gemütliche Kanzlei in Rhode Island aufmacht, McAvoy & McAvoy - in eine
ebensolche gemütliche Kanzlei übersiedelt Tom Cruise am Ende von "Die
Firma", nach Boston. Rette sich, wer kann.
Paranoia bildet das ideale Medium des Politischen, innerhalb wie außerhalb
des Romans, die Juden, das Finanzkapital, die Mafia, die Kommunisten, die
Kinderschänder, die Pharmaindustrie, der Überwachungsstaat. Bürger werden
körperlich politisch von Washington angegriffen, das ist in den USA, wie
man verwundert liest, ein grundsätzliches Misstrauen insbesondere der
politischen Rechten.
Versteht sich, dass John Grisham kein Prosameister ist wie, sagen wir: John
Updike. Aber da man auf Spannung liest, fällt es bald aus der
Aufmerksamkeit heraus, dass die Prosaoberfläche, die Personen, die Szenen
glatt sind wie Resopal.
Deshalb kommt man so rasch aufs Kino, wo die Geschichte noch besser liefe,
mit den bewährtesten Kräften, Tommy Lee Jones und John Cusack und Tim
Robbins; die nur alle leider schon zu alt sind. Als hätte die Verfilmung
längst stattfinden sollen, in der Vergangenheit, in den Neunzigern, als
John Grisham in Text und Bild seinen Markennamen aufbaute, als Lieferant
gediegener Ware. Sind die Darsteller gut, sind die production values hoch,
kann das Kino mit jeder Szene gleich eine Dichte und Präsenz aufbauen, um
die eine Prosaerzählung sich lange mühen muss. Wenn sie es überhaupt
schafft.
John Grisham: Der Anwalt. Aus dem Englischen von Imke Walsh-Araya.
Heyne-Verlag München, 2009, 448 S., 21,95
17 Aug 2009
## AUTOREN
Michael Rutschky
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