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# taz.de -- Debatte Obama und die Kanzlerin: Der Cousin in der Ferne
> Wenn Deutschland wieder mehr Gewicht in Washington bekommen möchte,
> müsste die Außenpolitik wieder eigenständig werden.
Als die Bundeskanzlerin Ende Juni das Weiße Haus besuchte, lobte unser
Präsident sie mit Worten, die selbst der Presseabteilung im Kanzleramt
übertrieben vorgekommen sein dürften. So pries er ihre "Weisheit", nicht
nur ihren Pragmatismus. Er soll sogar spontan vorausgesagt haben, dass
Merkel die Wahl erneut gewinnen wird.
Meine Interpretation dieser Äußerungen, nämlich dass die USA eine
Zusammenarbeit mit Merkel statt Steinmeier favorisierten, wurde umgehend
vom Spiegel zitiert. Und auch jetzt sehe ich keinen Anlass, mich zu
revidieren. Wobei, eine Modifikation möchte ich vornehmen. Auch wenn er
über die Bundestagswahlen in Deutschland spricht, unser Präsident bleibt
ein Experte dafür, wie man amerikanische Wahlen gewinnen kann. Und dafür,
dass er und sein Außenministerium die Bundestagswahlen in irgendeiner Weise
für wichtig erachten würden - dafür gibt es derzeit nun wirklich gar kein
Indiz. Das wiederum hatte der Spiegel ein wenig anders dargestellt.
Die Aufmerksamkeit der Regierung, ihrer Berater und Kommentatoren
konzentriert sich auf ganz Afghanistan und Pakistan, auf Irak und Israel,
auf China, Russland, Nordkorea, selbst auf Honduras und selbstverständlich
auf Venezuela. Zwar kann Europa nicht von der Landkarte gewischt werden,
aber es bleibt aus amerikanischer Sicht doch vor allem das Gebiet, über das
unser stets expandierendes Corps von Gesandten hinwegfliegt, um anderswo
eine dringende Mission zu erledigen.
In mancherlei Hinsicht drückt sich in unserer Gleichgültigkeit und sogar
Distanz gegenüber Europa die amerikanische Gewissheit aus, dass Deutschland
unser größter, gediegenster und berechenbarster transatlantischer Partner
bleiben wird. Zwar rechnet man nicht mehr damit, dass die Deutschen uns in
allen Punkten folgen werden. Nicht zuletzt ihr militärisches Engagement in
Afghanistan ähnelt wie nichts anderes dem japanischen Kabuki-Theater - also
dem rituellen Maskendrama, dessen Ausgang unendlich hinausgezögert wird.
Dennoch, wir können uns darauf verlassen, dass Deutschland - wie der Rest
der EU - nicht allzu viele störende Fragen stellen oder gar globale
Alternativen aufzeigen wird, die unsere Regierung wiederum massiv unter
Druck setzen könnten.
Natürlich ist es richtig, dass Obama die USA bei einer Reihe von strittigen
Themen wieder näher an einen westlichen Konsens herangeführt hat.
Diejenigen im östlichen Europa, die nach einer Konfrontation mit Russland
dürsten, werden sich noch ein wenig mit seiner strengen Rhetorik begnügen
müssen - ebenso wie mit einer zusehends differenzierteren Politik. Das ist
so weit in Ordnung. Eine Schwierigkeit jedoch besteht darin, dass
Washington mit vergleichbarer Zurückhaltung auch auf Entwicklungen
reagiert, die die Europäer mit Sorge betrachten. Etwa wenn es um
Umweltfragen, weltweite Armut, Menschenrechte geht oder darum, sich der
brutalen Arroganz der Bush-Regierung zu entledigen. Obamas Absichten sind
brillant, seine Politik bleibt entschieden verhaltener.
In Teilen erklärt sich seine Zögerlichkeit aus der institutionellen
Trägheit des amerikanischen Empires: ein auf Veränderung ausgerichteter
Kurs würde die materiellen und ideologischen Interessengruppen noch mehr
bedrohen als einer, der auf Revision setzt. In jedem Fall sind die
Lobbyisten sehr beschlagen darin, widerspenstige Präsidenten zur
Kontinuität zu überreden.
Im Falle der Obama-Regierung sind im Apparat des Außenministeriums immer
noch Stellen zu besetzen (was zeigt, wie sehr unsere Bürokratie erstarrt
ist). Zudem teilen sich die Anhänger von Clinton und die von Obama die
Posten der Staatssekretäre. Vergleichbar mit dem libanesischen Parlament,
wo sich Muslime und Christen miteinander arrangieren müssen - und mit
ungefähr genauso viel gegenseitigem Vertrauen. Das Pentagon pflegt seine
eigene Außenpolitik, und der CIA verfolgt noch mal eine andere. Das Weiße
Haus hat durch den Nationalen Sicherheitsrat natürlich die ultimative
Autorität inne - doch in dem permanenten Chaos ist es alles andere als
einfach, sie tatsächlich auszuüben.
Darüber hinaus verfügen die höheren Regierungsvertreter nur sehr selten
über Kenntnisse von Europa oder gar von Deutschland. Auch unserem
admirablen kosmopolitischen Präsidenten fehlt die Erfahrung mit Europa.
Doch vom Lebensweg Angela Merkels ist er beeindruckt (so wie schon George
W. Bush vor ihm). In jedem Fall werden er und seine Leute sich gerade jetzt
noch mehr auf die heimischen wirtschaftlichen und sozialen Probleme
konzentrieren. Die verbale Gewalt in der Diskussion um eine staatliche
Krankenversicherung ist eine Warnung, die der Präsident nicht ignorieren
wird: Unsere internen Konflikte drängen mit neuer Intensität an die
Oberfläche.
Unter diesen Umständen sind Deutschland und die Bundestagswahlen von
sekundärem, wahrscheinlich sogar eher von tertiärem Interesse. Was
Deutschland in Washington mehr Gewicht verleihen könnte, wäre die
Wiederbelebung einer eigenständigen deutschen Außenpolitik - vom Range etwa
der früheren Ostpolitik oder der Verweigerung der Schröder-Regierung, sich
an dem Irak-Desaster zu beteiligen.
Die New York Times veröffentlichte unlängst einen Beitrag, der sich mit den
geistigen Grundlagen der amerikanischen Afghanistan-Politik befasste. Er
machte die uneingeschränkte intellektuelle Verelendung ebenso deutlich wie
die geradezu grotesken Illusionen. An diesem Punkt könnte Deutschland -
gemeinsam mit anderen Europäern - ansetzen, um Einfluss zu nehmen; könnte
Deutschland Obama den Rücken gegen seine heimischen Kritiker stärken.
Das würde natürlich ein Deutschland erfordern, in dem die Eliten und die
Öffentlichkeit nicht mehr ängstlich aufs Weiße Haus schielen und sich nicht
mehr vor allen Dingen fragen, ob dieses vielleicht doch noch ihre innere
Souveränität beschränken wolle.
Aus dem Amerikanischen von Ines Kappert
21 Aug 2009
## AUTOREN
Norman Birnbaum
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