| # taz.de -- Wahlverlierer in Thüringen: Die Ära nach Althaus | |
| > Er wollte Ministerpräsident bleiben, obwohl er keine Kraft mehr hatte. | |
| > Jetzt muss Dieter Althaus die Koalitionsverhandlungen nur noch mit | |
| > Anstand überstehen. | |
| Bild: Althaus quält sich vor aller Augen - wie lange noch? | |
| BERLIN/ERFURT taz | Das unerwünschte Foto kann sie nicht verhindern. Als | |
| sich CDU-Chefin Angela Merkel vor der montäglichen Präsidiumssitzung ihrer | |
| Partei am Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus vorbeidrängelt, | |
| drücken die Fotografen ab. "Schwarze Blicke", schreiben die Zeitungen am | |
| Dienstag drunter, "betretene Gesichter". Dabei will Merkel genau das | |
| vermeiden: dass sie in Verbindung gebracht wird mit dem Absturz des Mannes, | |
| der früher mal als ihr Vertrauter galt. | |
| Exakt acht Monate ist es nun her, dass Althaus bei einem Skiunfall in | |
| Österreich eine Frau tödlich und sich selbst schwer verletzte. Seit seiner | |
| Rückkehr vor fünf Monaten quälte er sich vor aller Augen durch den | |
| Wahlkampf, absolvierte ohne jede Gefühlsregung Auftritt um Auftritt, | |
| Interview um Interview. Monatelang schauten die Parteifreunde kommentarlos | |
| zu. Seit Sonntag, 18 Uhr, beginnen sie von Althaus abzurücken. Seither | |
| erlebt der noch amtierende Ministerpräsident, wie es ist, wenn sich die | |
| Macht verflüchtigt. | |
| Althaus wirkt derzeit wie ein Kind, das nicht ins Bett will, aber schon | |
| sehr müde ist. Trotzig, nicht mehr kämpferisch. Mit reglosem Gesicht tritt | |
| der Ministerpräsident am Montagabend nach der Sitzung des | |
| CDU-Landesvorstands vor die Presse. Er genieße das Vertrauen seiner Partei, | |
| behauptet er. "Es gab keine Kritik an meiner Person." Natürlich sei das | |
| Wahlergebnis unbefriedigend, die Gründe werde man analysieren. Nach der | |
| Regierungsbildung. | |
| Der Pressetermin wurde kurzfristig angesetzt, viele Journalisten kamen. | |
| Rücktrittsgerüchte machten die Runde, es hätte gut in die Abendnachrichten | |
| gepasst. Den Gefallen tat Althaus den Reportern nicht. Noch nicht. Auf die | |
| Frage, ob er in einer Koalition mit der SPD Ministerpräsident bleibe, | |
| zögert er. Dann kommt ein mattes "Ja". | |
| Dabei rumort es in der Thüringer CDU längst. "Wir müssen über alles reden, | |
| auch über Personen", sagt Stefan Gruhner, Landesvize der Jungen Union. | |
| "Dieter Althaus muss sehen, dass er in einem Team arbeitet", sagt die | |
| scheidende Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski, einst CDU-Kandidatin für | |
| das Amt der Bundespräsidentin. | |
| An Dieter Althaus scheint all das abzuprallen. Er setzt auf ein "Weiter | |
| so". Dabei wirkt er kraftlos, und das seit Monaten. | |
| Beim Wahlkampfabschluss schlich er vergangenen Freitag nach einer lustlosen | |
| Rede durch die Zuschauermenge. Immer wieder setzte er sich erschöpft auf | |
| eine Bank, ließ sich Autogrammkärtchen reichen und lächelte gequält, wenn | |
| er die Karte samt Unterschrift überreichte. Ins Gespräch mit Bürgern kam er | |
| selten. Statt den anpackenden Ministerpräsidenten zu mimen, ließ er die | |
| Menschen auf sich herabblicken. | |
| Viele fragen sich, ob Althaus nach dem Unfall vom Neujahrstag überhaupt | |
| noch Kraft genug hätte für zähe Koalitionsverhandlungen und fünf Jahre | |
| Regierungsverantwortung. "Körperlich und geistig bin ich wieder ganz der | |
| Alte", sagte er im Wahlkampf. Sein Verhalten in der Öffentlichkeit lässt | |
| daran zweifeln. Selbst Parteifreunde registrierten seine Gefühlskälte, | |
| typische Spätfolge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas. Mechanisch wie ein | |
| Roboter beantwortete er mit vorgestanzten Floskeln Journalistenfragen, in | |
| der Elefantenrunde des Mitteldeutschen Rundfunks ebenso wie im Interview | |
| der taz. Als wolle er unbewusst signalisieren: Helft mir! | |
| Aber es half ihm niemand. Seine Parteifreunde schauten zu, bis zum | |
| Wahlabend. | |
| Offen spricht in der CDU noch niemand über die Zeit nach Althaus. Dabei | |
| steht längst Sozialministerin Christine Lieberknecht parat. Sie gilt als | |
| einzige Thüringer CDU-Politikerin, die das Format für eine Führungsposition | |
| hätte. Bereits Anfang des Jahres wurde sie als mögliche Nachfolgerin | |
| gehandelt. | |
| Im Gegensatz zu anderen Thüringer Christdemokraten versteht sich die | |
| 51-Jährige gut mit dem drei Jahre jüngeren SPD-Chef Christoph Matschie. | |
| Beide studierten in der DDR evangelische Theologie, beide führten jahrelang | |
| die Landtagsfraktion ihrer Partei. Als frühere Ministerin für | |
| Bundesangelegenheiten und als Vorstandsmitglied der parteinahen | |
| Konrad-Adenauer-Stiftung hat Lieberknecht zudem gute Verbindungen nach | |
| Berlin. Sie gilt als weltoffen, was in der örtlichen CDU keine | |
| Selbstverständlichkeit ist. | |
| Während sich die CDU bereits auf einen Abschied ihres Wahlverlierers | |
| einstimmt, ist ein Ausweg aus dem rot-roten Streit weiterhin nicht in | |
| Sicht. Deshalb scheint sich die SPD bereits auf eine große Koalition ohne | |
| Althaus einzustellen. Spitzenkandidat Christoph Matschie reagiert auf die | |
| Frage am Montagabend zunächst mit sekundenlanger Stille, dann mit einem | |
| verräterischen Lächeln. | |
| Offiziell hält sich der Taktiker Matschie noch bedeckt. "Wir bevorzugen | |
| derzeit keine der beiden Optionen", sagt er - und wiederholt: "Das System | |
| Althaus ist abgewählt." An Personaldebatten in der CDU wolle er sich nicht | |
| beteiligen, die liefen auch ohne ihn. Mit Althaus, so viel steht fest, wird | |
| er keine Regierung bilden können. Dafür hat er ihn im Wahlkampf zu heftig | |
| attackiert. Eine Rücktrittsforderung spricht er dennoch nicht aus. Das ist | |
| klug. Sonst müsste sich die CDU mit Althaus solidarisieren, so wie sich die | |
| Bundespartei nach den rüden Attacken Gerhard Schröders vom Wahlabend 2005 | |
| um Verliererin Merkel scharte. | |
| Matschie lächelt viel in diesen Tagen, trotz des bescheidenen | |
| SPD-Ergebnisses. Es ist ihm gelungen, sich in die komfortable Situation des | |
| Königmachers zu manövrieren. Jetzt kann er abwarten, wer das bessere | |
| Angebot macht. Ohne die SPD kann in Thüringen nicht regiert werden. | |
| Der neue Regierungschef wird jedenfalls nicht Bodo Ramelow heißen, darauf | |
| hat sich Matschie festgelegt. Die Situation zwischen SPD und Ramelows | |
| Linkspartei ist verfahren. Nach Informationen der Thüringer Allgemeinen | |
| haben sich Ramelow und Matschie schon vor ein paar Tagen getroffen. Der | |
| SPD-Mann soll dabei einen Kompromissvorschlag ausgeschlagen haben. Ramelow | |
| habe den parteilosen Eisenacher Pfarrer Ralf-Uwe Beck als | |
| Ministerpräsidenten vorgeschlagen, so die Zeitung. | |
| Bei der Linkspartei glaubt ohnehin keiner an eine derartige Lösung. "Ich | |
| rechne fest mit der großen Koalition", sagt ein langjähriges | |
| Parteimitglied. Zwar liefen intern Gespräche mit Sozialdemokraten, die | |
| nicht hinter der strikten Haltung von Matschie stünden. Die | |
| Landtagsfraktion, die den Ministerpräsidenten wählen muss, sei aber zum | |
| größten Teil "auf Matschie-Linie". | |
| So scheint dem Thüringer SPD-Chef zu gelingen, was seine hessische Kollegin | |
| Andrea Ypsilanti vor anderthalb Jahren leichtfertig verspielte: das | |
| Wahlversprechen zu halten und gleichzeitig den ungeliebten | |
| CDU-Ministerpräsidenten vom Sockel zu stoßen. | |
| Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass Althaus die Phase der | |
| Koalitionsverhandlungen noch mit Anstand übersteht. Den Eindruck eines | |
| dynamischen Verhandlungsführers machte er in den vergangenen Tagen | |
| jedenfalls nicht. Bösartige Beobachter vergleichen die Hilflosigkeit seiner | |
| Auftritte schon mit den letzten Pressekonferenzen Uwe Barschels, das Ausmaß | |
| des Realitätsverlusts mit dem späten Erich Honecker. | |
| Auch politisch Nahestehende äußern nun öffentlich, was sie bis Sonntag | |
| allenfalls dachten. "Das hätte in Thüringen die CDU erkennen müssen, dass | |
| Herr Althaus das nicht packt", sagte im MDR-Fernsehen etwa der Leipziger | |
| Maler Michael Fischer-Art, mit Staatsaufträgen reich gesegnet und | |
| CDU-Wahlmann bei der letzten Bundespräsidentenwahl. "Ich als Familienvater | |
| kann nachvollziehen: Wenn so etwas passiert, kann man nicht mehr | |
| Ministerpräsident sein. Das hätte man merken müssen, das ging nicht." | |
| 2 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| M. Bartsch | |
| R. Bollmann | |
| P. Wrusch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |