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# taz.de -- Globale Erwärmung: Zwei Grad zu viel
> Grönlands Eismassen schmelzen schneller als erwartet. Ein Teufelskreis
> beginnt, in dem sich Eisschmelze und globale Erwärmung gegenseitig
> verstärken.
Bild: Eisberge werden in Grönland zukünftig wohl ein seltenes Phänomen.
STOCKHOLM taz | Ein Viertel der Erdbevölkerung könnte bis 2100 von
Überflutungen betroffen sein, warnt die am Mittwoch veröffentlichte
WWF-Studie "[1][Arctic Climate Feedbacks: Global Implications]". Wie ein
Teufelskreis treiben die Eisschmelze in der Arktis und die globale
Erderwärmung sich gegenseitig an, lautet deren Fazit: Wenn die helle
Eisfläche schrumpft und die dunkle Meeres- und Erdoberfläche wächst, wird
mehr Sonnenergie absorbiert. Das treibt die Temperaturen weiter in die
Höhe, setze in der Polarregion große Mengen des dort eingefrorenen
Treibhausgases Methan frei und verstärke die globale Erderwärmung, die
ihrerseits das arktische Eis rascher schmelzen lässt.
Es war nicht die einzige alarmierende Klimameldung in den letzten Tagen.
Zwei Forschergruppen, die an Materialien für den nächsten Sachstandsbericht
des IPCC-Klimapanels arbeiten, der im Jahre 2013 erscheinen soll, kamen
unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass das bisherige Zwei-Grad-Ziel
nicht ausreichen wird.
Die Hoffnung, es wäre ausreichend, die globale Temperatursteigerung auf
plus zwei Grad zu begrenzen, gründet ihrer Meinung nach auf überholten
Berechnungsgrundlagen. Auf diesem "Zwei-Grad-Kriterium" beruht
beispielsweise die bisherige Zielsetzung der EU, den Kohlendioxidausstoß
bis zum Jahre 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Auch die Verhandlungen des
Weltklimagipfels im Dezember in Kopenhagen werden voraussichtlich ebenfalls
um dieses Zwei-Grad- Ziel kreisen.
Der dänische Polar- und Klimaforscher Sebastian Mernild legte in der
vergangenen Woche auf einer Klimakonferenz im grönländischen Nuuk neue
Modellrechnungen vor, die an der Kopenhagener Universität und am Arctic
Research Center der University of Alaska in Fairbanks vorgenommen worden
sind. Danach drohe dem grönländischen Inlandeis der "tipping point" - der
Punkt, von dem an eine ständig zunehmende Abschmelzung stattfindet -
bereits bei einer Temperatursteigerung in dieser Region um 0,7 bis 1,2
Grad.
Im IPCC-Bericht von 2007 enthaltene Szenarien erwarten eine solche Erhöhung
der globalen Temperaturen für das Jahr 2043.
"Dabei ist aber nicht berücksichtigt, dass nach den bisherigen Erfahrungen
die Temperatursteigerung in der Arktis doppelt so hoch ist, wie global",
sagt Mernhild: "Hält diese Entwicklung an, wäre der kritische Punkt für
Grönland bereits mit einer globalen Temperaturerhöhung von 0,4 bis 0,6 Grad
gemessen vom aktuellen Niveau aus erreicht." Am "tipping point" wäre man
demnach wesentlich früher als 2040 angelangt. Nämlich möglicherweise
bereits in zehn bis 20 Jahren.
Mernhild will keine Voraussagen machen, "ob wir zu einem Zeitpunkt in der
Zukunft mit massiven Eingriffen die Erwärmung bremsen und vielleicht das
Inlandeis doch noch retten können", wenn dieser "tipping point" erst einmal
überschritten sei: "Jetzt deutet jedenfalls alles darauf hin, dass sich
dieser Prozess dann unabwendbar fortsetzt." Und schmelzen "nur" 20 Prozent
des grönländischen Inlandeises, würde dies einen Anstieg des Meeresspiegels
um eineinhalb Meter bedeuten.
Merhild hält es für "frustrierend", dass sich die politischen Beschlüsse
jetzt auf ein Wissen gründen, das vier bis fünf Jahre alt sei "und die
Geschwindigkeit, mit der sich die Folgen der Erwärmung in der Arktis
auswirken, nicht mehr widerspiegelt". Ähnlich geht es Eystein Jansen und
Helge Drange vom Bjerknes-Zentrum für Klimaforschung der norwegischen
Universität Bergen. Auch sie arbeiten an ersten Simulationen für
Klimamodelle des nächsten IPCC-Berichts. Und sie haben herausgefunden, dass
die Annahmen über die Fähigkeit der Natur, CO2 zu speichern, weit
überschätzt worden sind.
Gegenwärtig wird die Hälfte des Kohlendioxidausstoßes von der Vegetation an
Land oder den Meeren absorbiert. Und nur die Hälfte hat damit Auswirkungen
auf den Treibhauseffekt.
Jansen und Drange sehen nun aber eine Tendenz der Ozeane, immer weniger CO2
aufzunehmen. Unter anderem als Folge der gestiegenen Meerestemperatur. Die
war in diesem Sommer so hoch wie noch nie seit 1880 und lag beispielsweise
im Juli 0,6 Grad über der Durchschnittstemperatur der vergangenen
Jahrzehnte, im Arktischen Meer gar fünf Grad darüber. Wärmeres Wasser
absorbiert aber weniger CO2 als kälteres, sagt Eystein Jensen, Direktor des
Bjerknes-Zentrums. Auch die Vegetation an Land werde immer weniger
zusätzliches CO2 absorbieren.
"Nach unseren Berechnungen des gesamten Karbonzyklus kommen wir zum
Ergebnis, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre durch den Rückgang
der Absorptionsfähigkeit der Natur um 20 bis 25 Prozent steigen wird", sagt
Eystein Jensen. Dies führe zu einer um 0,5 bis einem Grad höheren globalen
Temperatur. Der "Puffer" von zwei Grad, mit dem man bisher gerechnet habe,
schrumpfe damit in Wirklichkeit auf nur noch ein bis eineinhalb Grad.
"Bis 2050 ist ein Rückgang bei den Kohlendioxidemissionen von 50 Prozent
deshalb völlig ungenügend", sagt Helge Drange, "es müssten schon 85 Prozent
sein." Angesichts des Unwillens der großen CO2-Verursacher, ihren Ausstoß
zu mindern, hält Drange es daher schon jetzt für wenig realistisch, dass
das Zwei-Grad-Ziel überhaupt erreicht werden kann. Ändere sich hieran
nichts Grundlegendes, sei eher eine Steigerung um drei bis vier Grad
realistisch: "Mit nicht revidierbaren Schäden für die Umwelt und enormen
Konsequenzen für Lebensmittel- und Wasserversorgung."
Die beiden norwegischen Klimaforscher präsentierten ihre
Forschungsergebnisse in der vergangenen Woche der Regierung in Oslo.
Norwegens Umweltminister Erik Solheim will Einzelheiten nicht kommentieren
- "dazu fehlt es mir an der Kompetenz" -, weist aber "auf eine Menge von
Studien hin", die alle in die gleiche Richtung gehen: "Eine weitere
Bekräftigung, dass in Kopenhagen unbedingt ein starkes und klares Ergebnis
erreicht werden muss."
4 Sep 2009
## LINKS
[1] http://assets.wwf.ch/downloads/wwf_arctic_feedbacks_report.pdf
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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