# taz.de -- Nazi-Raubkunst: Wirbel um Vermeer | |
> Die Erben der Familie Czernin streiten mit dem kunsthistorischen Museum | |
> Wien um ein Vermeer-Gemälde. Hitler wollte das Bild 1938 unbedingt haben | |
> – fand der Verkauf unter Druck statt? | |
Bild: Das Streitobjekt: "Die Malkunst" von Jan Vermeer van Delft aus dem Jahr 1… | |
Jan Vermeers "Malkunst", eines der wertvollsten Gemälde des mit alten | |
Meistern reich gesegneten Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien, soll ein | |
Restitutionsfall sein. Letzte Woche richtete der Anwalt Andreas Theiss im | |
Namen der Familie Czernin einen Brief an die Republik Österreich, in dem er | |
die Rückgabe des Prunkstücks der niederländischen Sammlung "anregte". | |
So wie Theiss die Geschichte des Bildes nachzeichnet, scheint der Verdacht, | |
es handle sich um Nazi-Raubkunst, plausibel. Niemand Geringerer als Adolf | |
Hitler selbst erwarb das Meisterwerk im Jahre 1940 vom böhmischen Grafen | |
Jaromir Czernin. | |
Das Adelsgeschlecht der Czernin ging zwar der Besitzungen im Sudetenland | |
verlustig, als Hitler das Gebiet annektierte, rassistische Verfolgung | |
musste es jedoch weniger fürchten. Allerdings sei Jaromirs zweite Frau | |
Alix, so Theiss, Halbjüdin gewesen, "Mischling" nach der | |
Rassenklassifizierung der Nazis, und daher gefährdet. Mit dem Verkauf des | |
Bildes weit unter seinem Wert an den Reichskanzler habe Czernin die | |
Sicherheit seiner Familie erkauft. | |
Dieses Fakten sind nicht unbekannt. Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg | |
musste sich die junge Republik mit Restitutionsforderungen der Familie | |
Czernin befassen, gab ihnen aber nicht statt. Denn Jaromir Czernin hätte | |
das Bild ohnehin verkaufen wollen. So hatte er es bereits 1935 dem | |
US-amerikanischen Kunstsammler und ehemaligen Finanzminister Andrew Mellon | |
versprochen. Der starb aber 1937, bevor Österreich eine Ausfuhrgenehmigung | |
erteilte. | |
Die gab erst Kanzler Kurt Schuschnigg wenige Wochen vor dem Anschluss 1938. | |
Hitler wollte das Bild um jeden Preis haben. Statt der von Czernin | |
geforderten zwei Millionen Reichsmark zahlte er 1,65 Millionen. Laut Anwalt | |
Theiss sei aber nur eine Million tatsächlich überwiesen worden. Czernin | |
quittierte jedenfalls brieflich: "Ich bitte, meinen aufrichtigsten Dank | |
entgegennehmen zu wollen. Mit dem Wunsche, das Bild möge Ihnen, mein | |
Führer, stets Freude bereiten." Gut möglich, dass die untertänige | |
Formulierung Teil des Deals war, wie jetzt Anwalt Andreas Theiss behauptet. | |
Alexander Czernin, der älteste Sohn des Grafen, will sich erinnern, dass | |
sein Vater damals gesagt hätte: "Jetzt sind wir sicher." | |
Das Gemälde, eines der bedeutendsten der nur 37 Werke, die Jan Vermeer van | |
Delft (1632-1675) hinterlassen hat, sollte das Prunkstück des | |
"Führermuseums" in Linz werden, das allerdings nie eröffnet wurde. Nach dem | |
Krieg fiel das gesamte auf österreichischem Territorium befindliche | |
Vermögen Hitlers per Gerichtsbeschluss an die Republik. Einziger | |
Vermögenswert in Österreich war der Vermeer, der seit 1946 im KHM hängt. | |
Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, bekennt sich | |
grundsätzlich zur Restitution von Raubkunst, will aber das Gutachten der | |
Provenienzforscher abwarten. Die "Malkunst" zählt, so Haag, "zu den | |
absoluten Zimelien", also den Juwelen der Sammlung. Was das Bild heute wert | |
ist, sei schwierig zu beurteilen, auch ob es damals "weit unter Wert" | |
abgegeben wurde. Unbestritten ist, dass es bei einer Versteigerung ein | |
Vielfaches dessen erzielen würde, was Hitler einst bezahlen ließ. Nach | |
heutiger Kaufkraft wären das 7,67 Millionen Euro. | |
Die Debatte tobt in den österreichischen Medien | |
Die Restitutionsdebatte wurde in Österreich im Jahre 1998 jäh wieder | |
belebt, als zwei Frauenporträts des Expressionisten Egon Schiele, Leihgaben | |
der Sammlung Leopold, auf einer Ausstellung in den USA beschlagnahmt | |
wurden. In der Folge mussten fast alle Museen ihre Archive neu öffnen und | |
auf Raubkunst prüfen lassen. | |
Die prominentesten Fälle sind die "Goldene Adele" und drei weitere Bilder | |
von Gustav Klimt, die die Österreichische Galerie im Belvedere nach langem | |
Prozess an die Erbin von Adele Bloch-Bauer in den USA restituieren musste. | |
Jetzt hängen sie in der Neuen Galerie des Kosmetik-Tycoons Ronald Lauder in | |
New York. Die Debatte um den Vermeer tobt vor allem in den Medien. | |
Der Germanist und Historiker Gerhard Zeillinger findet in einem Kommentar | |
in der Tageszeitung Standard aus Wien die Argumentation von Andreas Theiss | |
"so kühn und aberwitzig, dass man eigentlich die Familie Czernin vor ihm | |
schützen müsste". Denn "Mischlinge zweiten Grades" wie Jaromir Czernins | |
zweite Ehefrau seinen kaum gefährdet gewesen. | |
Ganz sicher, wie die Sache nun ausgeht, ist man sich offenbar auch im Hause | |
Czernin nicht, sonst hätte man wohl gleich auf Herausgabe geklagt und nicht | |
wie jetzt die Restitution nur "angeregt". | |
Ein Kronzeuge kann sich leider nicht mehr zu Wort melden. Der Journalist | |
Hubertus Czernin, der sich vor elf Jahren wie kein anderer in Österreich | |
für die Untersuchung und Rückgabe von Nazi-Raubkunst eingesetzt hatte, ist | |
vor drei Jahren gestorben. Er hatte im Fall des Vermeer keine Ansprüche | |
seiner Familie erkannt. | |
11 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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