# taz.de -- Am Nagel der Welt - Soweto: Die Freiheit des eigenen Sounds | |
> "Für uns junge schwarze Südafrikaner wird alles getan", sagt Tshepo More. | |
> Die Jugend von Soweto will gute Schulen, Autos, Häuser, Kreditkarten - | |
> und gepflegte Fingernägel | |
Bild: Nicht ungewöhnlich: Männliche Kundschaft | |
Die Welt der künstlichen Nägel liegt im Hinterhof. Ein rostiges Schild vor | |
einem einfachen Haus in Soweto weist den Weg: MbalEnhle Nail and Beauty | |
Salon. Der Boden des Schönheitssalons ist mit weiß-schwarzen | |
Mosaiksteinchen gepflastert. Im Fenster des kleinen Raums hängen die | |
Preisschilder für die Angebote im Dienste der Schönheit. Popsongs dröhnen | |
durch die offene Holztür. Die Augen der Kosmetikerin sind unter falschen, | |
auffallend geschwungenen Wimpern versteckt. Ihr Blick konzentriert sich auf | |
die Männerhand, deren kurze Fingernägel in Halbmondform gefeilt werden. Ein | |
goldenes Schild an ihrem schwarzen Blazer verrät Namen und Beruf - Palesa | |
More, Beauty Therapist. Ihr männliches Gegenüber schaut verzückt auf seine | |
Nägel. Ein anderer Kunde wartet im roten, an den Nähten aufgeplatzten Sofa | |
und liest Drum, das bei schwarzen Südafrikanern beliebte Magazin über Stars | |
und Sternchen. Der dritte junge Mann im Salon nimmt ein Glas supersüße | |
orange Limonade vom Tablett und schiebt seine Baseballmütze in den Nacken. | |
In Palesas Salon lassen sich auffallend viele junge Männer verschönern. | |
Die drei - sie heißen zufälligerweise alle Tshepo - gehören zu Palesas | |
Stammkunden. Für Palesa ist es nicht ungewöhnlich, dass männliche Kunden | |
ihren Salon in Orlando, einem Viertel im Township Soweto, aufsuchen. Die | |
22-Jährige verdient hier ihren Lebensunterhalt, nachdem sie vor zwei Jahren | |
einen alten Stauraum renoviert und als Salon nach ihrem Namen "Schöne | |
Blume" eröffnet hat. "Es ist eindeutig Trend: Immer mehr Männer lassen sich | |
verwöhnen", sagt sie mit einem Augenaufschlag, und ihre langen schwarzen | |
Wimpern scheinen fast den Himmel zu streifen. | |
Tshepo More, an dem gerade gefeilt wird, ist Musikproduzent und Palesas | |
Cousin. Er hat die beiden anderen Tshepos unter Vertrag: Tshepo Nkupani ist | |
ein Hiphopkünstler. Der 18-Jährige hat Probleme mit seiner Haut, doch für | |
den Bühnenauftritt am Abend wird Palesa ihn makellos aussehen lassen. Auf | |
einer Liege hat sie künstliche Blüten in Pink gelegt, denn der Dritte im | |
Bunde, der 25-jährige Tshepo Mooy, will massiert werden. Der Kwaito-Star | |
mit den falschen Brillanten in beiden Ohrläppchen "liebt das", wie er | |
gesteht. Seine Nägel will er auch machen lassen. | |
Diese Besucher des Salons sind schon in jungen Jahren ihr eigener Boss in | |
einer modernen, glitzernden Unterhaltungsindustrie, die in Südafrika viele | |
Fans hat. Die Musikstile werden miteinander gemischt, und es entsteht ein | |
typisch südafrikanischer Mix. "Klar orientieren wir uns an den | |
amerikanischen Rappern", sagt der Kwaito-Musiker. Die eigene Kreativität, | |
der eigene Sound des Kwaito bringe aber den lokalen Touch. Das sei es, | |
wonach die schwarze Jugend in Südafrika tanzt. | |
Palesa lebt bei ihren Eltern im Wohnhaus nebenan. Ihr Schönheitssalon läuft | |
dank Mund-zu-Mund-Propaganda gut. Und das Startkapital von 500 Euro aus | |
einem Jugendfonds der Regierung ist bereits zurückgezahlt. Ihr nächster | |
Plan: Sie will mit ihrer Schwester ein Gästehaus eröffnen, am besten noch | |
vor der Weltmeisterschaft 2010. Das gerade renovierte Orlando-Stadium liegt | |
in Sichtweite - es wird 2010 als Trainingsstätte für die Sportler genutzt. | |
Ohnehin zieht das Township nach Ende der Apartheid besonders internationale | |
Gästen an: Wer die afrikanische Kultur kennenlernen möchte, ist dort | |
bestens aufgehoben. Clubs, Cigar-Lounges, aber auch raue Shebeens (Kneipen) | |
in den ärmeren Gegenden garantieren einen Vibe, den es sonst nirgendwo in | |
Südafrika gibt. | |
Palesa, die junge Schönheitsberaterin, fährt jeden Donnerstag mit ihrem | |
"Beauty-Salon im Koffer" nach Sandton, dem exklusivsten Viertel bei | |
Johannesburg. Die weiblichen Angestellten einer Bank haben dann Zeit für | |
sie, und ein paar Häuser weiter warten die Models der Medienagentur Media | |
24 auf Make-up und künstliche Nägel. "Weiße Kundinnen mögen lieber | |
Naturtöne und kürzere Nägel, schwarze Frauen übertreiben es gern, wollen | |
zeigen, dass sie sich das leisten können", sagt Palesa. | |
In Sandton nimmt sie höhere Preise, als sie im Township verlangen kann, da | |
kostet die Maniküre nur um die 10 Euro, weniger als die Hälfte. Die | |
Kontraste zwischen den teuren nördlichen Wohnvierteln rund um die Metropole | |
Johannesburg und dem aus 32 Siedlungen bestehenden größten Townships | |
Südafrikas sind extrem, aber Palesa bewegt sich gekonnt in beiden Welten, | |
die den südafrikanischen Alltag prägen. | |
"Diese Nägel sind ansteckend", sagt die gerade hereingekommene Kundin, | |
Sarah Diholo. Die Mittdreißigerin mit der rötlichen Glatthaarperücke, ein | |
Bubikopf, kommt alle zwei Wochen, wenn sie neue "Krallen" braucht. | |
"Künstliche Fingernägel gehören einfach zum Lebensstil", behauptet sie. Die | |
drei Tshepos stimmen ihr zu. Sie mögen es, wenn Frauen falsche Nägel | |
tragen. "Frauen müssen sich um ihr Aussehen kümmern und sich | |
zurechtmachen", sagt Tshepo Nkupanisie. | |
Sarah will dieses Mal die Pearls ausprobieren, perlmuttfarbene Acrylnägel. | |
Sie trägt farblose Nägel, doch gen Sommer wird ihre persönlich Nagelmode | |
gewagter und bunter. Manchmal mit Strasssteinchen besetzt oder dunkelrotem | |
Lack im Divastil. Blumenmuster oder "Sexy black" - heller Lack mit | |
schwarzer Nagelspitze, das ist nicht ganz ihr Stil. Auch Sarah hat ihre | |
eigenes Geschäft: Sie führt einen Speise- und Getränkeservice für Firmen. | |
Die frühere Verkaufsleiterin der südafrikanischen Brauerei ist momentan | |
sehr eingespannt mit dem Catering für die Manager, die das neue öffentliche | |
Nahverkehrssystem in Soweto planen und regelmäßige Treffen in Downtown | |
Johannesburg haben. Die Stationen für Busse sind in Orlando schon gebaut, | |
der Verkehr soll bis 2010 besser fließen. Ein regelrechtes "Warenhaus für | |
die Unterhaltungsbranche" ist ihr eigentlicher Zukunftswunsch. | |
Sarah steckt ihre Fingerspitzen in Schalen, gefüllt mit Azeton, um die | |
künstlichen Nägel aufzuweichen. Die Saloninhaberin legt ihre Feilen und | |
Schwämmchen für die Maniküre bereit. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie. | |
"Ich kam schon als Schulmädchen geschminkt in die Klasse, mit langen, | |
lackierten Nägeln." Nach dem Abitur machte sie ein Diplom in Tourismus, | |
aber eine Jungunternehmerin zu sein, das sieht sie als absoluten Bonus an. | |
"Man muss das tun, was einem Spaß macht." Und die Arbeit als Angestellte | |
gehört nicht dazu, entschied sie nach einer kurzen Phase als Verkäuferin in | |
einem Bekleidungsgeschäft. | |
Im Beauty-Salon sind sich alle einig: Selbstständigkeit schafft Freiheit, | |
aber auch Risiken. Ihre Ausbildungschancen waren im Vergleich zu denen | |
ihrer Eltern gut. Und die jungen Entrepreneurs wollen keinesfalls wie ihre | |
Eltern leben. "Für uns junge schwarze Südafrikaner wird alles getan", sagt | |
Tshepo More. "Die Regierung gibt Unterstützung. Jetzt haben wir die Wahl, | |
was wir aus unserem Leben machen wollen." Während ihre Eltern wenig | |
Möglichkeiten und viel Angst vor Versagen hatten, lebt die Jugend von | |
Soweto schnell. Sie will gute Schulen, Autos, Häuser, Kreditkarten und das | |
Leben genießen. "Wir wollen Urlaub machen, uns verbessern, nicht | |
stagnieren", sagt Palesa. Ein eigenes Geschäft bietet schnelleres Geld, | |
aber auch die Gefahr, Schulden zu machen. Die Verschuldung ist ein großes | |
Problem der südafrikanischen Gesellschaft. Ein neues Kreditvergabegesetz | |
diktiert inzwischen striktere Regeln. | |
Palesa wünscht sich mehr Unterstützung für Kleinunternehmen. "Die Banken | |
glauben nicht an Pläne, die wollen was sehen. Oft dauert es lange, bis | |
unsere Geschäftsideen überzeugen und Gelder geliehen werden, auch von | |
Regierungsseite", sagt sie. Palesa großer Traum ist eine eigene | |
Nagelstudioschule. Denn Schönheitssalons findet man in Soweto überall. | |
Deshalb bildet sie sich ständig weiter. Das gehört für sie zum Erfolg wie | |
hartes Arbeiten. Sie weiß: "Die Konkurrenz schläft nicht." | |
-- | |
Die südafrikanische Fotografin Jodi Bieber hat in ihrem Buch "Between Dogs | |
and Wolves - Growing up with South Africa" Bilder von Jugendlichen am Rand | |
der südafrikanischen Gesellschaft veröffentlicht. Diese Arbeit war lange | |
ihr Schwerpunkt. Inzwischen widmet sie sich auch anderen Themen, siehe: | |
[1][www.jodibieber.com] | |
16 Sep 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.jodibieber.com | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
## TAGS | |
Reiseland Südafrika | |
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