# taz.de -- Die Ypsilanti-Tragödie als Gaunerkomödie: Schurken mit Schmalz | |
> Spannender als der Wahlkampf 2009 war die Affäre um die vier hessischen | |
> SPDler 2008. Volker Zastrow macht daraus eine rührselige Gaunerkomödie. | |
Bild: Die SPD-Landtagsabgeordneten Silke Tesch, Jürgen Walter, Carmen Everts a… | |
Volker Zastrow, als Politikchef der FAS ein Berufener, hatte seine Helden | |
schnell beisammen, ganz aus dem Leben gegriffen oder vielmehr aus dem | |
Mikrokosmos des Hessischen Landtags. Die Namen Silke Tesch und Carmen | |
Everts werden schnell wieder vergessen sein, die von Jürgen Walter und | |
Dagmar Metzger vermutlich etwas später. | |
Die Vierergruppe, die im November 2008 verhinderte, dass ihre eigene | |
SPD-Parteigenossin Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei, der | |
Grünen und der SPD zur Ministerpräsidentin hätte gewählt werden können, ist | |
kein Stoff für unsterblichen Ruhm. Bestenfalls wäre sie Vorlage für das | |
gewesen, was der vollmundige Klappentext verspricht: eine Erzählung "mit | |
der Genauigkeit, der psychologischen Tiefe und der Dramatik eines Romans". | |
Zastrow löst nur Letzteres wirklich ein, doch allzu dramatisch. Die Rollen | |
hat der Autor schnell verteilt. Die des Schurken fällt zuallererst dem | |
ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Walter zu. Ein Dandy, eiskalter | |
Intrigant, einer, der sich allen überlegen fühlt und aus Bosheit und | |
Machthunger auch die eigenen Leute funktionalisiert und in die Pfanne haut. | |
Die Waffen, die Zastrow ihm zuschreibt, sind allerdings unfreiwillig | |
komisch und so defensiv wie die eines Skunks. Walter kaue, berichtet er, | |
Knoblauch, um seine Gegner beim Schachspiel zu entnerven. | |
Willfährige Gefährtin seit der Schulzeit, so liest es sich, sei seine | |
Mitarbeiterin und spätere Landtagskollegin Carmen Everts gewesen, ganz | |
Frau, ganz Zuarbeiterin, stilisiert zu Beschützerin und Opferlamm zugleich, | |
hinterhältig zwar in Walters Diensten und doch so labil. Der Abgeordneten | |
Silke Tesch dagegen ist Zastrow gewogen, ihr und Dagmar Metzger glaubt er | |
ihre Skrupel, ihre ehrbaren Gewissenskonflikte, ihr Beharren auf Ypsilantis | |
Wahlversprechen: "Nicht mit der Linkspartei!" Der Eindruck, den "Die Vier" | |
auf der Pressekonferenz am 10. November 2008, vier Tage vor der Wahl, | |
hinterließen, lässt Zastrows Mischung von Rührstück und Gaunerkomödie | |
jedenfalls nicht als Stilbruch erscheinen. | |
So unecht der spektakuläre Auftritt vor allem von Everts, Tesch und Walter | |
wirkte, so fehl am Platz sind die aus Interviews mit den Protagonisten | |
zusammengeschnittenen Szenenbilder. Nichts bleibt außen vor, nicht die | |
Leidensgeschichte der tapferen Tesch, die sich trotz und mit Beinprothese | |
durchs Leben schlägt, nicht die dicke Everts, die sich in Walters Gefolge | |
nicht nur zur dünnen Frau herunterhungert, sondern Dünnhäutigkeit und | |
Theatralik spielt, um der Intrige gegen Ypsilanti Fahrt zu verschaffen. | |
Jeder redet auf jeden ein, steckt den Medien, den Freunden, Feinden und | |
Gegnern das, was ihm gerade opportun erscheint oder vermeintlich nutzt, es | |
wird telefoniert, gemailt, in Hinter- und Vorderzimmern gespeist. | |
Dazwischen schneidet Zastrow immer wieder Versatzstücke aus dem Leben der | |
Vier bis zurück in deren Kindheit. Chargenrollen sind reichlich verteilt, | |
und der Hessische Rundfunk muss, wie in alten Zeiten, den Rotfunk geben. | |
Am Ende sind im Buch wie im Leben alle Verlierer, persönlich und politisch. | |
Aber lohnt es sich, das zu lesen? Manches ist schön und sicher vom Autor | |
selbst oft genug erlitten, wie beispielsweise ein SPD-Parteitag: "Die | |
konfuse Parteitagspräsidentin hatte bei der Abstimmung über die Abstimmung | |
unterwegs vergessen, wer jetzt eigentlich wofür stimmen sollte und ob das | |
Ja ein Ja zur Ablehnung der Befassung oder zur Zustimmung der Ablehnung | |
oder vielmehr das Nein die Fortsetzung der Debatte bedeutete; jedenfalls | |
entschied sie für Weitermachen, also irrtümlich gegen links." | |
Volker Zastrow: "Die Vier. Eine Intrige". Rowohlt Berlin 2009, 19,90 Euro | |
26 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Heide Platen | |
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