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# taz.de -- Deutscher Fernsehpreis 2009: Unerhört harmonisch
> Am Samstag wurde in Köln der Deutsche Fernsehpreis verliehen - ganz
> skandalfrei. Nur Thomas Gottschalk fiel peinlich auf.
Bild: Nur konsequent: Zwei Kunstfiguren (Wolfgang und Anneliese aka Bastian Pas…
Mitten im Gespräch mit ProSieben-Sprecher Christoph Körfer zieht
RTL-Veteran Hans Mahr plötzlich einen Kamm aus der Tasche und fährt sich
damit durch das für einen Mann seines Alters - Mahr ist 60 - immer noch
dichte Haupthaar. Nun muss man wissen, dass sein Gegenüber Körfer, obgleich
18 Jahre jünger, eine ziemlich ausgeprägte Halbglatze hat, der er durch
Wildwuchs des Resthaares den Schrecken zu nehmen versucht.
Mahrs Taschenkamm-Einsatz war die größte Provokation bei der
vergleichsweise unerhört harmonischen Verleihung des 11. Deutschen
Fernsehpreises am Samstagabend, und die fand nicht mal auf offener Bühne
statt, sondern bei der Aftershowparty im Coloneum, dem in Größe und
Atmosphäre an eine Boeing-Montagehalle erinnernden Fernsehstudios am Kölner
Stadtrand.
Alfred Biolek hatte bereits angekündigt, den Ehrenpreis für sein Lebenswerk
entgegenzunehmen und wiederholte das auch auf der Bühne. "Verehrter Marcel
Reich-Ranicki, ich bitte um Verständnis, ich nehme den Preis an", sagte der
75-jährige Talkmaster und spielte damit auf Reich-Ranickis nicht minder
eitle Preisverweigerung 2008 an. Dabei ist auch Bioleks Verhältnis zu dem
Medium, in dem er vor 46 Jahren seinen ersten Auftritt hatte, nicht
ungetrübt. Erst kürzlich hatte er wieder öffentlich erklärt, überhaupt
nicht mehr fernzusehen. "Was mich stört, ist, dass alles ein bisschen
austauschbar geworden ist", sagte der langjährige Moderator der Talkshow
"Boulevard Bio" und der Kochsendung "Alfredissimo" so schwammig wie
Polenta.
In einem Zeitungsinterview hatte Reich-Ranicki seine Freude über den Preis
für Biolek, den er sehr schätze, ausgedrückt und gleichzeitig ein
Missverständnis aufgeklärt: "Es hieß überall, dass ich aus Protest gegen
das deutsche Fernsehen den Preis abgelehnt hätte", sagte der
Literaturkritiker. "Das ist Quatsch. Ich habe abgelehnt, weil ich die
Veranstaltung furchtbar fand."
Es steht zu befürchten, dass Reich-Ranicki selbst die Verleihung in diesem
Jahr nicht gefallen hätte - aber mit seiner Meinung alleine dazustehen, war
für den begnadeten Polemiker ja noch nie ein Problem. Alle anderen - mit
Betonung auf "alle" - schienen angetan von der Gala, wenn nicht vollauf
begeistert. Ein für seine deftigen Urteile berüchtigter Fernsehkritiker
befürchtete gar einen Anflug von "Altersmilde", weil ihm nur die Roben
mancher Galabesucherin zu Lästereien Anlass gaben.
Moderiert wurde der in diesem Jahr von Sat.1 verantwortete und nur
angeblich live übertragene Abend von Bastian Pastewka und Anke Engelke, die
dafür die durch die Comedyshow "Fröhliche Weihnachten" eingeführten Rollen
des Volksmusikalbtraumpaars Wolfgang und Anneliese Funzfichler
wiederbelebten. Dass nach Jörg Pilawa (2006), Marco Schreyl (2007) und
Thomas Gottschalk (2008) zwei Kunstfiguren den Deutschen Fernsehpreis 2009
moderiert haben, ist nur konsequent. Wolfgang und Annelieses Identitäten
sind so offen falsch, dass alles andere dagegen umso echter wirkte, umso
deutlicher hervortrat: Anna Fischers Freude über ihren Nebenrollenpreis und
auch Thomas Gottschalks Peinlichkeit. Als er - was nun wirklich mal eine
originelle Juryentscheidung war - für die Moderation von "Wetten, dass ..?"
seinen zweiten Fernsehpreis entgegennahm, imitierte er Reich-Ranicki -
weder gekonnt in der Form noch geistreich im Inhalt. "Dieser Preis ist eine
Katastrophe für mich - aber hätte ich ihn nicht bekommen, wäre die
Katastrophe noch größer", sagte er und fand sich unglaublich lustig. Es
wäre nur gerecht gewesen, wenn die Juryvorsitzende Bettina Böttinger in
diesem Moment auf die Bühne gestürmt wäre und Gottschalk den Preis
aberkannt hätte. Verdient gehabt hätte ihn Matthias Opdenhövel - allein
schon als Wiedergutmachung dafür, dass die Jury peinlicherweise nicht ihn,
sondern Stefan Raab für die Moderation von "Schlag den Raab" nominiert
hatte.
Es ist ein gutes Zeichen, dass Gottschalk der einzige blieb, dem man seinen
Preis partout nicht gönnen konnte. Dass in der neu eingerichteten Kategorie
"Bester Mehrteiler" nicht Friedemann Fromms ZDF-Mauerdrama "Die Wölfe" das
Rennen machte, sondern Thomas Bergers Sat.1-Mauerdrama "Wir sind das Volk",
ließ sich ebenso verschmerzen wie die Niederlage der emotional sehr
bewegenden Reportagen "Gut sein auf Probe" von Sven Kuntze und "Die
Weggeworfenen" von Anita und Marian Blasberg sowie Lutz Ackermann gegen
Claus Klebers und Angela Andersens Atomwaffen-Dreiteiler "Die Bombe".
Dass so ein Fernsehpreis nicht nur Ort der Selbstbeweihräucherung einer
Branche sein kann, sondern auch der Selbstgeißelung, bewiesen Wolfgang und
Anneliese mit ihrem Eröffnungslied, in dem aber wirklich alle ihr Fett
wegbekamen und das wegen der kathartischen Wirkung fester Bestandteil jeder
Fernsehpreisverleihung werden sollte. Kostprobe: "ProSiebens Giulia Siegel,
die sucht nen neuen Schniedel"; "Zwischen allen Sendern, da sehen wir sie
schlendern / Pilawa, Pocher, Kerner, für Geld tun sies noch gerner".
Später dann war der Erzrivale des Gastgebers Sat.1 fällig. Als die mehr als
zwei Jahre in der Schublade angegammelte RTL-Sitcom "Der Lehrer" mangels
ernsthafter Konkurrenz als "Beste Serie" ausgezeichnet wurde, raunte
Schauspieler Ulrich Gebauer statt einer tränendrüsigen Dankesrede nur ein
bitteres "Was lange währt, wird endlich gut" ins Mikro. Piff-paff!!! Die
Serie macht so ein Satz zwar nicht besser, aber es erleichtert ungemein.
Auch Pierre M. Krause, gemeinsam mit Caroline Korneli und Jan Böhmermann
für die Comedy "TV-Helden" prämiert, wollte auf einen Seitenhieb gegen RTL
nicht verzichten. Er bedankte sich "für den langen Atem von RTL, dass wir
nicht gleich nach der ersten Sendung abgesetzt wurden - sondern nach der
zweiten."
Die nach der Preisverleihung 2008 und Reich-Ranickis Brandrede viel
beschworene Krise des deutschen Fernsehens scheint also auch 2009 nicht
überwunden. Von der "Solidarität" zwischen Programmmachern und Sendern, die
Produzent Nico Hofmann in seiner etwas pathetischen Dankesrede für die
verdiente Auszeichnung von "Mogadischu" als "Bester Fernsehfilm"
einforderte, war auf der Bühne wenig zu sehen, die Entfremdung beider
Seiten dafür umso deutlicher. Doch offenbar hatte man in diesem Jahr
kollektiv beschlossen, die Defizite mit Humor zu nehmen. "Der Deutsche
Fernsehpreis hat ein großes Herz", formulierte es Anke Engelke
programmatisch, "und deswegen sind auch in diesem Jahr wieder Sendungen
nominiert, die nicht ganz so gut sind."
Wenn der Preis ein Poesiealbum hätte, würde man ihm folgenden Satz von
Reich-Ranickis "Buddy Balzac" hineinschreiben: "Ein Mann ist stark, wenn er
sich seine Schwäche eingesteht." Oder, noch älter, noch besser, Laotse:
"Wer sich selbst besiegt, ist stark." Das ist dann wohl die Hausaufgabe an
die Branche für den Deutschen Fernsehpreis 2010, den man - so schön es mit
Wolfgang und Anneliese auch war - erst dann wieder richtig ernst nehmen
kann, wenn die zwei Komiker zu Hause bleiben können und es trotzdem ein
erträglicher Abend wird.
28 Sep 2009
## AUTOREN
David Denk
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