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# taz.de -- Bundestagswahl-Abend im TV: Schwarz-Gelb beginnt diszipliniert
> Das Fernsehen lieferte nüchterne Bilder zum Beginn einer neuen Ära: Die
> künftigen Koalitionäre gaben sich im Triumph verantwortungsvoll, SPD und
> Linke probten die Annäherung.
Bild: Jeder will auf den historischen Fernsehbildern zu sehen sein: FDP-Führun…
BERLIN taz | Als FDP-Chef Guido Westerwelle um 19.18 Uhr verhältnismäßig
spät vor die Mikrofone tritt, geben die Bilder viel über diesen Wahlabend
preis. Auf der Bühne in den Römischen Höfen in Berlin ist er umringt von
rund 20 prominenten Parteifreunden: Nickend, feixend und klatschend stehen
vom Ehrenvorsitzenden Genscher über Schatzmeister Solms, die EU-Abgeordnete
Koch-Mehrin, die Parteivizechefs Pieper und Brüderle bis zum
niedersächsischen Wirtschaftsminister Rösler alle neben ihm.
Feiert eine Partei einen solchen Triumph wie die FDP an diesem Wahlsonntag,
will auf den live übertragenen und bald historischen Fernsehbildern auch
jeder zu sehen sein – um sich im Glanz des Erfolgs zu sonnen. Einige
Liberale hüpfen vor Freude wie kleine Kinder. Der zukünftige Vizekanzler
Westerwelle verordnet sich selbst im bisher größten Moment seiner Karriere
hingegen Disziplin und Arbeitsethos statt Feierlaune: „Dieses Ergebnis
bedeutet Verantwortung“, sagt er. „Wir freuen uns, aber bleiben auf dem
Teppich. Denn jetzt geht die Arbeit erst richtig los.“
Den Startschuss zum Anpacken für Westerwelle hatte um 18 Uhr
ARD-Wahlmoderator Jörg Schönenborn gegeben. „Es werden Rekorde fallen“,
kündigte der WDR-Chefredakteur wissend an und präsentierte in einem selbst
für einen öffentlich-rechtlichen Sender noch überaus nüchternen Ton die
erste Prognose, die die Richtung des Abends wies: Es gebe eine klare
Mehrheit für Schwarz-Gelb – auch ohne Überhangmandate. Ein kurzer Satz, der
fast beiläufig auf den Beginn einer neuen politischen Ära hinwies.
Die angekündigten Rekorde fielen tatsächlich. An den Zahlen der ersten
Prognose änderte sich bis zum amtlichen Endergebnis nur wenig: Neben dem
herausragenden Resultat für die Liberalen (14,6 Prozent) feierten auch
Linke (11,9 Prozent) und Grüne (10,7 Prozent) ihr bisher bestes Ergebnis,
die Union musste ihr schlechtestes Resultat (33,8 Prozent) seit 1949
hinnehmen, die SPD ihr schlechtestes (23 Prozent).
Leere bei Sozialdemokraten
Entsprechend leerer als bei der FDP sieht die Bühne im Willy-Brandt-Haus
aus. Eine halbe Stunde nach der ersten Prognose tritt mit dem
SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier der größte Wahlverlierer des
Abends vor die Kameras und bemüht sich um ein wackeres Lächeln. Seine
Genossen trösten ihn mit lautem Applaus.
Nur einer steht mit Steinmeier auf der Bühne: Parteichef Franz Müntefering,
dessen Wahlkämpfer-Mythos soeben erloschen ist. Beide winken nach oben. Das
liegt daran, dass einige Sozialdemokraten in oberen Stockwerken der hoch
gebauten Parteizentrale stehen. Doch das Winken nach oben bedeutet in
diesem Moment auch: Mit dem schlechtesten aller SPD-Ergebnisse bei
Bundestagswahlen sind Steinmeier und Müntefering ganz unten angelangt.
Die ersten Sozialdemokraten, die sich vor die Fernsehkameras gewagt hatten,
waren gleich nach der ersten Prognose der Parteilinke Björn Böhning und
wenig später die Juso-Chefin Franziska Drohsel gewesen. Auffällig hatten
beide in ihrem kurzen Statement denselben Satz gesagt: „Ein Weiter-so kann
es nicht geben.“ Als Steinmeier nun erwartungsgemäß einen „bitteren Tag f…
die deutsche Sozialdemokratie“ konstatiert und sich schnell wieder etwas
Positivem zuwenden will, ruft er seinen jungen Unterstützern zu: „Ihr seid
die Zukunft unserer Partei. Macht bitte weiter so.“ Doch genau davor hatten
diese gerade öffentlich gewarnt.
Umso erstaunlicher, dass auf Steinmeiers Ankündigung, fortan als
Fraktionschef die Oppositionsführer-Rolle einnehmen zu wollen, kein Murren
folgt, sondern noch mehr Applaus. Die Buh-Rufe kommen erst, als er die
künftige schwarz-gelbe Regierung erwähnt. „Ich behalte meine Zweifel, dass
die es können“, sagt Steinmeier – nun kämpferischer, als er es im Wahlkam…
je war. „Ich bin stolz auf diese Partei“ fügt er mit Pathos hinzu, und auch
das wirkt emotionaler als viele Auftritte auf den Marktplätzen und in den
Fernsehstudios in den vergangenen Wochen.
"Bundeskanzlerin aller Deutschen"
Auch für Kanzlerin Angela Merkel hätte es ein unangenehmer Abend werden
können, weil die Union noch unter ihren schwachen Werten von 2005 geblieben
ist. Doch da die FDP Schwarz-Gelb ermöglicht hat, wird die CDU-Chefin nun
im Konrad-Adenauer-Haus mit rhythmischen „Angie“-Rufen empfangen. Sie, die
sich insgeheim eine Fortsetzung der Großen Koalition gewünscht haben soll,
sagt, sie sei glücklich und wirkt tatsächlich gelöst, wie man sie selten
sieht. Sie umarmt und duzt ihren bisherigen Generalsekretär Ronald Pofalla
auf der Bühne. Die CDU könne nun „richtig ausgelassen feiern“, kündigt s…
an, mahnt aber auch, danach warte „schnell wieder Arbeit auf uns“.
Ihre Hauptbotschaft, die sie an diesem Abend oft wiederholen wird, lautet:
„Mein Verständnis war es und mein Verständnis ist es, dass ich
Bundeskanzlerin aller Deutschen sein will.“ Eine Geste an jene, die weder
Union noch FDP gewählt haben - und ein warnendes Signal an die FDP vor
weitreichenden wirtschaftsliberalen Forderungen.
„Jetzt muss ich noch ein bisschen Medienarbeit machen“, verabschiedet sie
sich von ihren Anhängern in der Parteizentrale – als gehe sie gerade ihrem
Hobby nach und halte nicht eine live im Fernsehen übertragene Rede als
wiedergewählte Kanzlerin.
Tacheles von Egon Bahr
Eine der großen Fragen des Abends ist, ob sich SPD und Linkspartei nach dem
Desaster für die Sozialdemokraten und dem weiteren Erstarken der
Linkspartei annähern werden. Es deutet alles darauf hin. „Ja, das ist
durchaus möglich. Das ist ein Prozess“, sagt Linke-Fraktionschef Gregor
Gysi und verzichtet auf die sonst üblichen Seitenhiebe. Sie erwarte eine
„Sozialdemokratisierung“ der SPD, sagt die Abgeordnete Petra Pau in
gewohnter Linke-Rhetorik, fügt aber an: „Wenn wir uns dann mit der SPD
treffen? Warum nicht.“
Die SPD wird nicht ganz so schnell so deutlich. Als Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit gefragt wird, der bereits mit einer rot-roten
Koalition regiert, vermeidet er eine klare Antwort. Spät am Abend sagt
Franz Müntefering in den "Tagesthemen" dann auf die Frage nach einer
Öffnung zur Linken ungewohnt offen: „Das weiß ich nicht.“ Für diese
Legislaturperiode sei das aber erstmal ausgeschlossen.
Nur Ex-Bundesminister Egon Bahr redet in der ARD-Sendung "Anne Will"
Tacheles: „Es bleibt der SPD keine andere Wahl, als eine Mehrheit links von
der Mitte herbeizuführen.“ Bahr macht dafür aber weiterhin einen
außenpolitischen Kurswechsel der Linkspartei zur Bedingung. Die Sozialisten
müssten zunächst die Verträge zu EU und Nato anerkennen.
Die Linke hat an diesem Abend naturgemäß mehr sich selbst als die SPD im
Kopf. „1989 konnte ich mir nicht vorstellen, was wir heute hier erleben“,
sagt Gysi etwas sentimental über das Abschneiden seiner Partei.
Die Grünen, die trotz ihrem besten Ergebnis kleinste Fraktion im Bundestag
bleiben, spielen am Wahlabend keine allzu große Rolle. Da sie die Opposion
fortan zusammen mit SPD und Linke bilden, betont Parteichef Cem Özdemir, es
werde keine "Koalition der Opposition" geben. Die Grünen fürchten, als
Schwächste im linken Oppositions-Block ihr Profil nicht mehr deutlich genug
machen zu können.
Brenders Haken gegen Merkel
Auch in der so genannten "Elefantenrunde", dem traditionellen
Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten am Wahlabend, dominieren eher
subtile Töne anstatt lautstarkes Tröten – anders als beim legendären
Ausraster von Gerhard Schröder 2005 nach seiner Abwahl.
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer staunt noch immer ungläubig über das
miese Abschneiden seiner Partei. Er habe eine ganz andere Stimmung
wahrgenommen, versichert er, als zweifele er ernsthaft an der Legitimität
des Wahl-Resultates. Verluste von Zweitstimmen der CSU an die FDP seien
zudem nur „Leihstimmen“ für eine gemeinsame Koalition. Da ist es bei
Westerwelle mit den leisen Tönen dann doch vorbei: „Das ist gänzlich
unangemessen“, keift dieser zurück – ein Vorgeschmack auf die zu
erwartenden Frotzeleien zwischen Liberalen und CSU in einer Koalition. Die
CSU gibt sich in der Niederlage standfest: Einem Koalitionsvertrag werde
sie nur zuzustimmen, wenn er Steuersenkungen ab 2011 enthalte, behauptet
Ramsauer vor den mehr als acht Millionen Zuschauern.
Noch schwerer als er hat es in dieser Runde nur Steinmeier.
ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender leitet eine Frage an den SPD-Kandidaten
mit der martialischen Formulierung ein, dieser sei wegen Hartz IV nun
„geschlachtet worden“. Steinmeier will diese Deutung nicht teilen und
verteidigt die Arbeitsmarktreform. Er werde ohnehin nicht mitmachen im
Streit um die „möglichst populistischen Positionen“, kündigt er an. Das
klingt dann doch sehr nach einem Weiter-so.
Dennoch übt sich Steinmeier in seiner neuen Rolle als Oppositionsführer und
verschärft den Tonfall gegen den Mann, mit dem er eben noch regieren
wollte: „Nehmen Sie doch mal den Triumph aus Ihrer Stimme!“, stichelt er
gegen Westerwelle. Dieser beklagt sich im Gegenzug, im Wahlkampf „als
personifizierter Teufel“ dargestellt worden zu sein.
Merkel bittet die Zuschauer wiederum, nicht überzubewerten, dass sie nun
einen neuen Koalitionspartner habe: „Ich bin keine andere geworden durch
das, was heute Abend passiert ist.“ Etwas selbstbewusster ist sie schon:
Als ARD-Chefredakteur Thomas Baumann sie unterbrechen will, redet sie
einfach weiter, bis er still ist.
Gegen Ende muss sie noch einen Haken von ZDF-Chefredakteur Brender
einstecken, weil sie ihre Teilnahme an einer „Elefantenrunde“ vor der Wahl
kurzfristig abgesagt hatte. „Frau Bundeskanzlerin, Sie sind hier ordentlich
behandelt worden. Das wäre Ihnen vor der Wahl genauso gegangen, wenn sie
gekommen wären“, sagt Brender spitz. Hintergrund: Die Union will ihn als
ZDF-Chefredakteur mit ihrer Mehrheit im Verwaltungsrat absetzen. „Och“,
stammelt die verdutzte Kanzlerin und gibt eine Antwort, die nicht richtig
passt: „Ich kann mich nicht beklagen.“
Für einen Regierungswechsel war es ein ruhiger Wahlabend - ganz anders, als
man es 1998 bei den rot-grünen Wahlsiegern und 2005 bei ihrer Abwahl erlebt
hat.
28 Sep 2009
## AUTOREN
Timo Hoffmann
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