# taz.de -- Fan-Rivalitäten in Leipzig: Rechte behaupten den Ball | |
> Rechtsradikale Anhänger von Lok Leipzig sollen absichtlich einen Fan des | |
> verhassten Stadtrivalen BSG Chemie mit einem Auto angefahren haben. War | |
> es Panik oder versuchter Totschlag? | |
Bild: In keiner anderen Stadt Deutschlands ist der Fußball politisch so aufgel… | |
In den Gedanken von Matthias Fuchs laufen die Bilder wieder und wieder ab. | |
Bilder von einem Freund, der von einem Auto mit etwa 40 km/h frontal | |
angefahren wird, seitlich über die Motorhaube fliegt, die Frontscheibe | |
zerstört und hart auf den Asphalt aufschlägt. Er hört auch die Schreie | |
seines Freundes wieder und wieder, das Wimmern und die besorgte | |
Feststellung, er könne seine rechte Körperseite und seinen Rücken nicht | |
mehr spüren. | |
Fuchs, der seinen wahren Namen nicht nennen möchte, spricht mit zittriger | |
Stimme: "Das war versuchter Totschlag, das war Wahnsinn." Er selbst hatte | |
dem Auto ausweichen können, er war gerade noch rechtzeitig zur Seite | |
gesprungen. | |
Was Fuchs beschreibt, sind die Nachwehen eines Fußballspiels in der | |
Leipziger Kreisklasse. Am 4. Oktober, gegen 17 Uhr, kam es nach dem | |
Sonntagsspiel der BSG Chemie gegen den SSV Kulkwitz zu einem Zusammenstoß | |
zwischen rivalisierenden Fans und politischen Gegnern, dessen Brutalität | |
ein ungekanntes Ausmaß erreicht hat. | |
Fuchs ist Mitglied der linksalternativen Gruppe Diablos, die die BSG Chemie | |
unterstützt. Er spricht von 15 bis 20 Neonazis, darunter Fans des | |
Fünftligisten Lokomotive Leipzig, die sich nach dem Spiel an einer | |
Tankstelle in der Nähe des Stadions formiert hätten. Fuchs spricht von | |
Angriffen mit Pfefferspray, Holzknüppeln, abgebrochenen Glasflaschen und | |
Eisenstangen. Auch das fahrende Auto soll als Waffe eingesetzt worden sein. | |
Der Angefahrene musste operiert werden, beide Kniescheiben sind gebrochen, | |
eine Schulter ist ausgekugelt. | |
Am Montag verschickte die Gruppe um Fuchs eine Pressemitteilung, in der | |
neben Mitgliedern der "Autonomen Nationalisten" und der "Freien Kräfte" | |
auch Enrico Böhm als einer der Beteiligten genannt wird. Böhm, 27, ist | |
Mitarbeiter der Sächsischen Landtagsfraktion der NPD und kandidierte Ende | |
Juni für die Leipziger Stadtratswahl. Auf Anfrage wies Böhm die Vorwürfe | |
zurück. Er und 15 "Nationale Aktivisten" seien auf dem Weg zu einer | |
Demonstration nach Berlin gewesen, als sie von 50 bis 60 zum Teil | |
vermummten und mit Totschlägern bewaffneten Chemie-Fans angegriffen worden | |
seien. "Wir waren umzingelt", sagt Böhm. "Das war Notwehr." In einer | |
Stellungnahme in einem Internetforum begründeten die Rechtsextremen das | |
Rammen des Autos mit aufkommender Panik. "Dieser Vorfall tut uns leid", | |
heißt es in dem Schreiben. "Die Reaktion des Fahrers entstand aus einer | |
Situation heraus, in welcher er direkt um sein Leben fürchten musste." | |
Die Polizei war während der Eskalation nicht vor Ort, ob die | |
Überwachungskameras der Tankstelle, die auf die Zapfsäulen gerichtet sind, | |
bei den Ermittlungen helfen, ist unklar. Anzeige wolle Matthias Fuchs nicht | |
erstatten, er befürchtet Gegenaktionen der Neonazis gegenüber jugendlichen | |
Fans der BSG Chemie, die zur Schule gehen und noch bei ihren Eltern leben. | |
Einer seiner Mitstreiter, der die Pressemitteilung am Montag verfasst hat, | |
wirft der Polizei und den Politikern in Leipzig große Versäumnisse vor. | |
"Die Gewalt unter Fans ist nur zu zwanzig Prozent mit Fußball in Verbindung | |
zu bringen", sagt er. "Achtzig Prozent basieren auf Politik. Die BSG Chemie | |
dient den Neonazis als Feindbild, da sie sich gegen Rassismus einsetzt." | |
Ihre Fans waren oft Opfer rechtsextremer Gewalt geworden. Am 3. Januar | |
dieses Jahres war ein Fan von Chemie nach einem Überfall am Sportforum mit | |
Verdacht auf Schädelbasisbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden. | |
In keiner anderen Stadt Deutschlands ist der Fußball politisch so | |
aufgeladen wie in Leipzig. Das verdeutlicht Enrico Böhm, der ein Hausverbot | |
beim 1. FC Lokomotive hat, aber den Verein für die Rekrutierung von | |
NPD-Mitgliedern instrumentalisiert. Böhm hatte sich als ehrenamtlicher | |
Helfer bei Lok engagiert, er half unter anderem beim Aufbau des | |
Internetradios für Fans. | |
Von einem Neonazi, der Ende 2003 zu den 13 Gründungsmitgliedern des | |
wiederbelebten Traditionsklubs Lok gehörte und später den Verkauf der | |
Fanartikel betreute, wurde er an die Szene herangeführt. Der gelernte | |
Kfz-Mechatroniker Böhm trat der hartgesottenen Fangruppe Blue Caps bei, und | |
verwandelte diese allmählich in eine rechtsextreme Bruderschaft. | |
Die Blue Caps sind im Bruno-Plache-Stadion seit einem Jahr als Gruppe | |
verboten, viele Mitglieder gehen ohne erkennbare Kleidung weiter ins | |
Stadion. In ihrer Freizeit sichern sie als Ordner Demos und Veranstaltungen | |
der NPD und der Freien Kräfte. Böhm, mehrfach vorbestraft, wirbt in den | |
Internetforen der Fans um Aufmerksamkeit. Mehrere Jugendliche konnte er an | |
die Partei heranführen, vor allem an die JN, die Jungen Nationaldemokraten. | |
Der Fußball diente ihm als Thema für den ersten Kontakt. Böhm meldet | |
Aufmärsche an, organisiert rechtsextreme Konzerte in der Provinz, hängt | |
Wahlplakate auf und sammelt Spenden. Mit Wahlkampfmobilen der NPD wartete | |
er zweimal vor dem Stadion Loks, verteilte Kugelschreiber und Luftballons. | |
Bei der Stadtratswahl kam er im Wahlkreis 9 auf 1.466 Stimmen. Das hat es | |
in Deutschland noch nicht gegeben: Ein rechtsextremer Fußballfan schafft | |
aus dem Stand 3,7 Prozent. Seine Verstrickungen in gewalttätige | |
Auseinandersetzungen scheinen seiner Beliebtheit wenig anzuhaben. | |
7 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
R. Blaschke | |
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