# taz.de -- Schwierige Abgrenzung: Der Pirat, der einmal Nazi war | |
> Ein ehemaliger Kameradschafts-Kader aus Sachsen ist seit Juli Mitglied | |
> der Piratenpartei. Die tut sich im Umgang mit derartigen Fällen und der | |
> Abgrenzung nach Rechts noch schwer. | |
Bild: Rechts, links, wo. | |
Die Piratenpartei ist weiter auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit | |
der politischen Einstellung und Vergangenheit ihrer Mitglieder. Nach der | |
Debatte um den Holocaust-Leugner Bodo Thiesen und dem fragwürdigen | |
Interview des stellvertretenden Vorsitzenden Andreas Popp mit der | |
Rechtspostille Junge Freiheit stellt sich die Frage der Abgrenzung nach | |
Rechts jetzt erneut. | |
Udo H. war als Kameradschaftskader mehr als ein Jahrzehnt fest verankert in | |
der sächsischen Neonazi-Szene. Mitte der 90er Jahre war er Vorsitzender des | |
Jungen Nationalen Spektrums (JNS). Nach dessen Auflösung versuchte er 2000 | |
das JNS wieder aufleben zu lassen, wie aus dem Brandenburger | |
Verfassungsschutzbericht hervorgeht. Später war der heute 33-Jährige in | |
mehreren Kameradschaften aktiv, teils als Anführer. Er war auf Mahnwachen | |
und demonstrierte dort gegen den "ungezügelten Zustrom von Volksfremden". | |
Trotzdem sagt er heute, er sei nie Rassist gewesen. | |
Heute ist er auch ein Pirat, hat die Flagge gewechselt von braun zu orange. | |
Seit Juli ist H. „sehr aktives Mitglied“, erklärt Niedersachsen-Chefpirat | |
Christian Koch der taz. Nachdem er aus den eigenen Reihen von der | |
Neonazi-Vergangenheit des Neumitglieds vor drei Wochen erfuhr, suchte er | |
das Gespräch mit ihm. "Er hat sehr ausführlich geantwortet, offen und | |
glaubhaft erklärt, wie es damals war und wie er heute denkt", sagt Koch. | |
Jeder habe das Recht, sich zu ändern. Die Sache sei damit erledigt. | |
Problematisch dagegen erscheint der Umgang der Piraten-Aktivisten mit dem | |
Fall. In Mailinglisten wurde weniger diskutiert, wie inhaltlich mit der | |
Neonazi-Vergangenheit von Parteimitgliedern umzugehen sei sondern vielmehr, | |
welcher Schaden für die Piraten entstehen könnte, wenn der Fall an die | |
Öffentlichkeit gelangt. "Ich habe keine Problem mit Udo [...] sehe aber | |
welche bei den politischen Gegnern und den Medien", schreibt etwa ein Pirat | |
am 29. September in der Aktiven-Mailingliste der niedersächsischen Piraten. | |
Ein anderer warnt wenige Tage später davor, dass "die Mailingliste auch von | |
Leuten gelesen wird, die uns nicht wohlgesonnen sind." Es wirkt, als | |
sorgten sich die Piraten mehr um ihr öffentliches Ansehen als um die | |
Vergangenheit oder gar eine noch vorhandene politische wenigstens | |
problematische Einstellungen ihrer Mitglieder. | |
Udo H. selbst geht offen mit seiner Vergangenheit um. Er bestätigt | |
gegenüber der taz, dass er mit 14 in die Neonazi-Szene gerutscht sei, | |
später Kameradschaftskader wurde und 2004, nach über zehn Jahren aus seinem | |
Heimatort weggezogen sei. "Ich fand, es war auch mal gut mit dem Quatsch. | |
Zudem hatte ich persönliche Probleme, auch deshalb", sagt er. In | |
Westdeutschland fand er einen neuen Job. | |
"Es ging mir nicht groß um Politik, ich war ein Kind meiner Zeit", sagt er. | |
"Ich habe nie Ausländer verkloppt, war nie Rassist", so H. | |
Dass Kameradschaftskader nicht ausländerfeindlich veranlagt sind, | |
bezweifeln Experten allerdings. "Die Aussage, nie Rassist gewesen zu sein, | |
ist angesichts der geschilderten Vergangenheit zumindest erstaunlich", sagt | |
etwa David Begrich, Rechtsextremismusexperte bei Miteinander e.V. in | |
Sachsen-Anhalt. | |
Klar distanzieren will sich Udo H. von seiner Vergangenheit nicht: "Mit dem | |
Beitritt zu den Piraten habe ich für deren Grundsätze unterschrieben, das | |
ist Distanzierung genug." Ein klassischer Aussteiger sei er ohnehin nicht. | |
"Ich war nicht bei Exit oder so. Ich habe mich ganz persönlich abgewendet", | |
sagt er. Kontakt zur Szene habe er nicht mehr. "Nur noch zu einigen | |
Freunden von damals, die aber auch mittlerweile Familien haben und der | |
Szene den Rücken gekehrt haben." | |
"Ich finde es gut, dass sich die Piraten mit dem Thema auseinandersetzen“, | |
sagt der 33-Jährige. Die basisdemokratische Haltung, die Offenheit reizten | |
ihn. "Wir müssen sowohl nach links als auch nach rechts so offen sein, so, | |
dass niemand vorverurteilt wird", sagt er. Niemand dürfe gedemütigt, zur | |
Distanzierung gezwungen werden. Jeder müsse sich beweisen dürfen. "Sobald | |
ein Mitglied aber rechte Tendenzen zeigt, wird die Partei schon reagieren", | |
ist sich H. sicher. | |
Auch Niedersachsens Piratenpartei-Chef Christian Koch sieht das ähnlich. | |
"Die Frage ist doch, ob sich jemand von seiner Vergangenheit distanzieren | |
muss, um bei uns Mitglied zu werden." Ob jemand Aussteiger werden müsse, wo | |
die Grenze gezogen werde, was man von neuen Mitgliedern verlangen dürfe. | |
Antworten hat er darauf noch nicht gefunden. "Es ist ein Prozess. Wir sind | |
dabei, uns gegen Rechts aufzustellen, das muss aber stärker werden", sagt | |
Koch. | |
Viele Piraten befürworten die Offenheit der Partei. "Wenn jemand von der | |
NPD zu uns wechselt, ich würde ihn aufnehmen", ist etwa Ende September in | |
einer Piraten-Mailingliste zu lesen. | |
Die Rechten unterdessen wissen, dass ihnen von den Piraten Konkurrenz um | |
Wählerstimmen droht: Vor allem junge Männer könnten zu den Piraten | |
überlaufen, fürchten sie. Auf dem Infoportal gesamtrechts.net fordert ein | |
anonymer Kolumnist daher schon Anfang August offen: "Werdet rechte | |
Piraten". Ein direkter Aufruf zur Unterwanderung. | |
"Diese Gefahr besteht natürlich", sagt Experte David Begrich. Entscheidend | |
sei, dass sich die Piraten uninteressant für diese Personen machen. Sie | |
müssten sich dafür klar positionieren, sich klar vom Rechtsradikalismus | |
abgrenzen. "Vielleicht ist diese junge Partei damit aber einfach noch | |
überfordert", so Begrich. | |
7 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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