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# taz.de -- Sportwissenschaftler über Privat-Doping: "Sich zu dopen muss geler…
> Immer mehr Freizeitsportler probieren leistungssteigernde Mittel an sich
> aus - oft unter Mithilfe von Ärzten und Apothekern. Sportwissenschaftler
> Mischa Kläber berichtet über geheime Doping-Netzwerke.
Bild: "Dopingspezialisten unter den Ärzten sehen am Blutbild genau, was der Us…
taz: Herr Kläber, in den vergangenen Jahren war hauptsächlich der
Medikamentenmissbrauch im Hochleistungssport im Fokus, im Schatten der
Spitzensportler hat sich aber im Fitnessbereich Doping wie ein wuchernder
Schleimpilz ausgebreitet.
Mischa Kläber: Das Problem der Dopingdebatte ist ihre ignorante
Einseitigkeit. Während sich der öffentliche Dopingdiskurs seit nahezu vier
Jahrzehnten auf den Hochleistungssport reduziert, hat sich die Dopingszene
des Freizeit- und Breitensports ungebremst entfaltet. Es dürfte sich
bundesweit um mehr als eine Million User, also Dopingkonsumenten, handeln.
Und Ärzte assistieren fast immer, wie Ihre Studie zeigt.
Einerseits ist es ja begrüßenswert, wenn Athleten Anabolikamissbrauch unter
ärztlicher Kontrolle betreiben. Andererseits bleibt ein bitterer
Beigeschmack. In einer Studie aus dem Jahr 1998 wurde gezeigt, dass es 31
Prozent der User unter ärztlicher Kontrolle machen. 2002 wurde die Zahl in
einer weiteren Studie bestätigt, die Autoren kamen auf 32,1 Prozent. Die
Dunkelziffer ist aber um einiges höher.
Welche Mediziner machen mit?
Manche machen das aus reiner Profitgier. Andere rutschen ungewollt in die
Rolle des betreuenden Mediziners hinein. Diese sind als Hausarzt tätig. Der
Patient eröffnet ihnen, dass er eine Anabolikakur beginnen wolle. Der Arzt
rät meist ab. Dann wird er aber subtil unter Druck gesetzt, indem der
Athlet sagt: Entweder Sie betreuen mich, oder ich mache es in Eigenregie.
Und wenn der eine User erst mal betreut wird, folgen weitere. Der Arzt
begibt sich dadurch in ein Abhängigkeitsverhältnis. Er ist auf die
Verschwiegenheit des Users angewiesen.
Wie ist der Arzt involviert?
Es werden hauptsächlich große Blutbilder gemacht und Rezepte verschrieben.
Der allgemeine Gesundheitszustand wird beobachtet. Dopingspezialisten unter
den Ärzten sehen am Blutbild genau, was der User genommen hat, und geben
Empfehlungen für die nächste Medikamentenkur. Oder sie raten in den
kommenden Wochen zur Abstinenz - im Sinne einer Entgiftung.
Wie viele der von Ihnen Interviewten standen unter ärztlicher Kontrolle?
Bei mir waren es 80 Prozent.
Die Zahl ist viel höher als bisher ermittelt. Wie das?
Ich habe eine Quotenauswahl vorgenommen. Ich wollte bewusst erfahrene User
interviewen, die mindestens sechs, sieben Jahre Anabolika, Wachstumshormone
und anderes genommen haben. Diese User bewegen sich in etablierten
Dopingnetzwerken, haben sehr gute Kontakte zu Ärzten und Apothekern.
Wie haben Sie Kontakt aufgenommen?
Ich war selbst jahrelang Trainer im Fitnessstudio. Ich habe einen
exklusiven Zugang und, wenn man so will, einen Vertrauensbonus. Es war so,
dass die User ihre Geschichte loswerden wollten. Ich habe insgesamt 83
Interviews geführt. Mit Usern und mit Non-Usern jeweils 40, auch zwei
User-betreuende Ärzte und ein Physiotherapeut waren dabei.
Je länger sich jemand im Dopingnetzwerk bewegt, desto höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass er einen Dopingarzt hat. Richtig?
Ja. Das wird dann nicht mehr in Eigenregie gemacht. Und auch die
Beschaffungsoptionen für die Dopingmittel verbessern sich von Jahr zu Jahr.
Das heißt natürlich: Man muss im Netzwerk Kontakte pflegen, sich einbringen
und am Anfang vor allem durch Leistung überzeugen. Dieses Netzwerk ist eine
verschwiegene, nach außen abgeschottete Gruppe. Es gibt die studiointernen
Spezialisten, meist ehemalige Wettkampfbodybuilder, die ganz oben stehen.
Die Spezialisten gehören mit den Medizinern zur Hierarchiespitze. Ganz
unten stehen die Anfänger, der User-Nachwuchs. Die müssen sich erst als
würdig erweisen.
Im Laufe der Zeit findet also eine Professionalisierung statt.
Sich zu dopen muss gelernt sein. Ein vorbereitendes und assistierendes
Umfeld ist unerlässlich. Ein Handvoll Ärzte reicht aus, um eine Vielzahl an
User-Netzwerken zu versorgen.
Das heißt, die Dopingmittel müssen irgendwann nicht mehr illegal beschafft
werden.
Dopingmittel werden oftmals ohne medizinische Indikation verschrieben.
Vereinzelt haben Athleten sehr gute Kontakte zu deutschen Apothekern, die
unter der Hand Dopingpräparate verkaufen. Auf dubiose Schwarzmarktgeschäfte
ist man dann nicht mehr angewiesen. Erfahrene User, die für den Nachwuchs
eine Art Schulung betreiben - im Sinne einer Dopingsozialisation, warnen
die Anfänger vor Hinterhofdealern und Internetbestellungen. Die
Netzwerkkontakte reichen oft tief hinein in Sportvereine, in
Militäreinrichtungen, ja bis in den Spitzensport.
Tatsächlich?
Ja, es findet eine gegenseitige Befruchtung statt. Das Doping-Know-how im
Freizeit- und Breitensport ist beträchtlich. Da können auch Spitzensportler
profitieren. Körpermodellierer haben eine avantgardistische Rolle in diesen
Netzwerken. Das schwappt schon mal rüber in den Radsport oder andere
Sportarten.
Wie steigt der Neuling ein?
Am Anfang ist es oft so, dass man sich auf irgendwelche Parkplatzdealereien
einlässt und dann vom Dealer auch die Einnahmeempfehlung bekommt, oft
immens überdosiert. Das ist heikel. Die Jugend, die ja nicht sehr liquid
ist, ist davon besonders bedroht. Andere holen das Zeug von Apotheken im
Ausland. Meine türkischen User kaufen in der Türkei die Sachen ein. Vorher
haben sie beim deutschen Zoll angerufen und gefragt, wie viel sie denn
einführen dürfen, also welche Menge noch unter Eigenbedarf fällt.
Und?
Der Zoll war völlig überfordert, man hat eine Verlegenheitsantwort gegeben,
25 bis 30 Ampullen pro Person. Dann hat die Mutter 30 mitgenommen, der
Vater 30 und der Bruder auch. Das ist mehr als eine Kur, und der Rest wird
verkauft. Oder man kauft in Mexiko oder Thailand ein, dort bekommt man
problemlos alles, was das User-Herz begehrt.
In Deutschland ist ja nach dem Arzneimittelgesetz nur der Besitz "nicht
geringer Mengen" strafbar, das ist eine recht dehnbare Formulierung.
Das ist sehr schwammig. Was ist denn im konkreten Fall "nicht gering"? Ist
das ein Koffer voll mit Dianabol-Tabletten? Besitz und Konsum von Anabolika
sind legal. Das kann man nicht strafrechtlich verfolgen, es sei denn, man
hat größere Mengen zu Hause gebunkert. Ich habe auch viele Athleten im
Interview gehabt, die hatten schon Hausdurchsuchungen. Die haben dann einen
kleinen Karton zusammengepackt, ihn der Polizei übergeben und Eigenbedarf
angemeldet. Die Staatsanwaltschaft hat das Zeug nach ein paar Monaten
zurückgeschickt. Die konnte nichts machen.
Sie haben im Rahmen Ihrer Studie auch mit der Polizei gesprochen.
Die sagen, dass ihnen die Hände gebunden sind. Die sind recht verzweifelt,
weil sie gar nicht wissen, wie sie vorgehen sollen. Und alle
Ermittlungserfolge der letzten Jahre waren Zufallsfunde.
Sollte das Arzneimittelgesetz verschärft werden?
Würde man eine strenge Besitzstrafbarkeit einführen, dann würde man eine
Reihe braver Mitbürger kriminalisieren, Leute, die seit 30 Jahren ihre
Kuren durchziehen, keine sichtbaren Schäden aufweisen, fest im Berufsleben
verankert sind, gesunde Kinder haben und damit eigentlich ganz gut fahren.
Das klingt ja geradezu idyllisch.
Das will ich nicht sagen, aber es handelt es sich bei den Medikamenten um
Nebenwirkungen, die eintreten können, aber nicht zwangsläufig müssen. Viele
meiner Athleten haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass auch anderswo
der Hormonhaushalt ausgetrickst wird. Stichwort: Antibabypille.
Was ist mit den dokumentierten Leberschädigungen, Herzerkrankungen, der
gesteigerten Aggressivität, den frühen Toden von Hochleistungsdopern wie
Florence Griffith-Joyner und den Schäden der DDR-Dopingopfer?
Ich stelle lediglich die Legitimationsrhetoriken der User dar. Es handelt
sich dabei nicht um meine persönliche Meinung. Das will ich klarstellen. Zu
dieser Rhetorik gehört auch, dass wir in einer medikamentenfreundlichen
Gesellschaft leben. Bei den DDR-Dopingopfern handelt es sich um eine
negative Auslese. Athleten, die mit Anabolika gut fahren oder jahrelang
gefahren sind, die werden eigentlich nie untersucht. Aber klar, wenn man
Doping auf einem hohen Niveau betreibt, dann ist das der Gesundheit nicht
zuträglich. Das wird kein User leugnen. Die sind sich bewusst, dass sie
sich gefährden. Aber die User gehen von einer Kompensationshypothese aus.
Was heißt das?
Sie sind fest davon überzeugt, dass sie über einen gesunden Lebensstil die
negativen Facetten des Dopens kompensieren können. Sie bewegen sich
regelmäßig, sie ernähren sich vorbildlich, haben ein gutes Regenerations-
und Schlafverhalten. Sie stehen damit gesünder da, sagen sie, als der
Durchschnittsbürger, der auf der Couch sitzt und sich fettfrisst.
Was heißt das? Anabolikakonsum ist nicht so schlimm, wenn der Athlet auf
sich aufpasst?
Mir geht es um einen verstehenden Nachvollzug. Alles beginnt mit dem
unbedarften Studiobesucher. Der will erst trainieren, dann wird die
Körperoptik immer wichtiger. Er baut seine Identität zunehmend über seinen
Körper auf. So einer tappt dann in Beziehungsfallen im Studio. In jedem
Studio gibt es Grüppchen, die Neulinge auf ihre Affinität für Doping
testen. Mit Nahrungsergänzungsmitteln gehts los, am Ende der Dopingspirale
stehen der Konsum von Wachstumshormonen und in manchen Fällen von
Straßendrogen wie Kokain.
Betrifft das nur die Kraftsportszene?
Nein, auch die Fitnesssportler, die einen extrem niedrigen Körperfettanteil
von 6 bis 7 Prozent anstreben. Das sind die, die oftmals viel gefährlicher
dopen als die Körpermodellierer mit den dicken Muskeln. Auch Frauen, die
Aerobic- oder Spinningkurse besuchen, sind gefährdet. Mit Anabolika fahren
Frauen allerdings schlechter. Die Nebenwirkungen, wie eine tiefe Stimme,
sind irreversibel. Wenn beim Mann die Hoden schrumpfen, dann kann man da
noch gegensteuern.
9 Oct 2009
## AUTOREN
Markus Völker
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