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# taz.de -- Koalitionen im Bildungsstreit: Schulkampf wird wieder angeheizt
> Schwarz-Gelb ist darin erfahren, wie man Schulreformen zugrunde richtet.
> Obwohl die Hälfte der Länder versucht, ihren Schulverhau aufzuräumen,
> machen Kiel und Berlin das Gegenteil.
Bild: Zurück zu den Anfängen: Obwohl das System "Realschule" ausgedient hat, …
Kiel machte den Anfang, Berlin zog sofort hinterher. Das Land im hohen
Norden war bislang der Vorreiter einer nachhaltigen Schulreform: Sachtes
Zusammenführen der zersplitterten Schullandschaft und der Versuch,
individuelles Lernen in die Fläche zu tragen.
Doch seit Sonntag ist höchst ungewiss, ob Kiel mit Schwarz-Gelb nicht
einfach auf der Hacke kehrt macht. Zwar hat Ministerpräsident Harry Peter
Carstensen (CDU) einem einfachen Zurück eine Absage erteilt. Aber was aus
den Koalitionsgesprächen heraussickert, lässt dennoch wenig Gutes hoffen.
Die FDP in Schleswig-Holstein ist das Problem. Sie will offenbar die gerade
abgelösten Realschulen wieder einführen. Das ist genau das
Rein-in-die-Kartoffeln-raus-aus-den-Kartoffeln, das Carstensen angeblich
verhindern wollte. Und es bringt eine starke Verunsicherung der Eltern. Die
haben gerade eine Strukturreform hinter sich - warum will man die nun
teilweise wieder korrigieren?
Zudem soll es künftig mehr Gemeinschaftsschulen geben, das ist die neue
Gesamtschule, allerdings pädagogisch gehaltvoller. Ab sofort können sich
auch Regionalschulen Gemeinschaftschulen nennen. Das ist nur auf den ersten
Blick ein Gewinn - denn die Gemeinschaftsschule ist eine integrierte
Schule; die Regionalschule aber setzt nur mehrere Bildungsgänge
nebeneinander. Bleibt die Realschule aber gleichzeitig als eigenständige
Schulart bestehen, dann wird es wohl bald Hauptschulen geben, die künftig
schlicht Gemeinschaftsschulen heißen.
So hat man einst die Marke Gesamtschule ruiniert. Mit der
Gemeinschaftsschule wird der gleiche Trick angewandt. Die Konservativen und
die Liberalen haben eben jahrzehntelange Erfahrung, wie man Schulreformen
zugrunde richtet.
Vielleicht sollten die Holsteiner mal nach Hamburg schauen. Dort hat der
Regierende Bürgermeister Ole von Besut (CDU) längst erkannt, dass eine
große Schulreform kein ideologisches Projekt ist, sondern ein
gesellschaftliches. "Das neue System mit Primar-, Stadtteilschulen und
Gymnasien wird die Chancen aller Schülerinnen und Schüler verbessern. Davon
bin ich überzeugt. Das Schulsystem, das wir jetzt haben, ist nicht
gerecht."
Das zweite Rollback kommt noch, ehe die Schulreform richtig begonnen hat.
In Berlin soll es ab kommendem Schuljahr nur noch Schulformen geben, die
zum Abi führen. Aber der Sprecher des Landeselternausschusses, André
Schindler, der einst mit einer Bildungspartei gescheitert ist, sieht es als
persönliche Mission an, Berlins Eltern zu verunsichern. Von Sonntag auf
Montag schlief Schindler wenig und verschickte dafür viele Mails und
Pressemitteilungen: "Der Landeselternausschuss schätzt", schrieb er, dass
"jedes fünfte Gymnasium geschlossen werden müsste".
Für diese Mutmaßung gibt es zwar keinen harten Beleg. Aber Schindler weiß
genau, wie die notorisch schlecht informierte Elternschaft in den vierten
bis sechsten Klassen reagieren wird: Sie wird versuchen, ihre Kinder
möglichst schnell aufs Gymnasium zu bugsieren.
Das hätte einen Run auf die Gymnasien zur Folge - und einen Aderlass in den
Grundschulen, die in Berlin sechs Jahre dauern. Nicht wenige Grundschulen
versuchen bereits jetzt entgegenzuwirken, indem sie die Eltern seriös über
die Schulreform aufklären. Denn dort ist das glatte Gegenteil von dem
geplant, was Schindler behauptet: "Wir planen, die Gymnasialplätze
auszuweiten", sagte etwa Pankows stellvertretende Schulstadträtin Lioba
Zürn-Kasztantowicz (SPD).
Die neu aufflackernden Schulkämpfe sind deswegen so absurd, weil das ganze
Land in Bewegung ist. Das Tabu der Schulformfrage ist gebrochen - und das
zu Recht. In sieben Bundesländern ist eine große Schulreform im Gange. Und
auch in den großen Ländern Bayern, Baden-Württemberg und NRW ist der Druck
enorm - weil den Regierenden die Hauptschulen unter der Hand wegsterben.
Aber alte Ideologien wirft man eben nicht einfach weg.
14 Oct 2009
## AUTOREN
C. Füller
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