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# taz.de -- Bürgergeld in der Schweiz: Der Turmbauer zu Basel
> Daniel Häni will in der Schweiz eine Volksabstimmung über 1.500 Euro für
> alle herbeiführen. Der Kaffehausbesitzer und Filmemacher glaubt, dass nur
> der Gutes leistet, dem es gut geht.
Bild: Her mit dem Bürgergeld!
Im Sommer hat Daniel Häni in der Innenstadt von Basel einen Turm aufgebaut.
Was war die Idee? "Dass die Menschen nicht konsumieren, sondern neue
Einsichten haben". Und - hatten sie? Ja. Sie sahen ein anderes Basel.
Jedenfalls sagten sie ihm das. Einer maulte, es habe oben nichts zu trinken
gegeben.
Es gab selbstredend jede Menge Bedenken gegen ein turmartiges Gerüst in der
Fußgängerzone. Was ist, wenn sich einer runterstürzt? Wer genehmigt das? Es
stellte sich heraus: Es gibt kein Gesetz. Das Aufstellen eines Gerüstes zum
Zwecke des Gewinns von neuen Perspektiven ist in dieser Welt nicht
vorgesehen. Und so konnte das Projekt "neuland" auch nicht untersagt
werden. Was Häni in seinem Mantra bestätigt hat. Es lautet: "Es geht ganz
gut, was alles nicht geht."
Mit diesem Lebens- und Arbeitsansatz steuert er auf sein bisher größtes
Projekt zu: Zusammen mit seinen Mitstreitern will er eine Volksabstimmung
der Schweizer über die Frage der Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens herbeiführen. "Die ganze Bevölkerung soll sich damit
auseinandersetzen und dann eine Willensbekundung abgeben, ob es in diese
Richtung gehen will".
Die Idee gibt es seit Langem. In Deutschland hat der Unternehmer Götz
Werner (dm-Drogeriemarkt) das Konzept bekannt gemacht. Häni beschäftigt die
Sache seit 1991. 2006 hatte er den Eindruck, die Zeit sei reif, und
gründete zusammen mit dem Frankfurter Künstler Enno Schmidt die "Initiative
Grundeinkommen".
Zusammen haben sie mehr als ein Jahr an dem Dokumentarfilm "Grundeinkommen
- ein Kulturimpuls" gearbeitet. Mit dem Film touren sie seither durch die
Schweiz und Deutschland: Etwa 200.000 Menschen haben ihn bereits gesehen.
Solche Filme entlassen das Publikum häufig mit einem Gefühl der Wut, aber
auch der Ohnmacht: so nicht. Aber keine Ahnung, wie sonst. "Grundeinkommen"
ist anders. Er bringt einen auf den aktuellen Stand der Diskussion und
macht Lust, weiter darüber nachzudenken, ob es so wohl tatsächlich gehen
könnte.
## Ein Café in der ehemaligen Bank
An diesem Tag sitzen Schmidt und Häni im "unternehmen mitte" in Basel. Hier
war mal der Hauptsitz der Schweizerischen Volksbank. Häni und ein paar
Freunde haben daraus vor zehn Jahren ein Kaffeehaus gemacht. Der
Einsichten-Turm wurde aus Anlass der Feierlichkeiten aufgebaut. Das Haus
gehört jetzt einer anthroposophischen Stiftung. Häni ist einer von drei
Geschäftsführern und Teilhaber der gemeinnützigen GmbH. Im obersten Stock
wohnt er mit seinen Kindern.
Es ist ein schönes Gebäude im Zentrum der Altstadt. Vier Etagen plus Keller
plus Dachgeschoss. Ein Baustilmix, den man am ehesten Historismus nennen
könnte. Hohe Räume, viel Luft und Licht. Das Herzstück des Kaffeehauses ist
die ehemalige Schalterhalle. In den oberen Stockwerken sind Arbeitsplätze
an etwa 100 Leute aus dem kulturkreativen und dem NGO-Milieu vermietet.
Vorn, zur Gerbergasse hin, hat es zwei Bars namens "fumare non fumare". Um
die tausend Gäste zählt man täglich. Studierende, Kreative, teuer
angezogene Laptop-Frauen, Omis. Mittwochs ist Kindertag. Und abends kommt
auch noch die Gymnasial-Oberstufe. Unter anderem, weil es im "unternehmen
mitte" keinen Konsumzwang gibt. Man kann hier ausdrücklich sein, ohne etwas
kaufen zu müssen. Also bedingungslos. An einer Wand prangt jener Satz, der
die Idee des Grundeinkommens mit der Emotionalität und der Präzision eines
Popsong-Refrains auf den Punkt bringt: Was würden Sie arbeiten, wenn für
Ihr Einkommen gesorgt wäre?
Ein starker Satz. Wenn man sich auf ihn einlässt. Wenn Einkommen getrennt
von Arbeit funktioniert, entsteht die Freiheit, "Leck mich am Arsch, Chef"
zu sagen. Aber worin besteht die Sinnmaximierung der mir dann zur Verfügung
stehenden Arbeitszeit? Im Film ist ein Tenor: Ich würde dasselbe machen wie
jetzt auch. Nur anders. Und nicht unbedingt für denselben Arbeitgeber.
Einige sagen auch, sie fürchten, dass andere dann nichts mehr arbeiteten.
Das Grundeinkommen wird parteien- und ideologienübergreifend propagiert und
abgelehnt. Konservative dafür, Linke dagegen - und umgekehrt: Das macht es
interessant. Der Gedanke in Kurzform: Jeder Erwachsene bekommt
bedingungslos 1.500 Euro pro Monat, jedes Kind die Hälfte. Der
Einkommenstransfer soll über eine Abgabe auf den Konsum erfolgen. Die
meisten bisherigen Transfers und Steuern fallen weg. Es gibt ökonomische
Zweifel: nicht finanzierbar, eine hohe Konsumsteuer macht alles viel zu
teuer; Gerechtigkeitszweifel: Es ist ungerecht, wenn alle gleich viel
bekommen - unabhängig von der Bedürftigkeit; und sozial-psychologische
Bedenken: So was treibt nicht mich, aber andere in die Hängematte der
Faulheit.
Für Enno Schmidt, 50, ist letzteres Gedankengut die "Fortsetzung einer
Gesellschaft, die extrem mit Ausschluss arbeitet". Er sieht von 200
vielleicht einen, der sich mit dem Geld ganztags "das Bier über die
Jogginghose kippt" - und plädiert dafür, sich auf die anderen zu
konzentrieren. Es geht nicht darum, ob der Mensch "gut" ist. Es geht auch
nicht um Klassenkampf und Umverteilung von oben nach unten. Ein
Grundeinkommen, sagt Schmidt, "sorgt einfach nur dafür, dass Armut
aufgehoben wird und Menschen etwas machen können".
Daniel Häni, 43, wuchs als Halbwaise auf, in kleinbürgerlichen
Verhältnissen. Machte eine Lehre als Vermessungszeichner, studierte
Siedlungsplanung. Er kommt aus dem Ort Mühleberg im Kanton Bern, Sitz eines
von vier Schweizer Atomkraftwerken. Eine Jugend als AKW-Gegner liegt da
nahe. Später wurde er Hausbesetzer. Er nennt es "Hausbeleber". Die
Umfunktionierung des Bankgebäudes ist eine logische Fortsetzung. Häni lebt
seit 1987 in Basel, zum Establishment wird er nicht gezählt, zu den
Gastropromis auch nicht. Hinter seinem Schreibtisch stehen 350 Bücher von
Rudolf Steiner. Er ist kein Charismatiker vom Schlag eines Daniel
Cohn-Bendit, er spricht leise, am Ende vieler seiner Sätze hängt das
gebräuchliche Deutschschweizer "oddr?" an. Das ist keine wirkliche Frage.
Eröffnet aber Raum für "Teilnahme, Bestätigung und Abstimmung", sagt Häni.
Das Interessante an Häni ist, dass er für das Grundeinkommen - wie Götz
Werner - auch aus Unternehmerperspektive plädiert. In einer hoch
arbeitsteiligen Gesellschaft müsse man darauf schauen, dass es den Menschen
gut gehe, damit sie etwas Gutes leisten könnten. Die Leistung müsse frei
und erst der Konsum besteuert sein. Er glaubt, ein besseres Unternehmen
führen zu können, wenn die menschliche Arbeit und die Löhne nicht mehr
durch Abgaben und Steuern belastet, sondern durch Grundeinkommen
subventioniert werden. "Und wenn die Leute weniger gezwungen werden können
zu arbeiten, müssen die Unternehmen sich etwas einfallen lassen, warum die
Menschen das tun sollen."
Was bietet er seinen Mitarbeitern jetzt, damit sie hier arbeiten? "Einen
tollen Ort, tolle andere Mitarbeiter und eine Unternehmensidee, die nicht
in Gewinnmaximierung liegt, sondern in Sinn." Aber Sinn ersetzt nicht einen
Teil des Gehalts? "Nee, nee."
## Kündigung nach dreimal
Wer argwöhnte, es handele sich um einen altzauseligen Sozialromantiker,
merkt spätestens jetzt, dass er schiefliegt. Das "unternehmen mitte" lebt
von Eigenverantwortung und Identifikation seiner Mitarbeiter. Aber es ist
keine alternative Klitsche. Der Laden hat 363 Tage im Jahr geöffnet. Damit
werden den etwa 40 Mitarbeitern gute und konkurrenzfähige Löhne gezahlt.
Und wer dreimal zu spät kommt, fliegt raus.
Ist das "links"? In Basel raunen manche, der Laden mache "Geld wie Heu".
Das Geraune gebe es, bestätigt Häni. Und 3 Millionen Schweizer Franken
Jahresumsatz. Aber Geld sei nicht Ziel, sondern Basis. Es gehe darum, ob
und wie ein gemeinnütziges Unternehmen mit dem Kapital Sinn schafft.
"Sinnmaximierung" ist sein Wort. Seine Berufsbezeichnung lautet
"Unternehmer und Kulturraumschaffender". Man könnte sagen: Häni ist der Typ
des modernen Social Entrepreneurs, dessen unternehmerische Tätigkeit im
Kapitalismus auf das Ziel eines gesellschaftlichen Wandels fokussiert ist.
## Freiraum für Veränderung
"Daniel führt durch Fragen", sagt Benjamin Hohlmann, Leiter des Cafés im
"unternehmen mitte". Hohlmann ist 26 und brachte keinerlei gastronomische
Erfahrung mit. Häni gab ihm den Job und die Freiheit, ihn selbst zu
definieren. Häni sei überzeugt, dass Veränderung durch den Einzelnen komme.
Dafür wolle er anderen den nötigen Freiraum zur Verfügung stellen.
Mal ganz zu schweigen von der Transformation der Arbeitsgesellschaft und
dem Schwinden der Festanstellungen: Häni ist ziemlich sicher, dass die
Krisen des 21. Jahrhunderts, Klimawandel, Energiekrise,
Globalisierungskrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, "nur von Menschen
gelöst werden, die einen gewissen Freiraum und eine gewisse Basis haben".
Also ein Grundeinkommen. "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral",
sagt er, "und wenn du an der Moral arbeiten willst, musst du sehen, dass
das mit dem Essen geklärt ist." Das ist Brecht, aus dessen marxistischer
Perspektive das Grundeinkommen selbstverständlich zu wenig Umwälzung ist,
um die Verhältnisse zu wenden. Dafür geht das symbolische Prunkstück im
"unternehmen mitte" eindeutig in seine Richtung: der leere Banktresor.
An einem anderen Tag in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Häni hat inzwischen
ein iPhone. Es zeigt Videos und Bilder zurückliegender Aktionen. Was er
damit sagen will: Die Sache kriegt Fahrt. Er spricht von einem
Lieblingsprojekt: demnächst 10, 50 oder 100 Leuten ein bedingungsloses
Grundeinkommen zu verpassen. Damit es passiert. Und um zu sehen, was dann
passiert. Er hat inzwischen auch noch mehr Routine, die Argumente der
Gegner zu parieren. Reichensteuer, sagt er, sei nur Buße und letztlich
Legitimation dafür, andere "abzuzocken". Den Mindestlohn bezeichnet er als
"Kampf für bessere Versklavungsbedingungen". Das bedingungslose
Grundeinkommen dagegen stelle die Sklaverei infrage. Er nimmt eine
Postkarte, verteilt die Milliarden im Bundeshaushalt für soziale Leistungen
neu, listet auf, rechnet aus. Am Ende passt alles, und unter dem Strich
stehen zwei Wörter: "Weniger Staat."
Hm? Ja, sagt er: Das Grundeinkommen ist ein bedingungsloser Transfer, den
der Staat nur treuhänderisch regelt. Die Streiterei und das Geklüngel um
Geldverteilung fällt damit weitgehend weg. Also: weniger Staat.
Für seine Verhältnisse ist Daniel Häni jetzt fast euphorisch.
15 Oct 2009
## AUTOREN
Peter Unfried
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