# taz.de -- Interview mit einem "Ironman": "Es ist alles extrem" | |
> Andreas Raelert hat sich mit der Teilnahme beim Ironman Hawaii einen | |
> Traum erfüllt und wurde Dritter. Im taz-Interview spricht er über den | |
> Mythos des Rennens, mentale Krisen und seinen Zieleinlauf in Trance. | |
Bild: "Die Frage ist nur, wie man die Krisen übersteht": Andreas Raelert. | |
taz: Herr Raelert, der Ironman Hawaii gilt als Mythos. Was macht das Rennen | |
so mythisch? | |
Andreas Raelert: Hawaii ist der Geburtsort des Triathlons, zumindest des | |
Ironman - und es war auch für mich der Grund, warum ich 1993 mit diesem | |
Sport begonnen habe. Damals habe ich eine Reportage im Fernsehen über das | |
Rennen gesehen, in diesem Jahr habe ich mir den Traum erfüllt und | |
mitgemacht. | |
Es heißt, um auf Hawaii bestehen zu können, bedürfe es einer größeren | |
mentalen Stärke als bei jedem anderen Rennen. | |
Auf der Langdistanz bedarf es prinzipiell einer ungeheuren mentalen Stärke | |
und Kraft. Auf Hawaii kommt hinzu, dass dort die Besten der Welt am Start | |
sind und man es mit ganz besonderen äußeren Bedingungen zu tun hat. Es ist | |
dort alles extrem - die Hitze, die Luftfeuchtigkeit, der Wind, die Wellen. | |
Deshalb sind auch die Höhen und Tiefen, die man während des Rennens | |
überwinden muss, extremer ausgeprägt als anderswo. | |
Was bedeutet mentale Stärke? | |
Es bedeutet, dass man jederzeit in der Lage ist, seine müden Punkte | |
überwinden zu können. Man muss immer weiter an sich glauben, egal wie | |
schlecht es einem gerade geht. Und man muss auf alles, was passiert, cool | |
reagieren. In einer guten Phase darf man nicht überdrehen - in einer | |
schlechten darf man sich nicht aus seinem Konzept, seiner Konzentration | |
bringen lassen. | |
Haben Sie während des Rennens ans Aufhören gedacht? | |
Nicht ein einziges Mal. Ich war mental so vorbereitet, dass ich wusste, | |
dass unvorbereitete Dinge passieren können, auf die ich dann reagieren | |
muss. | |
Wie bereitet man sich darauf vor? | |
Ich habe von meinen Erfahrungen, die ich seit 1993, wenn auch auf der | |
Kurzstrecke, gesammelt habe, profitiert. Außerdem habe ich mir die | |
Hawaii-Rennen der letzten Jahre angeschaut und meine Rückschlüsse gezogen. | |
Einer der wichtigsten: Das Rennen ist erst vorbei, wenn man die Ziellinie | |
überschritten hat. | |
Das hört sich banal an. | |
Mag sein. Aber das Rennen, das Craig Alexander, der Sieger, abgeliefert | |
hat, ist dafür der beste Beweis. Craig hatte unheimlich viele Probleme und | |
Tiefen, nicht nur beim Radfahren, auch später beim Laufen. Letztendlich | |
aber hat er es am besten verstanden, die Ruhe zu bewahren und seine Kräfte | |
einzuteilen. | |
Es gewinnt also derjenige, der das beste Krisenmanagement betreibt? | |
Absolut! Krisen durchlebt während dieses Rennens jeder. Die Frage ist nur, | |
ob und wie man sie übersteht. | |
Der sechsfache Hawaii-Sieger Mark Allen hat gesagt, es habe während des | |
Rennens in die Abgründe seiner Seele geblickt. Wie war das bei Ihnen? | |
Nicht ganz so dramatisch. Ich hatte ja von Beginn an ein fast perfektes | |
Rennen. Bis Kilometer 28 beim Laufen habe ich mich sehr gut gefühlt und | |
sogar vom Sieg geträumt. Dann wurde der Schalter umgelegt, plötzlich ging | |
gar nichts mehr. Der Kopf sagt: Du musst weiter! Du musst weiter! Du musst | |
weiter! Aber der Körper sagt: Hier ist Schluss! Es geht nichts mehr! Ich | |
habe in diesem Augenblick vielleicht nicht in die Abgründe meiner Seele | |
geblickt, aber es reicht, um diesen Moment nie mehr zu vergessen. | |
Craig Alexander hat noch im Ziel gesagt: "Das Besondere an diesem Rennen | |
ist, dass man jedes Mal etwas über sich selbst lernt." Was haben Sie über | |
sich gelernt? | |
Ich habe gelernt, dass ich trotz der Schwierigkeiten, die ich hatte, ruhig | |
geblieben bin und nie an mir gezweifelt habe. Ich habe aber auch gelernt, | |
dass ich, was das Verarbeiten der mentalen Höhen und Tiefen angeht, noch | |
weiter an mir arbeiten muss. | |
Stimmt es, dass Sie sich an den Zieleinlauf nur bruchstückhaft erinnern | |
können? | |
Ja, das stimmt. | |
Wie muss man sich das vorstellen? Laufen im Unterbewusstsein? In Trance? | |
Es treibt einen irgendetwas weiter nach vorne, automatisch. Ohne dass man | |
genau weiß, was es ist. Man will einfach nur über den Zielstrich. | |
Vielleicht hat das tatsächlich mit Trance zu tun. | |
Es heißt, der Ironman Hawaii sei eine Schule der Demut. | |
Man muss Respekt haben. Wer dieses Rennen mit zu großem Selbstbewusstsein | |
angeht, läuft Gefahr, seine Grenzen zu überschreiten und zu scheitern. | |
Sie sind bei Ihrem ersten Auftritt in Hawaii Dritter geworden. Was darf man | |
daraus für die Zukunft ableiten? | |
Ich denke, dass ich die Fähigkeiten habe, das Rennen zu gewinnen - wenn ich | |
einen perfekten Tag erwische. | |
Craig Alexander glaubt, Sie hätten das Potenzial, das Rennen mehrmals zu | |
gewinnen. | |
Das ehrt mich. Aber es war in diesem Jahr das engste Finish in der | |
Geschichte des Hawaii-Ironman. Das heißt, dass es einige sehr gute Athleten | |
gibt, die das gleiche Ziel haben wie ich. Schon deshalb wäre es vermessen, | |
zu sagen: Ich will das Rennen mehrfach gewinnen. Mein Ziel ist es, den | |
perfekten Tag zu haben. Wenn ich den nur einmal im Leben habe, ist es auch | |
in Ordnung. | |
Im Triathlon wurden zuletzt wieder etliche Dopingfälle bekannt. Hat der | |
Sport mehr denn je ein Dopingproblem? | |
Nein. Nicht mehr als andere Sportarten auch. Der Sport ist ein Spiegelbild | |
der Gesellschaft - und deshalb gibt es auch im Triathlon schwarze Schafe. | |
Jeder Dopingfall, egal in welcher Sportart, ist eine Schande. Er ist auf | |
der anderen Seite aber auch ein Zeichen, dass der Antidopingkampf fruchtet. | |
Wie oft wurden Sie in diesem Jahr kontrolliert? | |
Über 20-mal. | |
INTERVIEW: FRANK KETTERER | |
22 Oct 2009 | |
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