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# taz.de -- die wahrheit: Legende der Lenden
> Die Mutter aller Wichsvorlagen: Ein sehr persönlicher Nachruf auf den
> ebenso verhüllenden wie Fantasie anregenden Quelle-Katalog.
Dies ist ein Nachruf. Ein Nachruf auf die Bibel des Wirtschaftswunders, auf
Deutschlands geliebtestes Buch: den Quelle-Katalog. Mit größerer
Verbreitung, als die Bibel sie je haben wird. Mit einer Haushaltsabdeckung
von 127 Prozent. Ständige Neuauflagen. Nun ist er verschwunden von den
Bestsellerlisten. Nun heißt es: Ich bin dann mal weg.
Der Quelle-Katalog, das waren "Love me do" und "Eight days a week" in
einem. Genauso, wie es die Beatles gab und die Rolling Stones, genauso, wie
es Michael Jackson gab und Prince, so gab es den Quelle-Katalog und den
Otto-Versand. Bei uns gab es allerdings nie Otto, wir waren ein
Quelle-Haushalt!
Für den Postboten aber waren alle Versandhaus-Kataloge gleich. Postboten
trainierten das komplette Jahr an Hanteln - Fitnesscenter und
Kraftmaschinen gab es da noch nicht. Sie trainierten für diese Auslieferung
der Superlative. Zweimal jährlich. Der Frühling/Sommer-Katalog und der
Herbst/Winter-Katalog, das war die Dualität des Jahres. Das war die
eigentliche Einteilung der Jahreszeiten, es gab nur Strick oder Ripp,
Winter oder Sommer, Sonne oder Frost. Dazwischen lagen die Übergangsmäntel.
Und hier gab es alles. Wirklich alles: Fahrräder, Waschmaschinen, Uhren,
Schnuller, Swimmingpools, Staubsauger, Bettbezüge und
Kreuzschlitzschraubenzieher. Aber vor allem gab es Kleidung. Und zwar
Damenkleidung: Röcke, Kleider, Bademoden, Unterwäsche. Der Playboy? Sowieso
zu teuer. Die St. Pauli Nachrichten? So was hätten wir doch nicht im Hause
haben dürfen. Wir jungen und alten Männer blätterten im Quelle-Katalog,
wenn wir uns sexuell anregen wollten. Horst Seehofers verzweifelte
Rettungsaktion für den Quelle-Katalog war reine Nostalgie und Selbstzweck.
Warum diese Rettung nicht vom Wirtschaftsminister zu Guttenberg unterstützt
wurde, ist sonnenklar. Zu Guttenberg ist eine ganz andere Generation, der
hat schon Internet und erledigt das auf [1][youporn.com].
Man kann sich heute gar nicht vorstellen, wie schwierig es früher war, eine
Frau nackt zu Gesicht zu bekommen. Im wahren Leben war das fast unmöglich.
Was für den Intellektuellen Henry Miller ist, Anaïs Nin oder die
Emanuelle-Serie bei Rowohlt, das war uns einfachen Handarbeitern der
Quelle-Katalog: Vorlage. Wir blätterten bei Damenmode durch Kleider, Röcke,
Unterwäsche, Schuhe und Strümpfe. Nicht zu vergessen: Bademoden. Wir
stellten uns vor, wie wir unsere Hand vorsichtig zitternd in Dekolletées
steckten, wie wir Träger von Schultern schoben. Bei den BHs mussten wir uns
gar nichts weiter vorstellen, denn allein die Wölbung der Brüste über dem
Körbchen zu sehen, das reichte für unsere Erfüllung. Und wie manche Frauen
in die Miederwaren geschossen wurden, war uns ein Rätsel.
Wir rollten Strümpfe herunter und sahen Damen in High Heels vor uns, in
schwarzen, spitzen Pumps, während unsere Freundinnen zu dieser Zeit
ausschließlich in Birkenstock-Schlappen unterwegs waren. All diese
Freundinnen in weiten Latzhosen und den selbst gebatikten Wallekleidern
steckten wir in unserer Fantasie in das kleine Schwarze von Seite 27 mit
den Spaghettiträgern. Dabei war der Quelle-Katalog um so viel besser als
der Playboy und die St. Pauli Nachrichten. Die Heftchen gingen immer zu
weit, weil sie ja nur das Nackte zeigten und nicht das erregende
Verhülltsein wie der Katalog.
Mit alldem ist nun Schluss. Und zum ersten und wahrscheinlich einzigen Mal
habe ich Horst Seehofer bedauert und mit ihm mitgelitten. Wie er da steht
vor den Fernsehkameras, einem Robert De Niro gleich. Wie Horst Seehofer
sich die Betroffenheit des Kunden vor Augen ruft, wenn er den Katalog mit
der Hand trotzig-traurig umkrallt. Und in seinem Gesicht spiegeln sich all
die schönen Erinnerungen an: meine Quelle.
23 Oct 2009
## LINKS
[1] http://youporn.com/
## AUTOREN
Bernd Gieseking
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