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# taz.de -- Václav Klaus und der EU-Vertrag: Warum Tschechien so zaudert
> Das Land war in seiner Geschichte zu oft bedroht, als dass es ohne
> Protest Souveränität abgeben würde. Über die Kunst der Irreführung und
> den Vorteil, von Brüssel regiert zu werden.
Bild: Verfall in Farben: Klášter, Tschechien.
Als das tschechische Fernsehen vor einigen Jahren einen Wettbewerb zu der
Frage startete, wer der größte Tschechen aller Zeiten sei, stand es bald
vor einem Problem: Nicht Kaiser Karl IV., Reformator Jan Hus,
Dichterpräsident Václav Havel oder Goldkehlchen Karel Gott heimsten die
meisten Nominierungen ein, auch nicht Staatspräsident und EU-Gegner Václav
Klaus, sondern Jára Cimrman.
Der Sohn eines böhmischen Schneiders und einer österreichischen
Schauspielerin, geboren in Wien zwischen 1853 und 1884 - es heißt, seine
Geburtsurkunde sei etwas unleserlich - wird heute noch von vielen verehrt
als einer der größten Dramatiker, Dichter, Musiker, Philosophen, Erfinder
und Sportler seiner Zeit. Cimrman soll den Panama-Kanal gebaut und das
galizische Schulsystem reformiert haben. Ihm wird die Erfindung des Bikinis
ebenso zugeschrieben wie der CD, der Cimrman-Disk, die im Jahre 1979 als
Compact Disk wiederentdeckt wurde. Cimrman galt als Abenteurer, der in den
Alpen auch als Hebamme arbeitete und in Paraguay ein Marionettenthater
gründete. Aber vor allem war Cimrman ein tschechischer Patriot.
Trotzdem wurde die Nominierung zum "größten Tschechen" vom Fernsehen
reserviert aufgenommen. Wenig später wurde das Genie ganz disqualifiziert,
was in Tschechien zu einigen Protesten und Petitionen führte. Seinen
Schritt begründete das Fernsehen damit, dass Jára Cimrman nie existiert
habe.
"Das zeigt, dass Tschechen Humor als einen Wert betrachten," kommentierte
Schauspieler Zdenek Sverák diese Entscheidung. Sverák, der beim Wettstreit
um den "größten Tschechen" übrigens auf Platz 25 landete, ist zusammen mit
seinem Kollegen Ladislav Smoljak schon viele Jahre ein sehr eifriger
Unterstützer des Jára Cimrman.
Seit Ende der Sechzigerjahre ist Jára Cimrman fester Bestandteil des
Repertoires der beiden Humoristen. Unpolitischer Schwejk? Fleischgewordene
Sehnsucht einer kleinen Nation nach Größe? Oder einfach Manifestation des
tschechischen Humors, dessen herausragende Eigenschaft die Mystifikace ist,
die Irreführung?
Da treten Sverák und sein Cimrman fest in die Fußstapfen von Jaroslav
Hasek, dem Vater des "braven Soldaten Schwejk". Hasek erfand als Redakteur
des Magazins Welt der Tiere auch immer wieder neue Tierarten und trieb die
Kunst der Irreführung auf die Spitze, als er kurz vor dem Ersten Weltkrieg
als Kandidat der "Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des
Gesetzes" die Verhältnisse karikierte.
"Wir Tschechen lieben die Mystifikace, weil wir nicht fähig dazu sind,
offen direkt und hart zu verhandeln", erklärt Roman, der Soziologe, beim
traditionellen Freitagsbier. Roman hat Philosophie und Soziologie studiert.
Zumindest sagt er das. In Wirklichkeit hat er in Marxismus-Leninismus
promoviert an einer Eliteuniversität in der damaligen Sowjetunion. Mit
seiner eigenen kleinen Mystifikace hat er kein Problem. "Das ist vielleicht
Mystifikace, aber sie beruht auf unserer wichtigsten Eigenschaft, dem
Pragmatismus. Wären wir nicht so pragmatisch, würde es uns Tschechen schon
längst nicht mehr geben," sagt Roman.
Pragmatismus auf tschechisch, das hieß in der Vergangenheit entweder
Emigration oder Maulhalten. Denn wie kaum ein anderes Volk in Europa waren
die Tschechen immer wieder von der Abwanderung ihrer Eliten betroffen. Im
frühen 17. Jahrhundert rebellierten protestantische böhmische Stände gegen
die drohende katholische Übermacht der Habsburger. Die "Schlacht am Weißen
Berg" gegen die Übermacht der Katholiken verloren sie innerhalb einer
knappen halben Stunde.
Die Zerstörung von Glaube und Vision ist seitdem das Kreuz der
tschechischen Geschichte. Wenn die Tschechen an etwas glaubten, dann
blühten Staat, Gesellschaft und Kultur auf. Doch immer wieder wurden ihnen
Glaube, Vision und Eliten genommen - sei es mit der Zerstörung der ersten
Tschechoslowakischen Republik durch das Münchner Abkommen 1938, durch den
kommunistischen Putsch 1948 oder durch das jähe Ende des "Prager Frühlings"
1968. Für das Umfeld um Präsident Václav Klaus dürfte auch der Beitritt
Tschechiens zur EU 2004 in diese Zerstörungslinie hineingehören. Was blieb,
war Pragmatismus - und Jára Cimrman.
Und ein gesundes Misstrauen in jegliche Form staatlicher Bürokratie, die
sich unter anderem niederschlägt im tschechischen Mantra, wer nicht den
Staat beklaut, der beklaut die eigene Familie. Zur Vollkommenheit getrieben
in der Zeit der Privatisierungen in den Neunzigerjahren. Tunelování -
"Tunnelieren" hieß damals das Zauberwort, mit dem die Tschechen ihren
Wortschatz bereicherten. Tunnelieren ist eigentlich nichts anderes als der
Transfer von Firmenkapital auf die Privatkonten der Firmenmanager. Nur dass
es sich im tschechischen Fall um privatisiertes Staatseigentum handelte und
immerhin 1,5 Milliarden Euro in dubiosen Kanälen verschwanden, während der
Staat zuschaute. Es war die neue Elite, die da zugeschlagen hatte, die
Super-Pragmatiker, die wussten, wie sie aus den neuen Gegebenheiten Kapital
schlagen konnten.
Der Rest der Nation machte das, was er schon immer getan hat. Montag bis
Freitag arbeiten und dann ab auf die Datsche. "Im Grunde genommen sind wir
Tschechen ein Volk von Dörflern," meint Soziologe Roman. "Für uns ist es
das Schönste, am Wochenende auf dem Dorf zu sitzen und zu arbeiten. Gurken
züchten, Rasen mähen, irgendetwas bauen, Bier trinken. Und sich nicht um
die da oben kümmern. Da gilt dann das tschechische Sprichwort: "Was das
Auge nicht sieht, tut dem Herzen nicht weh." Lächerlich das Theater, das
die Deutschen um den Dienstwagen von Ulla Schmidt gemacht haben. Will der
Regierungschef nach einem Staatsbesuch im Ausland nicht gleich zurück ins
Büro, sondern lieber noch zum Skifahren nach Österreich? Dann ist es doch
okay, wenn er mit seiner Maschine einen Zwischenstopp einlegt. Der
tschechische Steuerzahler ist tolerant: Wer nicht den Staat beklaut,
beklaut die eigene Familie.
Doch die Sprichwörter von gestern sind nichts mehr für morgen - so denken
inzwischen viele junge Menschen. Langsam formen sich neue Eliten, die mit
den alten nur noch die Liebe zum Bier gemeinsam haben. Man ist des
Klientelismus und der Korruption der Neunzigerjahre langsam überdrüssig.
Wer beim Skiausflug des Regierungschefs noch ein Auge zugedrückt hat, der
macht jetzt den Mund auf, wenn derselbe Regierungschef sich von Anwärtern
auf lukrative Staatsaufträge per Privatjet in den Urlaub fliegen lässt.
Doch Tschechen sind keine Kämpfer, keine aggressiven Demonstranten, die
vorm Regierungssitz die Fäuste schwingen. Stattdessen lassen sie Plakate
machen, zum Beispiel mit dem Antlitz des (inzwischen Ex-)Regierungschefs
und seines Spindoktors. "Ihr arbeitet, wir verdienen" lachen die beiden
aufs Volk hinab. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass das Plakat
nicht von den beiden beauftragt wurde. Mystifikace eben.
Und wo die nicht mehr hilft, da gibt es ja noch Brüssel. "Ich glaube ja gar
nicht, dass die EU ideal ist. Aber ich lasse mich lieber von Brüssel
regieren als von der korrupten Bande hier bei uns", sagt Eugen, der mit
einer Handvoll Gleichgesinnten vor der Prager Burg gegen Präsident Václav
Klaus demonstriert. "Es wäre falsch zu glauben, alle Tschechen teilten den
narzisstischen Versuch einer Person, in diesem Fall Václav Klaus, auf sich
selbst aufmerksam zu machen," sagt Josef, Redakteur der linken
Wochenzeitung Literární noviny. "Nur sind die halt nicht so aktiv, aber da
zeigt sich mal wieder, wie uns der Glaube an die eigene Kraft fehlt," meint
er.
Vielleicht nimmt die Kraft auch ganz andere Kanäle. Als Präsident Václav
Klaus im Februar 2008 um seine Wiederwahl kämpfte, wurde im Internet ein
Gegenkandidat aufgestellt. Der erhielt schließlich mehr Stimmen als der
damalige Außenminister und beliebteste Politiker des Landes, Karel
Schwarzenberg: Jára Cimrman.
27 Oct 2009
## AUTOREN
Sascha Mostyn
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