# taz.de -- Großversuch in Kenia: Forscher testen Malaria-Impfstoff | |
> In Kenia probieren Forscher den neuen Impfstoff RTSS aus. Sie hoffen, | |
> dass das Mittel in spätestens fünf Jahren marktreif ist. Allein in Kenia | |
> sterben jedes Jahr 36.000 Kinder an Malaria. | |
Bild: In Tansania und Mosambik wurde der neue Impfstoff mit Erfolg getestet. | |
KENIA taz | Der Mais steht hoch am Rand von Ndoro Kadero, einem kleinen | |
Dorf, gut eine Stunde Autofahrt entfernt von Kisumu, der größten Stadt im | |
Westen Kenias. Seit vor einigen Wochen die Regenzeit begonnen hat, leuchtet | |
die Kulturlandschaft in knalligem Grün. Doch für Caroline Aweno ist der | |
Regen nicht nur Grund zur Freude. Während sie durch die matschigen Felder | |
stapft und den Mais auf Schädlinge untersucht, dreht sie ihren Kopf immer | |
wieder zu ihrer Tochter Madeleine herum, die sie in einem Tuch auf dem | |
Rücken trägt. Mit dem Regen sind auch die Moskitos zurückgekommen und mit | |
ihnen eine lebensgefährliche Krankheit: Malaria. | |
"Ich versuche, meine Tochter so gut wie möglich vor den Stichen zu | |
schützen", erklärt Caroline Aweno mit zittriger Stimme, während sie das | |
Moskitonetz herablässt, das sie über der dünnen Schaumstoffmatratze | |
befestigt hat, auf der nachts die ganze Familie Platz finden muss. | |
Ansonsten ist in der fensterlosen Lehmhütte nur noch Raum für einen | |
kleinen, hölzernen Tisch und drei Stühle. "Bis jetzt hat sie noch keine | |
Malaria bekommen, aber ich weiß aus der Nachbarschaft, wie schlimm die | |
Krankheit verlaufen kann: Ein Kind im Dorf ist nach wenigen Stunden | |
gestorben, es hatte hohes Fieber und hat dann irgendwann einfach aufgehört | |
zu atmen." Die Angst, dass so etwas auch ihrem 17 Monate alten Baby | |
passieren könnte, hat Aweno dazu gebracht, Madeleine für eine Testreihe | |
anzumelden, bei der ein Impfstoff für Malaria erprobt wird. Zwei Spritzen | |
hat Madeleine bereits bekommen, in einem Monat muss sie wieder im | |
medizinischen Forschungszentrum von Kombewa vorstellig werden, um die | |
dritte Dosis gespritzt zu bekommen. Das Risiko, dass es schiefgeht, geht | |
Madeleines Mutter ein. "Wie ein Leben ohne Malaria wohl wäre, kann ich mir | |
gar nicht vorstellen", seufzt sie mit sehnsuchtsvoller Stimme. | |
Christoph Odero ist Arzt im medizinischen Forschungszentrum von Kombewa, wo | |
er am Test des neuen Impfstoffs mitarbeitet. Er wirkt aufgeregt, wenn er | |
von dem neuartigen Stoff erzählt. Er stammt aus der Region und weiß, was | |
Malaria anrichten kann. "Hier im Westen Kenias hat keine andere Krankheit | |
so viele Kinder auf dem Gewissen", sagt er. "In ganz Kenia sterben jährlich | |
36.000 Kinder an der Krankheit, aber nirgends sind es so viele wie hier in | |
der Region um Kisumu." Täglich kommen verzweifelte Mütter mit ihren | |
Kindern, die vom hohen Fieber schon bewusstlos sind oder Fieberkrämpfe | |
haben und deren ganzer Körper unkontrolliert zuckt. "Heute früh hatten wir | |
einen Jungen hier, den wir gerade noch retten konnten", berichtet Odero. | |
"Hätten wir die Krämpfe nicht gestoppt, hätte er vermutlich Hirnschäden | |
erlitten." Diesmal ist es noch gut gegangen, aber oft kommt jede Hilfe zu | |
spät. "Fast jedes dritte Kind auf unserer Station stirbt", erklärt der | |
Arzt. "Es liegt unter anderem an der hohen Zahl von Kindern, die wir hier | |
gleichzeitig behandeln müssen. Im Schnitt sind es gut 30 Prozent der | |
Kinder, die an Malaria sterben." | |
Oft sterben die Kinder, weil der Weg ins Krankenhaus für die Eltern zu lang | |
dauert. Die Hospitäler liegen auf dem Land weit auseinander, und die | |
meisten Eltern sind zu arm, um sich ein Taxi leisten zu können. Wenn sie | |
dann nach einem Tag Gewaltmarsch das Kreiskrankenhaus in Kombewa erreichen, | |
wo Christoph Odero arbeitet, kann der Arzt nichts mehr tun. Es gibt noch | |
andere Gründe: Oderos Krankenhaus ist arm. Der Strom fällt mehrfach am Tag | |
aus, fließendes Wasser gibt es nicht. Wirksame Kombinationspräparate gegen | |
Malaria sind zudem so teuer, dass Odero vor allem im Westen längst | |
ausgemusterte Medikamente verabreicht. Gegen Einfachwirkstoffe wie | |
Chloroquin sind die meisten Malariaerreger längst resistent. "Malaria ist | |
eben nicht zuletzt eine Krankheit der Armen", seufzt Odero, bevor er zur | |
nächsten Behandlung geht. | |
Auch deshalb messen Forscher und Probanden der Suche nach einem Impfstoff | |
so viel Bedeutung zu. Und so erfolgversprechend wie RTSS, der Impfstoff, | |
der hier getestet wird, war noch keiner: Die bisherigen Tests in Tansania | |
und Mosambik belegen, dass er mehr als 50 Prozent aller geimpften Kinder | |
gegen schwere Formen von Malaria schützt. Jetzt wird RTSS im Großversuch | |
getestet, 16.000 Kinder in sieben afrikanischen Ländern machen mit. Es ist | |
das erste Mal, dass ein Malariaimpfstoff einen Test der Stufe 3 durchläuft. | |
"Wenn wir den überstehen, ist der Impfstoff reif für den Markt", freut sich | |
Walter Otieno, der den Versuch koordiniert. Er glaubt, dass der Durchbruch | |
nur noch eine Frage der Zeit ist. "Wir sind zuversichtlich, dass in drei | |
bis fünf Jahren ein Impfstoff erhältlich ist, der den Kindern mit den | |
anderen Grundimpfungen verabreicht werden kann." | |
Insgesamt 1.852 Kinder werden im medizinischen Forschungszentrum von | |
Kombewa über einen Zeitraum von drei Jahren untersucht. Junge Mütter mit | |
ihren Babys sitzen geduldig auf den im Gang aufgestellten Holzbänken. Auch | |
Patricia Mrunde und ihre sechs Monate alte Tochter Linda warten darauf, | |
dass sie aufgerufen werden. Die 34-jährige Mutter von sechs Kindern will, | |
dass ihre Jüngste es besser hat als ihre Geschwister. "Mein ältester Sohn | |
hat alle paar Wochen einen Anfall mit hohem Fieber und Krämpfen", sagt | |
Mrunde. Kinder sind besonders in Lebensgefahr, wenn die Krankheit nicht | |
umgehend behandelt wird. In schweren Fällen kann Blutarmut auftreten, | |
schließlich fällt das Kind ins Koma. Kein Wunder, dass Mrunde das Risiko | |
von Nebenwirkungen in Kauf nimmt. "Meine Tochter hatte nach der ersten | |
Impfung Magenschmerzen und Durchfall, aber beides wurde hier behandelt. | |
Jetzt geht es ihr wieder gut." Dass ihr Kind hier kostenlos behandelt wird, | |
sieht Mrunde als Vorteil: Bei ihren anderen Kindern war sie oft aus | |
Finanznot gezwungen, auf medizinische Behandlung zu verzichten. Ärzte und | |
sogar ein Krankenwagen stehen rund um die Uhr zur Verfügung, um den | |
Probanden im Notfall beizustehen, bestätigt Otieno. "Wir lassen unsere | |
Probanden nicht allein." | |
Wissenschaftlich ist der Versuch wasserdicht - dafür haben Kenias | |
medizinisches Forschungsinstitut und die medizinische Forschungseinheit der | |
US-Armee, die hinter dem Massentest stehen, ebenso gesorgt wie die | |
Pharmaunternehmen, die die Suche nach dem Impfstoff finanzieren. Es steht | |
viel auf dem Spiel: In RTSS haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt mehr | |
als zwanzig Jahre Arbeit investiert. Mehr als 300 Millionen US-Dollar hat | |
allein der US-Riese GlaxoSmithKline investiert, mindestens noch einmal die | |
Hälfte wird nötig sein, bis RTSS in den Regalen steht. Niemand will das | |
Risiko von Formfehlern eingehen. Für die wissenschaftliche Genauigkeit ist | |
es deswegen unerlässlich, dass nicht alle Kinder den Impfstoff gespritzt | |
bekommen, erklärt Otieno. Eine Kontrollgruppe bekomme eine Impfung gegen | |
Hepatitis C verabreicht. "Die Eltern wissen das, es gehört zur | |
Versuchsanordnung", so Otieno. Jeder Impfung geht zudem ein ausführliches | |
Gespräch voraus, in dem die Mutter über die letzten Monate berichten muss. | |
Jedes Fieber, jede Abweichung vom Normalen wird von den Ärtzen notiert. | |
Zwar verteilen die Forscher in Kombewa Moskitonetze an die Eltern, deren | |
Kinder am Test teilnehmen, doch Otieno ist sich sicher, dass sie dennoch | |
mit dem Malariaerreger infiziert werden. "Hier in der Gegend werden die | |
Kinder im Schnitt jeden Tag einmal von einer weiblichen Anophelesmücke | |
gestochen, die tatsächlich infektiös ist und Malaria überträgt." Netze | |
allein, ist Otieno sich sicher, schützen nicht vor der tödlichen Krankheit. | |
Wissenschaftlich ist der Versuch wasserdicht - es steht zu viel auf dem | |
Spiel | |
3 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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