# taz.de -- Studentenproteste in Österreich: Einführung in den Audimaxismus | |
> Wien kommt nicht zur Ruhe. Seit Mitte Oktober halten Studenten aus Ärger | |
> über die geplante Studienreform einen Hörsaal besetzt. Jetzt haben sich | |
> auch Künstler solidarisch erklärt. | |
Bild: Wiener Studenten halten den Audimax ihrer Universität als Protestform be… | |
Seit fast zwei Wochen befindet sich die österreichische Unilandschaft im | |
Ausnahmezustand. Es brodelt, seit am 22. Oktober der größte Hörsaal an der | |
Universität Wien aus Protest gegen die Novelle des österreichischen | |
Universitätsgesetzes besetzt wurde. Mit der Besetzung wenden sich die | |
Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren, | |
Zulassungsbeschränkungen und einer allgemeinen Beschneidung der | |
Hochschulautonomie. Schnell machte der Begriff vom "Audimaxismus" die Runde | |
und fand, über die Studenten anderer österreichischer Unis und die | |
Landesgrenzen hinaus, viele Unterstützer. | |
"Rettet die Wale und stürzt das System", singt Eva Jantschitsch alias | |
Gustav als Zugabe bei ihrem Konzert am Mittwochabend im nach wie vor | |
besetzten Audimax. Es ist ein feinfühliger, politischer Popsong, der | |
blinder Radikalität spielerisch eine selbstreflexive Brille aufzusetzen | |
vermag, aber auch ein in der Musik vereintes, kollektives | |
Solidaritätsgefühl auslöst. Mit ihrem Auftritt steht Jantschitsch nicht | |
allein. Neben Medienvertretern, Professoren und Graswurzel-Organisationen | |
sind es vor allem Künstler, die sich mit den streikenden Studenten | |
solidarisch erklärt haben. | |
Auf Regierungsebene hat man sich hingegen zunächst kaum gesprächsbereit | |
gezeigt. Der zuletzt für Hochschulpolitik verantwortliche | |
ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn wird als angehender EU-Kommissar | |
die Unruhen ohnehin nicht mehr ausbaden. Als "Besuchstourismus" bezeichnete | |
der ÖVP-Vorsitzende und Vizekanzler Josef Pröll die Proteste spöttisch und | |
kritisierte den "Aktionismus" der Bewegung. | |
Kunstgeschichtlich etwas bewanderte Studenten erinnern sich beim Begriff | |
Aktionismus eher an die berühmt-berüchtigt gewordene Wiener Uni-Ferkelei | |
von 1968. "Als ob Aktionismus an sich was Schlechtes wäre", meint die | |
Studentin Anna, die schon einige Nächte an der besetzten Uni zugebracht | |
hat, "Herr Pröll vergisst, dass Touristen längst der Wiener Aktionisten | |
wegen in die Museen kommen. Das ist Hochkultur." | |
Von einer Uni-Ferkelei sind die Aktionen des aktuellen Bildungsstreiks weit | |
entfernt. Der Zeitgeist verlangt nicht nach einer radikal revolutionären | |
Subkultur. In Wien äußert sich eine basisdemokratisch organisierte | |
Protestkultur mit Reibungsflächen. Aller Unkenrufe zum Trotz hat sie sich | |
als widerstandsfähig erwiesen. "Ich sehe keine Phrasendrescher und | |
In-die-erste-Reihe-Drängler, keine Stellvertreter und Stellvertreterinnen, | |
die sich in Selbstdarstellung üben", urteilt Eva Jantschitsch. Sie | |
empfindet die Proteste als "unglaublich inspirierend" und sieht viele | |
Gemeinsamkeiten, mit denen Künstler und Studierende zu einer anderen | |
Gesellschaft beitragen: "Reflektieren, beobachten, Standpunkte hinterfragen | |
- und das in Ruhe." | |
Neben Gustav hat sich auch die Wiener Indie-Band "Ja, Panik" den Protesten | |
angeschlossen. Sänger und Gitarrist Andreas Spechtl sagt: "Uns hat der Mut | |
zur Praxis imponiert. Die Proteste sind ja ein vehementer Ausdruck des | |
Unmuts, dass es so nicht weitergehen kann." | |
Mit vielen Forderungen der streikenden Studenten gehe die Band auch | |
konform. Reibungspunkte bleiben für Spechtl jedoch bestehen: "Man wird in | |
dieser widersprüchlichen Welt keinen Garten Eden der Bildung pflanzen | |
können." Auch Hans Hurch, Leiter des Filmfestivals Viennale, scherzt über | |
ein Zuviel an Protestharmonie: "Kunst- und Kulturschaffende sieht man wohl | |
als Gutmenschen an." | |
Er selbst hat den Studenten alsbald "praktische Unterstützung" zugesichert, | |
indem er mit ihnen gemeinsam einen Film aus dem aktuellen Festivalprogramm | |
- nämlich "Bock for President", ein Porträt über die in Österreich für ihr | |
Engagement für Asylwerber bekannt gewordene Ute Bock - ausgewählt hat. Die | |
Weltpremiere der Dokumentation fand - wo sonst - im bis auf den letzten | |
Platz gefüllten Audimax statt. | |
Das Engagement der Studenten und der politisch motivierten Gäste können | |
Diffamierungen wie "Besuchstourismus" und "Partyprotest" nicht trüben. | |
"Warum soll Protest nicht auch Spaß machen dürfen?", fragt ein Student, der | |
nach einer Zugabe von Gustav ruft. Während die Bilder vom Konzert via | |
Livescreen ohne Unterbrechung in die Welt gesendet werden, wird an der Uni | |
Heidelberg der erste deutsche Hörsaal besetzt. | |
4 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
S.-A. Brugner | |
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