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# taz.de -- Debatte Magermodels: Weg mit den Hungerhaken!
> Die "Brigitte" will nur noch mit Laienmodels arbeiten. Das enorme
> Presseecho zeigt, wie sensibel wir auf veränderte Schönheitsideale
> reagieren.
Bild: Endlich: Der Magerwahn geht dem Ende zu.
Die Frauenzeitschrift Brigitte wird ab 2010 keine professionellen Models
mehr abdrucken. Sie will damit ein Zeichen gegen Magermodels setzen.
Chefredakteur Andreas Lebert kündigte die Neuerung mit großen Worten an:
Brigitte starte eine "Revolution", die den "gesamten
Frauenzeitschriftenmarkt aufrütteln" und eine "gesellschaftliche Debatte
neu entfachen" werde. Für Frauen brächen demnach bessere Zeiten an.
Das Medienecho war enorm. Seriöse Tageszeitungen vermeldeten die
beabsichtigte Kehrtwende ebenso prompt wie die Bild-Zeitung. In dieser
Reaktion zeigt sich einmal mehr, dass der Frauenkörper eine
Stellvertreterfunktion hat. Er ist ein Politikum, weil Weiblichkeit seit
den Anfängen der bürgerlichen Gesellschaft mit wünschenswerter
Körperlichkeit assoziiert wird. Sollte Leberts Prognose zutreffen, wären
die abgebildeten Frauen und damit auch die Leserinnen künftig weniger stark
artifiziellen Schönheits- und Schlankheitsidealen unterworfen.
Doch führt die Entscheidung, ausschließlich Leserinnen oder "Frauen von der
Straße" abzubilden, tatsächlich zur Freisetzung emanzipativer Kräfte und
ist damit mehr als kluges Marketing? Ja, das tut sie - jedoch nicht in der
Weise, wie es uns die Brigitte-Redaktion verkaufen möchte.
Ohne Zweifel betritt Brigitte mit dem Verzicht auf Profimodels Neuland.
Trotzdem versucht die Redaktion Vorschusslorbeeren für eine Innovation zu
ernten, die sie letztlich nur nachvollzieht. Ihr Ursprung liegt in der
Vervielfältigung von Frauenbildern in der bundesdeutschen Gesellschaft. Ein
ähnliches Zusammenspiel zwischen Gesellschaftswandel und Medieninhalt lässt
sich auch in britischen und US-amerikanischen Frauenzeitschriften
beobachten. Frauenzeitschriften sind bisher nicht als Verfechterinnen
alternativer Frauenbilder in Erscheinung getreten. Sie sind jedoch
Seismografen für die Veränderung des kollektiven Verständnisses von
Weiblichkeit. Stets vertreten sie ein Frauenbild, das dem Erleben ihrer
Zielgruppe entspricht. Damit schaffen sie Lebensnähe. Entsprechend
begründet auch der Chefredakteur die Abschaffung der Profimodels mit dem
Wunsch der Leserinnen nach lebensechteren Frauendarstellungen. Hier liegt
also der Schlüssel zum Verständnis der Änderungsbestrebungen. Ein Umdenken
hat somit schon vorher stattgefunden, die Redaktion hat lediglich reagiert.
Brigitte-Leserinnen stammen aus der Mittelschicht. Sie haben eine
weiterführende Schule besucht und eine Berufsausbildung abgeschlossen, sind
deutlich älter als dreißig Jahre, berufstätig und eher wohlhabend.
Aktuellen Studien zufolge sehen sich diese Frauen als kritische und
emanzipierte Mediennutzerinnen. Magermodelle stellen für sie mehrheitlich
ein pervertiertes Körperideal dar. Trotzdem erwarten dieses Publikum gerade
im Moderessort ästhetische Inszenierung körperlicher Attraktivität. Es
möchte durch das Lesen der Zeitschrift die überhöhte Femininität als einen
Aspekt von geschlechtlicher Identität erleben.
Hier liegt die Krux: Feminine Ideale für ein breites Publikum goutierbar zu
machen, ist nur möglich, sofern den Darstellungskonventionen weiterhin
entsprochen wird. Der Verzicht auf professionelle Models wird also wenig zu
einer Veränderung normativer Geschlechterkonzeptionen beitragen, denn der
Zwang zur körperlichen Attraktivität wird nicht an Bedeutung verlieren,
auch wenn die Models normalgewichtig sind.
Brigitte selbst hat die scheinbare Negation von Konventionen bei deren
gleichzeitiger Reproduktion in Brigitte Woman vorgemacht. In dem
Tochterheft werden seit 2000 ausschließlich Frauen abgebildet, die nicht
der Model-Normalität entsprechen. Die Fotografierten sind über 40 Jahre
alt, und das soll die Leserin ihnen auch ansehen. Doch trotz Fältchen
wirken die Frauen attraktiv und weiblich. Ähnliches gilt für die Kampagne
der Kosmetikfirma Dove. Sie brach zur Freude von Presse und Publikum
ebenfalls mit dem Schlankheitsideal, bot darüber hinaus aber wenig Neues
an. Die Fotoästhetik, die Präsentation von Idealproportionen und ein Zwang
zu Authentizität, Charisma und demonstrativen Wohlbefindens finden sich
hier genauso wie in durchschnittlichen Werbekampagnen. Darüber hinaus wird
in allen Kampagnen der Mediennutzerin - auch auf eigenen Wunsch - vor Augen
geführt, wie sie sich optisch als Frau präsentieren muss, um eine klare
Trennung der Geschlechter zu bestätigen. Alternative
Geschlechterinszenierungen, wie etwa Androgynität, sind somit obsolet. Das
emanzipative Potenzial ist folglich gering.
Dennoch: Der Verzicht auf Profimodels bietet eine Chance zur Veränderung
der Geschlechterdefinitionen in der bundesdeutschen Gesellschaft. Sie tritt
aber nicht erst im Januar 2010 auf den Plan, wenn die erste
Brigitte-Ausgabe ohne Models erscheint, sondern schon jetzt.
Die Ankündigung der Redaktion hat verdeutlicht, dass die mediale
Darstellung von Geschlecht verhandel- und veränderbar ist. Die Modifikation
des Körperbildes in Brigitte macht deutlich, dass Weiblichkeit als
Gesamtkonzept stets revidiert werden kann. Schließlich wird nun mit der für
Frauenzeitschriften scheinbar unausweichlichen Notwendigkeit gebrochen,
Models abbilden zu müssen. Gleichzeitig folgt die Abbildung "normaler"
Frauen anstelle von Models natürlich dem kapitalistischen Prinzip, das
immer wieder seine eigenen Ausschließungen revidieren muss, um "neue"
Marktsegmente zu erschließen. Dennoch, es bleibt ein Veränderungspotenzial.
Darüber hinaus wird sichtbar, dass jeder durch seine Kaufentscheidung am
Kiosk etwas bewirken kann. Schließlich hat die Abwendung der Käuferinnen
dazu geführt, dass sich die Zeitschrift zumindest ein Stück weit
pluralisieren wird. Auch wenn das Korsett gesellschaftlicher
Geschlechterdefinitionen durch die aktuelle Diskussion nicht gesprengt
wird, lockert sich doch zumindest seine Schnürung. Nicht im Sinne eines
revolutionären Aktes, sondern Schritt für Schritt.
4 Nov 2009
## AUTOREN
Kathrin F. Müller
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