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# taz.de -- US-Jugendstrafrecht: Nur noch im Gefängnis sterben
> Als sie verurteilt wurden, waren sie Teenager. Doch sie sollen bis zu
> ihrem Tod eingesperrt bleiben. Jetzt prüft der Oberste Gerichtshof die
> Rechtmäßigkeit der Strafen.
Bild: Joe Sullivan im Jahr 2007 im Columbia Gefängnis in Lake City, Florida. A…
WASHINGTON taz | Joe Sullivan war 13, als er eine 72-jährige Frau
vergewaltigt haben soll. Terrance Graham war 16, als er bewaffnet in ein
Geschäft einbrach und den Besitzer niederschlug. Beide gehören zu 111
verurteilten Jugendlichen in den USA, die dafür ihr Leben lang im Gefängnis
büßen sollen. 77 Jugendliche sitzen allein in Florida ein. Von dort riefen
Sullivan und Graham jetzt das Oberste Gericht an, um die Rechtmäßigkeit
ihrer Urteile zu prüfen. Am Montag begann die Anhörung - und mit ihr eine
landesweite Debatte.
"Es ist grausam, einem Kind mit 13 zu sagen, dass es nur noch im Gefängnis
sterben kann", sagt Bryan Stevenson, Anwalt des heute 33-jährigen Sullivan.
"Wir glauben, dass die Verfassung diese Art von Bestrafung verbietet." Der
Jurist beruft sich auf den achten Zusatz der US-Verfassung, der "grausame
Bestrafung" für illegal erklärt. In 42 Bundesstaaten ist es möglich,
Minderjährige ein Leben lang wegzusperren - ohne Chance auf Bewährung.
Dafür müssen sie keine Mörder sein.
Von Joe Sullivan, sagt sein Anwalt Stevenson, dass er geistig nicht
zurechnungsfähig sei und außerdem in seinem Prozess schlecht vertreten
wurde. Er sei "zu jung, zu arm und intellektuell zu minder bemittelt
gewesen, um die Richter von seiner Unschuld zu überzeugen", erklärte sein
Anwalt vor der Anhörung. Tatsächlich hatte der damalige Pflichtverteidiger
keine Berufung eingelegt, obwohl Sullivans ältere Komplizen wesentlich
glimpflicher davon gekommen waren. Als Stevenson dann den Fall unter die
Lupe nahm, waren alle Beweise - inklusive der DNA-Tests - vernichtet.
Über Terrance Graham, sagt sein Anwalt Bryan Growdy dem Radiosender
National Public Radio: "Terrance hat niemanden getötet, und doch ist sein
Urteil genauso hart wie das gegen einen brutalen Mörder." Die Hinrichtung
jugendlicher Straftäter haben die Obersten Richter 2005 abgeschafft - mit
nur fünf zu vier Stimmen war die Entscheidung knapp. Zur Begründung hieß es
damals, dass Menschen unter 18 unreif, verantwortungslos und anfälliger für
Gruppendruck seien als Erwachsene.
Warum, fragen viele, wird mit eben dieser Begründung nicht auch die
lebenslange Haftstrafe für Jugendliche abgeschafft? "Es kommt mir
barbarisch vor, sie für immer wegzuschließen", sagte der pensionierte
Berufungsrichter John Blue aus Florida der "New York Times". "Wir müssen
ihnen doch auch etwas Hoffnung geben." Doch Verfechter der geltenden
Rechtspraxis sehen das anders - wie etwa der Republikaner William Snyder,
der dem Rechtsausschusses im Abgeordnetenhaus des Bundesstaates Florida
vorsitzt. "Ein 15-Jähriger kann ein enormes Gefühl für Richtig und falsch
haben", sagt Snyder. "Es gibt einen Punkt, an dem Jugendliche eine Grenze
überschreiten und da müssen sie wie Erwachsene behandelt und als solche
bestraft werden." An diesem Punkt sei vor allem Florida in den 90er Jahren
gewesen, unterstreicht Floridas Justizminister Bill McCollum. Die
Kriminalitätsrate bei Jugendlichen sei damals dramatisch angestiegen.
Allein neun ausländische Touristen seien zwischen 1992 und 1993 innerhalb
von elf Monaten getötet worden - von einem 14-Jährigen.
Seit Jahren protestieren Amnesty International und Human Rights Watch
dagegen, Minderjährige vor Gericht als Erwachsene zu behandeln. Sie hoffen
auf die neue Debatte. Stephen Breyer, einer der liberalen Richter am
Obersten Gerichtshof der USA, bringt das Dilemma auf den Punkt: "Menschen
sind verunsichert darüber, wieviel moralische Verantwortung sie Individuen
einer bestimmten Altersgruppe zuschreiben können. Ist es angemessen, einen
10-Jährigen ohne Bewährung lebenslänglich zu verurteilen? Nein. Mit elf?
Nein. Mit 17? Ja vielleicht".
10 Nov 2009
## AUTOREN
Antje Passenheim
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