# taz.de -- Gedanken nach dem Tod Robert Enkes: Die Diktatur des Glücks | |
> In unserer Leistungsgesellschaft wartet es angeblich auf jeden Menschen, | |
> der sich redlich bemüht: das Glück. Denn wer nicht glücklich ist, ist | |
> selbst schuld. Oder? | |
Bild: Gedenken an Robert Enke: trauernde Fans in Hannover. | |
Der überraschende Tod des Nationaltorwarts Robert Enke versammelte in der | |
Nacht auf den 11. November 35.000 Menschen in Hannover, die ihm die letzte | |
Ehre erweisen wollten. Auf der Pressekonferenz erzählt seine Frau von der | |
Entscheidung, seine Krankheit nicht öffentlich zu machen aus Angst, den | |
Sport, das Privatleben zu verlieren, was natürlich Wahnsinn ist. Teresa | |
Enke wählt das einzig richtige Wort: "Wahnsinn". Ein Wahnsinn, der Einzug | |
gehalten hat in unserer Gesellschaft und längst zur Normalität erklärt | |
wird. Die Spaßgesellschaft zeigt ihr gar nicht so spaßiges Gesicht dort, wo | |
Menschen nicht lachen wollen, aber sollen. Wo sie sich nicht unterhalten | |
lassen wollen, doch müssen. Wo sie Haltung bewahren sollen, wie es so | |
heißt. | |
Bezeichnenderweise ist der Schirmherr der Stiftung Deutsche | |
Depressionshilfe Harald Schmidt. Die Menschen müssen natürlich mit Späßen | |
an dieses Thema herangeführt werden, schließlich ist es ein ernstes. Die | |
Stiftung spricht von vier Millionen Depressiven. Doch nicht um Zahlen soll | |
es gehen, um Statistiken, die diese oder jene Depressionen erfassen, | |
belegen oder widerlegen. Das Einzige, was wir alle mit Gewissheit kennen, | |
ist das Credo, mit dem wir leben: Wer nicht glücklich ist, ist selbst | |
schuld. Doch was versteht diese Gesellschaft unter Glück? Die Angebote | |
unserer angeblich pluralistischen Gesellschaft sind nicht zahlreich. Die | |
immer gleichen Mantren trägt diese Gesellschaft an uns heran: Beruflicher | |
Erfolg muss Glück bedeuten. Wahre Liebe muss Glück bedeuten. Kinder müssen | |
Glück bedeuten. Wenn dies alles sich einstellt, dann kann und darf ein | |
Mensch nicht unglücklich sein, weil er die Werte, die wir für unsere | |
Pfeiler halten, infrage stellt. Wenn er trotz allem nicht glücklich ist, | |
muss es sich um einen schwachen Menschen handeln. | |
Robert Enke war Spitzensportler. Somit verbittet sich dieser Rückschluss. | |
Niemand sollte ihn nun zum Märtyrer machen für jene, die stillschweigend | |
und ohne öffentliches Mitgefühl durch seelische Krankheiten gehen, denn | |
jeder Mensch sollte für sich stehen. Es ist vielmehr seine hinterbliebene | |
Frau, deren mutiger Schritt, sich sofort einer Pressekonferenz zu stellen, | |
unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält. | |
Einen Spiegel, in dem wir uns gut betrachten sollten: Wie kann es sein, | |
dass wir trotz aller Aufklärung in einer Atmosphäre leben, in der Menschen | |
mehr Angst haben vor dem Urteil ihrer Mitmenschen als dem eigenen Tod? | |
Wahnsinn, wie Teresa Enke sagt. Unsere Diktatur des Glücks ist grenzenlos | |
bis in Bereiche hinein, in denen sie nichts verloren hat. Der Raum, in dem | |
diese Gesellschaft Leid gestattet, darf nicht ins Privateste abgeschoben | |
werden. Während sich in den Medien eine Entblößungskultur breitmacht, die | |
weniger mit Leid als mit Selbstinszenierung zu tun hat, verschwindet aus | |
unserem öffentlichen Raum der Ausdruck von authentischem Leid. Leid will | |
nichts und will nichts werden. Leid möchte, wie alles andere, das uns | |
Menschen innewohnt, einfach angenommen werden. Das heißt nicht, dass man | |
sich nicht professionelle Hilfe suchen soll, im Gegenteil, doch man sollte | |
eine Praxis nicht mit dem Traum vom Verschwinden des Leids betreten. So wie | |
man nicht mit dem Traum vom Verschwinden des Leids in die Liebe treten | |
sollte. Denn Liebe kann heilen, muss aber nicht. Auch Erfolg muss nicht | |
glücklich machen, Kinder oder Geld nicht. All das sagt nichts darüber aus, | |
wie glücklich oder tieftraurig ein Mensch ist. Dabei sollte man Unglück | |
nicht mit Jammern verwechseln. Bezeichnenderweise jammern die Leidenden am | |
wenigsten. Leid lässt vor allem verstummen. Unsere Zeit hat psychologische | |
Praxen geschaffen, in denen das Schweigen gebrochen werden kann, doch diese | |
Praxen dürfen nur ein Anfang sein, professionelle Unterstützung, | |
medizinische Hilfe. Meist mutiert selbst dieser kleine, geschützte Raum zur | |
nächsten Erfolgsstory: Wie gut ist dein Psychologe? Wie schnell schlägt die | |
Methode an, die Tabletten? Ist dein Leid verwertbar? Die meisten erwarten, | |
dass Menschen nach Therapien bereichert, tiefer und stärker als zuvor | |
dastehen. | |
Nicht einmal in diesen wenigen Quadratmetern herrscht das Recht auf die | |
Reaktion, die Menschen tatsächlich überkommt, auf ihr tatsächliches Gefühl. | |
Auch hier muss alles Erleben mit positiver Entwicklung einhergehen. Doch | |
nicht alles ist verwertbar. Nicht alles ist umwandelbar in Glück. | |
Wir müssen lernen, den Aufstieg und die nie enden wollende | |
Aneinanderreihung von Glück zu verweigern. Ohne dem Unglück zu verfallen. | |
13 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Jagoda Marinic | |
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