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# taz.de -- 900 Kilometer zu Fuß: Kann Gehen trösten?
> Barbara Schaefer wandert durch drei Länder von Berlin zum Hohen
> Dachstein, um den Tod ihrer Freundin zu verarbeiten
Bild: Am Dachstein
Was bewirkt Gehen? Wie funktioniert Trauern? Barbara Schaefer,
Reisejournalistin, passionierte Bergsteigerin und Geherin, hat ein Buch
geschrieben, das viele Fragen stellt, einige Antworten gibt, das aber vor
allem anregt – wie eine große, etwas anstrengende Wanderung. Auf die muss
man sich erst einmal einlassen, und genau das muss man mit Schaefers Buch.
Es verspricht weder Fröhlichkeit noch Hochgefühle, denn es beschreibt eine
immerhin 900 Kilometer lange Fußwanderung (39 Tage in zwei Etappen) von
Berlin-Kreuzberg bis zum Hohen Dachstein in Österreich. Grund für diesen
Gewaltmarsch ist, dass die beste Freundin der in Berlin lebenden Autorin
dort, am Dachstein, tödlich verunglückt ist. Eine Art Trauermarsch, und so
etwas kann sowohl als Marsch wie als Buch schiefgehen.
Es kann aber auch gelingen. Bei den ersten Schritten oder Zeilen weiß man
das allerdings nicht. Das ist es wohl, was Barbara Schaefer zeigen will.
Sie probiert etwas aus und nimmt uns mit auf diese Trauerwanderung durch
drei Länder. Das schafft einen Sog, dem man sich nach sechzig Seiten –
zwischen Klein Köris und Köthen – schwer entziehen kann. Nicht weil große
Erkenntnisse oder therapeutische Erfolge zu feiern wären. Aber jetzt will
man – genau wie die Autorin – nicht mehr aufgeben.
Schaefers Buch ist eine Mischung aus Reisebeschreibungen und Reflexionen,
aus Liebeserklärung und Erinnerungen an eine Tote, aus Selbsttherapie und
assoziativem Freischreiben. „Über die allmählich Verfertigung der Gedanken
beim Gehen“, wandelt sie Kleists berühmtes Zitat ab. Gehen und Schreiben
erscheinen ihr wesensverwandt – einsame Tätigkeiten, die das Denken
befördern. Das Mädchen will nämlich nicht nur gehen, es will auch
schreiben. Will gehend und darüber schreibend mit dem Tod seiner Freundin
Katja fertigwerden. Wobei es gerade dieses „Fertigwerden“ immer wieder in
Frage stellt, gar als „Verrat“ empfindet. Um dann – irgendwann im
Österreichischen – doch schon manchmal, „so ungeheuerlich einem das
vorkommt“, die Trauer einfach zu vergessen.
Man mag das Buch gelegentlich für ein wenig fahrig halten. Aber das bringen
solche langen Wanderungen wohl mit sich. Man mag sich auch fragen, ob es
nicht andere, geselligere Arten der Trauerarbeit gibt. Was Schaefers Buch
so eindrücklich und erhellend macht (übrigens vielleicht besonders für
Männer), ist die unverstellte Auseinandersetzung einer Frau mit ihren
Gefühlen, ihrer Freundschaft, ihrer Liebe. Zum „Herausschütteln“ dieser
Emotionen zumindest scheint langes und einsames Wandern hilfreich zu sein.
Und diese Emotionen wiederum eröffnen ungewohnte Blickwinkel auf die
durchwanderte Gegend. Barbara Schaefer macht gewissermaßen eine letzte
große Reise mit ihrer toten Freundin. „Nur die ergangenen Gedanken haben
Werth“, wird Nietzsche – ein großer Geher – zitiert. Die ergangene
Erinnerung und Trauer scheint ebenfalls ihren Wert zu besitzen. Kein
endgültiges Vergessen, kein Trost. Aber Ruhe, Schlaf und neuen Mut.
„Katja, ich muss jetzt gehen“, heißt der schöne, letzte Satz des Buchs.
Barbara Schaefer ist am Hinteren Gosausee unterhalb des Dachsteins
angekommen und blickt auf die Gipfelwand, wo ihre Freundin abgestürzt ist.
Sie gräbt eine Alpenrose aus, um sie an Katjas Grab einzupflanzen. Mit dem
Buch hat sie ihr dazu noch ein Denkmal gesetzt.
Barbara Schaefer, „Das Mädchen, das gehen wollte. Von Berlin zu Fuß in die
Alpen“. Brigitte-Buch im Diana Verlag, 270 S., 16,95 Euro
14 Nov 2009
## AUTOREN
Thomas Pampuch
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