# taz.de -- Debatte Amoklauf in den USA: Keine Tat wie jede andere | |
> Die Tragödie von Fort Hood hat in den USA eine Debatte ausgelöst: Wie | |
> wirkt sich der Krieg gegen den Terror auf die eigene Gesellschaft aus? | |
Hätte ein anderer geschossen - Amerika, das Land der unbegrenzten Waffen, | |
wäre wie so oft erschüttert gewesen von einem weiteren tragischen Amoklauf. | |
Doch beim Todesschützen von Fort Hood handelte es sich um einen | |
strenggläubigen Muslim. Das verändert die Sicht. Manche wittern einen | |
Terrorakt, andere nur Ressentiments. Während die einen Angst vor den | |
Muslimen haben, fürchten viele Muslime in den USA genau diese Angst der | |
anderen. Durch Medien, Militär und Politik zieht sich eine Debatte, die | |
heilsam sein könnte. | |
Etwas ist falsch gelaufen. Auf tragische Weise hat ausgerechnet der | |
Todesschütze Nidal Malik Hasan diese Einsicht befördert. Amerika beginnt, | |
sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen des Antiterrorkampfes | |
auseinanderzusetzen. Im Fokus: der Umgang mit muslimischen Mitbürgern. | |
Viele Amerikaner haben verdrängt, dass dieser Krieg, obgleich viele tausend | |
Kilometer weit weg, auch in ihrem eigenen Land ankommen könnte. | |
Ausgerechnet in der größten US-Militärbasis, im texanischen Fort Hood. | |
Ausgerechnet dort, wo sich Soldaten auf den Irak oder Afghanistan | |
vorbereiten, hat dieser Krieg nun zugeschlagen. In Gestalt eines mutmaßlich | |
durchgedrehten Armeepsychiaters, der zur Waffe greift und 13 Menschen tötet | |
sowie rund 40 weitere verletzt. | |
Irrer oder Islamist? | |
Erste Erklärungsversuche klangen einleuchtend: Hasan habe weg von der Armee | |
gewollt und sei daran verzweifelt, dass er nach Afghanistan sollte. Auf den | |
zweiten Blick wurde es vielschichtiger: Hasan habe die US-Einsätze als | |
"Kriege gegen die islamische Welt" verteufelt. Er schrieb E-Mails an den | |
radikalislamischen Prediger Anwar al-Aulaqi, der Hasan nach dessen Amoklauf | |
als Helden pries. | |
Ein Terrorakt also? Besonders das konservative Lager war schnell mit dieser | |
Erklärung dabei. Joe Lieberman, Senator aus Connecticut, sprach im rechten | |
TV-Sender Fox News gar vom "schlimmsten Terroranschlag" seit dem 11. | |
September 2001. Der formal noch zu den Demokraten gehörende, aber | |
eigentlich konservative Politiker hat sogar eine Kongressuntersuchung | |
gefordert. Der Attentäter von Fort Hood trage die Züge eines Terroristen, | |
der sich in den USA selbst radikalisiert habe, sagte Lieberman. | |
"Amerika ist angegriffen worden" - diese Rechtfertigung muss seit 9/11 für | |
vieles herhalten, manchmal zu Recht. Aber sie täuscht eine Eindeutigkeit | |
vor, die es in diesem Fall genauso wenig gibt wie einen klaren Feind oder | |
einen eingegrenzten Kriegsschauplatz. "Der Antiterrorkrieg hat das | |
Schlachtfeld verlassen und ist in das Gedankengut eingezogen", schrieb das | |
Time Magazine. Selten, vielleicht noch nie seit dem Beginn der Feldzüge in | |
Irak und Afghanistan ist in den US-Medien so viel über die eigene | |
Wahrnehmung des Krieges diskutiert worden. Wie sehen ihn die rund 2,4 | |
Millionen Muslime in den USA? Wie die rund 2.000 bekennenden Muslime, die | |
als US-Staatsbürger ihr Land in der Armee verteidigen? "Ich möchte meinen | |
Glauben nicht beflecken, nicht meine muslimischen Glaubensbrüder und nicht | |
die amerikanische Flagge", beschrieb ein muslimischer US-Soldat in der New | |
York Times sein Dilemma. Als Angehöriger einer Armee, die zwei Kriege gegen | |
muslimische Länder führe, fühle er sich wie im amerikanischen Bürgerkrieg, | |
"als Brüder gegeneinander kämpften". | |
Muslime im Gewissenskonflikt | |
Gegen Glaubensbrüder zu kämpfen ist das eine, was einen muslimischen | |
Soldaten in Gewissenskonflikte bringen kann. Das andere ist es, | |
islamophoben Angriffen ausgesetzt zu sein. Zahlreiche Soldaten berichten | |
nun in den US-Medien, wie sie aufgrund ihres Glaubens von Kollegen | |
beschimpft und diskriminiert werden. Und das in einer Gesellschaft, deren | |
öffentlicher Diskurs sonst an Political Correctness kaum zu überbieten ist. | |
In dem multikulturellen und -religiösen Einwandererland ist das | |
Zusammenleben mit Muslimen in der Vergangenheit nie ein besonderes Thema | |
gewesen. Muslime sind integriert, zumal 40 Prozent von ihnen keine | |
Zuwanderer sind, sondern Afroamerikaner. Die eingewanderten Muslime | |
wiederum zählen in den USA, im Unterschied zu Europa, nach Verdienst und | |
Bildung überwiegend zur Mittelschicht. | |
Mahnruf aus dem Militär | |
Doch seit dem Amoklauf gibt es Irritationen. Muslimische Verbände haben | |
sich von der feigen Tat des Amokschützen distanziert und riefen ihre | |
Mitglieder - wie schon nach dem 11. September - dazu auf, sich vor | |
Angriffen und Feindseligkeiten zu schützen. Selbst Präsident Barack Obama | |
warnte vor Gegenreaktionen. Und der Personalchef der Streitkräfte, George | |
Casey, sagte dem Sender ABC: "Was in Fort Hood passiert ist, ist eine | |
Tragödie. Doch ich glaube, es wäre eine noch größere, wenn unsere | |
Völkervielfalt ein Opfer würde." Der General warnte davor, die Bluttat in | |
einen Zusammenhang mit Hasans Glauben zu bringen. Und er forderte seine | |
Kommandeure auf, wachsam gegen antimuslimische Reaktionen zu sein. Gerade | |
die Diversität sei die Stärke der US-Armee, betonte Casey. So ein Mahnruf | |
aus den Reihen der Militärs findet in den USA noch mehr Gehör, als das in | |
Deutschland der Fall wäre, denn die Armee ist eine zentrale Institution | |
dieser Gesellschaft. Casey erhöhte die öffentliche Sensibilität für das | |
Thema. So sehr, dass selbst Fox News auf seiner Internetseite betonte, dass | |
die muslimischen Soldaten ihre Loyalität zu Amerika in den Kriegen in | |
Afghanistan und Irak längst bewiesen hätten. | |
In anderen konservativen Medien hingegen wird beklagt, dass die | |
Rekrutierung einheimischer Islamisten angeblich ein Tabuthema sei. Die | |
rechte Washington Times nannte diese Bedrohung einen "fundamentalen blinden | |
Flecken" des liberalen Establishments. Immerhin ist die US-Öffentlichkeit | |
jetzt dabei, einige blinde Flecken zu erhellen. Die Debatte geht in die | |
richtige Richtung, um zumindest ansatzweise zu reflektieren, ob die USA auf | |
die grausamen Terrorakte des 11. September richtig reagiert haben. Wenn der | |
Krieg zu Hause Einzug ins Gedankengut hält, ist er nicht mit Waffen zu | |
gewinnen, sondern nur mit einer offenen Auseinandersetzung. | |
Der "Dialog der Gleichen", den Präsident Obama der islamischen Welt | |
angekündigt hat - er beginnt vielleicht gerade jetzt. Im eigenen Land. | |
15 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Antje Passenheim | |
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