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# taz.de -- Schweizer werben gegen Minarette: Schön einfach, schön blöd
> Die Werbe-Kampagnen Alexander Segerts in der Schweiz sind umstritten.
> Jetzt werben rechte Populisten mit seiner Hilfe gegen den Bau von
> Minaretten.
Bild: Da macht nicht nur die Kuh große Augen: Plakat Segers' in der Schweiz.
ZÜRICH taz | So viele Emails hat Adel Abdel-Latif seit Jahren nicht in
seinem Postfach gefunden. Das letzte Mal vielleicht, als er zum schönsten
Schweizer des Jahres gekürt wurde, das war 1996. Oder kurze Zeit später,
als er in der ARD-Serie "Marienhof" mitspielte. Inzwischen arbeitet der
38-Jährige als Radiologe in Basel, und wenn ihm fremde Personen Emails
schreiben, dann ist es keine Fanpost, sondern hat neuerdings einen anderen
Grund.
Abdel-Latif stammt väterlicherseits aus Ägypten und ist gläubiger Muslim.
Er betet täglich, besucht Gebetshäuser und hat viel Kontakt zu anderen
Schweizer Muslimen. In den mehr als 200 Emails, die er in den letzten Tagen
bekommen hat, versichern ihm unbekannte Menschen etwas, woran er bisher
nicht die geringsten Zweifel hatte: dass er als Muslim in der Schweiz
willkommen sei.
Der Grund für die überraschenden Zuschriften sind die Plakate der
Anti-Minarett-Initiative. Seit Ende Oktober blickt eine verängstigt
aussehende Frau in Burka von Schweizer Werbeflächen, hinter ihr durchbohren
raketenähnliche Minaretttürme ein rotes Schweizer Kreuz. Darunter prangt
ein fettes "Stopp". Das Ziel der Kampagne ist ein grundsätzliches Verbot
von Minaretten in der Schweiz. Hinter dem Vorstoß stehen Mitglieder der
rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP), der stärksten politischen
Kraft des Landes, und der religiös-orientierten Eidgenössischen
Demokratischen Union (EDU).
Schon bevor die Plakate überhaupt hingen, fegte ein Sturm der Entrüstung
durch die Schweiz. Verlage diskutierten einen Boykott, die
Stadtverwaltungen von Basel, Lausanne und Fribourg verboten die Plakate
wegen rassistischer Inhalte und ein Vertreter der
UN-Menschenrechtskommission äußerte sich empört über die "erschreckende
Plakatkampagne". Selbstverständlich habe er bewusst ein aussagekräftiges
Plakat ausgesucht, sagt Ulrich Schlüer, SVP-Nationalrat und Geschäftsführer
der Anti-Minarett-Initiative im Gespräch mit der taz. Das Plakat würde
genau zum Ausdruck bringen, was die Initiative wolle. Die erhöhte
Aufmerksamkeit wertet er als Zeichen dafür, wie gelungen das Plakat sei.
"Rassistisch? Das ist doch Unsinn," sagt Schlüer.
Abdel-Latif fühlt sich als Muslim durch die Plakate eindeutig
diskriminiert. Wenn er über die Kampagne redet, wird seine Stimme
emotional. Zwar traut er seinen Mitbürgern nicht zu, dass sie auf solch
plumpe Propaganda hereinfallen, trotzdem findet er die Kampagne gefährlich.
"Sie erinnert mich stark an nationalsozialistisches Gedankengut", sagt er.
Außerdem würden die Plakate lügen. In der Schweiz fände man keine einzige
Frau, die eine Burka trägt. Und die raketenförmigen Minarette suggerierten,
dass alle Muslime kriminell und kriegerisch seien. Der gleichen Meinung ist
auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Die Kampagne diffamiere
die friedliche, muslimische Bevölkerung und habe das Potenzial, den
öffentlichen Frieden zu stören, heißt es.
Wer also denkt sich eine solche Kampagne aus? Es ist Alexander Segert, 43
Jahre alt und gebürtiger Deutscher. Seit 14 Jahren macht er Werbung und
Rhetorik-Coaching für die SVP, seit sieben Jahren ist er Chef der SVP-nahen
Werbeagentur Goal. Er ist in Hamburg aufgewachsen, hat in Konstanz
Germanistik und Geschichte studiert und ist dann zum Arbeiten in die
Schweiz gegangen. Wie kommt einer, der selbst Ausländer ist, dazu, sich
ausländerfeindliche Kampagnen auszudenken? Leider kann man Alexander Segert
das nicht persönlich fragen, denn seit Kurzem ist er für Journalisten nicht
mehr zu sprechen. Zur Minarett-Initiative äußere sich ihr Chef nicht, sagt
eine Mitarbeiterin bei Goal. Alexander Segert ist aus der Öffentlichkeit
verschwunden. Das erstaunt, denn bisher war er alles andere als
medienscheu.
Noch vor Kurzem lächelte der schlanke Mann mit Brille von diversen
Pressefotos. Anlass war ein neuer Kalender, der eine Auswahl der
erfolgreichsten SVP-Plakate zeigt. Bereitwillig erklärte Segert in
Interviews sein Erfolgsrezept: "Kiss - Keep it simple an stupid" (Halte es
einfach und blöd).
Segert präsentiert sich als professioneller PR-Stratege, dem es rein um
beruflichen Erfolg gehe. Dass er den hat, steht außer Frage: Keine anderer
Werber erregt so viel Aufmerksamkeit in der Schweiz wie er. Kein anderes
Plakat wird bereits vor Erscheinen so oft abgedruckt wie seins. Kürzlich
ließ Segert verlauten, er würde "wahnsinnig gern auch linke Politikwerbung
machen". Abgesehen davon, dass er wohl kaum einen Auftraggeber finden
würde, ist das aber völlig unglaubwürdig. Segert ist schon lange aktiv in
der rechten Szene in der Schweiz. In den 90er-Jahren war er Mitglied der
rechten Psychosekte VPM, später hat er für mehrere rechte Publikationen
geschrieben, vor allem für die erzkonservative Zeitung Schweizerzeit. Sein
Chef dort war Ulrich Schlüer, der jetzt die Anti-Minarett-Initiative
mitgegründet hat.
Das Plakat mit der verschleierten Frau und den Raketen-Minaretten ist nicht
das erste, das Segert mithilfe seines Kiss-Rezepts entworfen hat. Für eine
Ausweisung krimineller Ausländer beispielsweise warb die SVP mit einem
Plakat, das der deutschen NPD so gut gefiel, dass sie es gleich kopierte.
Abgebildet sind weiße Schäfchen, die ein schwarzes Schäfchen über die
Landesgrenze schubsen. Die nahe liegende Assoziation: Hellhäutige Schweizer
müssen sich gegen dunkelhäutige Zuwanderer wehren.
Diese rassistische Botschaft bestritten die Verantwortlichen zwar, legten
aber kurz darauf mit einem neuen Motiv nach: Auf einem Plakat gegen
Einbürgerungen greifen dunkelhäutige Hände von allen Seiten nach Schweizer
Pässen. Auch gegen die EU wurde mit riesigen Raben Stimmung gemacht, die
mit ihren Schnäbeln auf die kleine Schweiz einhacken. Vor jedem Urnengang
provozieren die Plakate von Goal aufs Neue, das Prinzip ist immer das
gleiche: Mit rassistischer Symbolik wird Angst vor Überfremdung geschürt.
Dabei scheint Segert keine Geschmacklosigkeit zu viel zu sein. Als
"Rattenwerber" wurde er deshalb in den Medien schon bezeichnet. Dem
Tagesanzeiger sagte er, Tabus gebe es für ihn fast keine. Als Deutscher
würde er auch, so gewünscht, eine Kampagne konzipieren mit dem Slogan
"Deutsche raus!"
So viel Empörung wie die Anti-Minarett-Kampagne hat Segert allerdings
bisher mit keinem seiner Plakate ausgelöst. Offenbar ist die Provokation
nun sogar einigen SVP-Anhängern zu viel. Erstaunt bemerkte Abdel-Latif, der
durch seine Wahl zum Mister Schweiz zu einer öffentlichen Person geworden
ist, von wem er die vielen freundlichen Emails bekommen hatte. Jede Vierte
war von einem SVP-Mitglied unterzeichnet. "Ich möchte mich eindeutig von
der Kampagne distanzieren", las er immer wieder. Einige schrieben sogar
"Ich schäme mich als SVP-Mitglied für diese Plakate."
Selbst auf höherer politischer Ebene werden nun Zweifel laut. Der ehemalige
SVP-Präsident Ueli Maurer denkt öffentlich darüber nach, die Initiative
abzulehnen, weil sie ein falsches Signal setze. Und der Thurgauer
SVP-Nationalrat Peter Spuhler warnt vor negativen Folgen der Initiative auf
die Schweizer Wirtschaft. Wie im Streit über die Mohammed-Karikaturen könne
es zu Boykotts kommen, fürchtet er.
Alexander Segert hingegen scheint die allgemeine Aufregung erst richtig
anzuspornen. Seit einigen Tagen hat die Anti-Minarett-Initiative online ein
Computerspiel geschaltet mit dem Namen "Minarett-Attack", entworfen von der
Werbeagentur Goal. An Niveaulosigkeit übertrifft es die Plakate bei Weitem.
Im Vordergrund sieht man Schweizer Häuser, Brücken, Kirchtürme, dahinter
erhebt sich das Matterhorn, auf seinem Gipfel weht eine Schweizer Fahne.
Startet man das Spiel, wachsen überall Minarette aus dem Boden. Auf den
Balkonen erscheinen Muezzine und rufen laut. Als Spieler soll man nun so
viele Muezzine wie möglich so schnell wie möglich abschießen. Gewinnen kann
man das Spiel nicht. Stattdessen erscheint ein Fenster: Game Over. "Die
Schweiz ist voller Minarette. Damit das nicht passiert: Am 29. November ja
zur Minarettsverbotsinitiative."
Tatsächlich stehen in der Schweiz bisher nur vier Minarette, Muezzine gibt
es keinen einzigen. Bisher entscheidet die zuständige Baubehörde im
individuellen Fall, ob ein Minarett gebaut werden darf oder nicht. Und
voraussichtlich wird das auch so bleiben. Denn aktuellen Umfragen zufolge
wird die Initiative am 29. November scheitern. "Warten wir ab", sagt dazu
Mitinitiator Ulrich Schlüer. "Die Initiative hat keine Chance", sagt
Abdel-Latif, "mit der Kampagne hat sich die SVP ins eigene Bein
geschossen." Sein volles Postfach weist jedenfalls stark darauf hin.
18 Nov 2009
## AUTOREN
Paula Scheidt
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