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# taz.de -- Pro und Kontra: Sind die Uniproteste erfolgreich?
> Wiederholt gingen die Studenten in den letzten Jahren auf die Straße.
> Genutzt hat es nichts. Auch jetzt wird das wieder so sein, meint Anna
> Lehmann. Gordon Repinski ist da ganz anderer Meinung.
Bild: Studentenproteste an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
Pro
Ach, schon wieder die Studierenden auf der Straße! Klar, der Reflex ist da,
zu sagen: Das gab es schon oft, alle regen sich auf, und spätestens
Weihnachten gehen sie wieder brav nach Hause. Vorher gibt es warme Worte
aus der Politik, vielleicht auch ein Treffen mit Studivertretern, bei dem
außer schönen Fotos nichts rumkommt. Mancherorts mag das sogar stimmen.
Aber dabei wird es diesmal nicht bleiben.
Die verantwortlichen MinisterInnen haben bei den Forderungen nach einer
längeren Studienzeit und nach weniger Arbeitsbelastung im Studium
weitgehende Zugeständnisse gemacht. Der Bachelor in acht statt sechs
Semestern wird bald an vielen Universitäten möglich sein, ein
Auslandsstudium ist wieder leichter integrierbar, die Prüfungsdichte wird
sinken, das Bafög wird erhöht.
Auch die Rhetorik hat sich verändert. Noch vor wenigen Monaten nannte
Bildungsministerin Annette Schavan die Proteste "gestrig" und lobte die
Fortschritte der Bologna-Reformen. Das würde sie sich heute nicht mehr
trauen. Die Eile, mit der die verantwortlichen MinisterInnen in den Ländern
Änderungen angekündigt haben, ist bezeichnend. Der Druck der Straße ist zu
groß geworden.
Die neue Rhetorik der Politik gibt einen Hinweis darauf, was sich abseits
von technischen Korrekturen an Bachelor und Master getan hat. Denn der
eigentliche Erfolg der Proteste liegt noch nicht einmal in den
unmittelbaren Reaktionen auf die Forderungen. Der wirklich durchschlagende
Erfolg ist, dass die schon in den letzten Jahren steigende öffentliche
Wahrnehmung mittlerweile eine unerwartete Dimension erreicht hat. Diese
erlaubt es der Politik nicht mehr, so nachlässig mit dem Thema umzugehen,
wie es seit Jahrzehnten der Fall gewesen ist.
Die schwarz-gelbe Regierung plant bekanntlich, mit Steuerentlastungen in
Milliardenhöhe die für Bildung zuständigen Länderhaushalte zu ruinieren.
Diese zukunftsverachtende Politik lässt man ihr nicht mehr durchgehen.
Nicht nur die Studierenden spüren, dass etwas falsch läuft - sondern viele
Menschen, denen Bildungspolitik zuvor noch als Gedöns galt.
Gordon Repinski ist Bildungsredakteur der taz.
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Kontra
Die Studierenden sind dabei, sich mit Brosamen zufrieden zu geben. Mit der
Ankündigung, dass der Bachelor länger dauern darf und der Zugang zum Master
etwas breiter angelegt wird, ist die Politik fein raus: Es kostet sie erst
mal nichts und umsetzen müssen es die Hochschulen. Am Grundproblem, dass
die Bundesrepublik zu wenig Geld in ihr Bildungssystem steckt und zu wenige
Menschen ein Studium absolvieren, ändert sich gar nichts.
Schon 1997 trugen SchülerInnen und StudentInnen schwarze Pappsärge mit der
Aufschrift "Bildung" durch die Straßen. Damals befand sich Deutschland aber
noch in guter Nachbarschaft zu anderen Industrieländern. Zwölf Jahre und
zwei Streiks später ist die Bundesrepublik abgehängt. Die OECD hat
vorgerechnet, dass Staat und Bürger jährlich 32 Milliarden Euro zusätzlich
aufbringen müssten, damit Deutschland das durchschnittliche OECD-Niveau
erreicht. Ob ein paar tausend zornige Audi-Max-BesetzerInnen mehr
Überzeugungskraft entwickeln als die marktliberale OECD?
Die wahre Crux dieses Bildungsstreiks ist aber, dass vor allem jene nach
besserer Bildung rufen, die schon im Erste-Klasse-Abteil Richtung Zukunft
sitzen, selbst wenn der Zug rumpelt. Doch wieso empören sich die über
50.000 Studienberechtigten nicht, die jährlich auf ein Studium verzichten,
sei es, weil eine Ausbildung lohnender scheint, sei es, weil ein Studium
erst mal nur kostet? Wo sind jene Millionen Schüler und Schulabgänger, die
erst gar keine Reifeprüfung machen, weil sie schon mit 10 oder 12 Jahren
auf Bildungswege geschickt werden, die ihren "praktischen" Begabungen
entsprechen?
Wenn die Bundesrepublik wirklich steigende Absolventenzahlen will, dann
müssen künftig mehr Leute gewonnen werden, deren Eltern nie eine Hochschule
besucht haben. Dazu muss das Bafög radikal ausgebaut statt - wie aktuell -
nachgebessert werden. Bessere Bildung für alle, dieses Ziel lässt sich
nicht mit Hörsaalbesetzungen erreichen. Erst wenn sich die wenigen in den
Hochschulen mit den vielen, die draußen bleiben, verbünden, hat ein
"Bildungsstreik" Erfolg.
Anna Lehmann ist Bildungsredakteurin der taz.
20 Nov 2009
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