# taz.de -- Debatte Schweinegrippe: Wirrwarr der Experten | |
> Zu früh hat sich die Politik auf das Allheilmittel Impfung fixiert. Mit | |
> ihrer Informationspolitik hat sie nur Ängste und Unsicherheiten verstärkt | |
Das Problem begann mit der Weltgesundheitsorganisation. Jahrelang konnte | |
man auf der WHO-Webseite nachlesen, dass es sich bei einer | |
Influenza-Pandemie um eine Krankheit mit hoher Sterblichkeitsrate handele. | |
Im Mai 2009 wurde der Hinweis auf die hohe Mortalität gestrichen. Diese | |
Definition, so entschuldigte sich die WHO, habe Verwirrung und Ängste | |
hervorgerufen. Nun reichte der Verweis darauf, dass sich eine | |
Grippepandemie durch eine Verbreitung über viele Länder und Kontinente | |
auszeichnet. | |
Das trifft im Falle der Schweinegrippe zu: Ihr Erreger, das Virus H1N1 | |
2009, reist seit April dieses Jahres um die Welt. Begleitet wird er von | |
Heerscharen von Politikern und Wissenschaftlern, von Journalisten und | |
Kommentatoren. Die einen profilieren sich als Warner und malen | |
Schreckensszenarien aus. So sprechen pensionierte Wissenschaftler in der | |
Zeitung mit den großen Buchstaben von 35.000 Todesfällen. Andere treten als | |
Kritiker von Hysterie und Panikmache auf. Sie sagen: Die Infektionen | |
verlaufen mild, und konsequent häufiges Händewaschen schütze besser als | |
eine Impfung. | |
Augrund der Pandemie-Klassifikation der WHO sah sich die Politik zum | |
Handeln gezwungen. Mit 50 Millionen eingekauften Impfstoffdosen wollten sie | |
signalisieren: Wir sind vorbereitet, wir schützen unsere Bevölkerung, wir | |
haben alles im Griff. Bald sollte sich jedoch zeigten, dass die Handelnden | |
gar nichts im Griff hatten: Die Ständige Impfkommission (Stiko), vor zwei | |
Jahren schon unangenehm durch die wenig differenzierte Empfehlung zugunsten | |
der HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs ins Gerede gekommen, war auch | |
jetzt wieder mit einer Empfehlung zur Stelle. | |
Zwar war sie gegenüber der Politik, die aller Welt zu einer Impfung riet, | |
zurückhaltender und empfahl nur besonderen Risikogruppen die Impfung, | |
darunter auch schwangeren Frauen. Die aber sollten sich nicht mit dem | |
Impfstoff impfen lassen, den die Bundesregierung eingekauft hatte, sondern | |
mit einem, der keine Zusatzstoffe enthalte, da der "gestreckte" Impfstoff | |
nicht für Schwangere zugelassen sei. | |
Nur, so erfuhr die noch mehr verunsicherte Öffentlichkeit, ist ein solcher | |
Impfstoff weder in Deutschland erhältlich noch zugelassen und kann daher | |
gar nicht "verimpft" werden. Aber es kam noch schlimmer: Zur gleichen Zeit | |
wurde bekannt, dass dieser für Schwangere empfohlene Impfstoff ohne Zusätze | |
auch von der Bundeswehr geordert worden war und dass Politiker Interesse | |
daran zeigten, mit ihm geimpft zu werden. Geht es bei der Schweinegrippe | |
also um Zwei-Klassen-Impfstoffe? | |
Darüber hinaus wurden Fragen der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen laut. | |
Die ehemalige Ministerin Ulla Schmidt verstieg sich dabei zu der Aussage, | |
der eingekaufte Impfstoff mit den Zusatzstoffen sei sicher, schließlich sei | |
er zugelassen. Dass die Zulassung eines Mittels aber nichts über die | |
Sicherheit aussagt, muss ihr in diesem Moment entfallen sein: Auch Vioxx | |
und Lipobay waren zugelassen, sicher waren sie trotzdem nicht. Die | |
unerwünschten Wirkungen bis hin zu Todesfällen traten nämlich erst bei der | |
breiten Anwendung zutage. Dies hat wohl auch die Herstellerfirma | |
GlaxoSmithKline dazu bewogen, in den Vertrag mit der Bundesregierung über | |
die Lieferung der 50 Millionen Impfdosen einen Passus aufzunehmen, der sie | |
von der Haftung im Falle negativer Wirkungen freistellt. Begründung: | |
"Aufgrund der besonderen Situation im Pandemiefall [liegen] weder | |
umfangreiche klinische Daten noch Erfahrungen mit dem Pandemie-Impfstoff in | |
seiner konkreten Zusammensetzung vor." | |
Es sind nur wenige Eindrücke aus den letzten Monaten, die hier | |
wiedergegeben werden können. Sie zeigen aber ein Informationschaos | |
sondergleichen. Chaos tritt immer dann auf, wenn Raum für unterschiedliche | |
wissenschaftliche Meinungen existiert, die für sich genommen auch gut | |
begründbar sind. Das ist das eine. In diesem Fall liegt ein wesentlicher | |
Grund für das Wirrwarr darin, dass Wissenschaftler von Instituten, die dem | |
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nachgeordnet sind, in politische | |
Räson genommen wurden. Politik sollte sich von der Wissenschaft beraten | |
lassen und auf dieser Basis Informationen aufbauen. Wird die Wissenschaft | |
aber gezwungen, politische Entscheidungen zu legitimieren, dann führt das | |
auf Dauer sowohl zur Diskreditierung von Wissenschaft wie zum nun | |
herrschenden Wirrwarr. Aktivität in der Politik ist noch kein Hinweis auf | |
Qualität. Die wäre erst dann erreicht, wenn unabhängige Wissenschaftler zu | |
Rate gezogen worden wären - neben denen des BMG nachgeordneten Instituten | |
wie das Stiko, das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut. | |
Kommunikation, die überzeugen soll, muss gekonnt sein. Sie muss die | |
Menschen dort abholen, wo sie mit ihren Bedenken, ihren Ängsten, ihren | |
Unsicherheiten stehen. Der starre Blick auf die Impfung ist da nicht | |
hilfreich. Bei Licht betrachtet handelt es sich bei dieser Fixierung | |
zunächst um eine Finanzspritze für die Hersteller der Impfstoffe. Die | |
Aktienkurse sind der beste Spiegel dieser Entwicklung. | |
Sämtliche Informationen, die einem Aufruf zum Impfen vorausgehen müssen, | |
sind sträflich vernachlässigt worden. Weder wurde über die meist milden | |
Verläufe der Schweinegrippe aufgeklärt noch auf vorbeugende hygienische | |
Maßnahmen - Händewaschen - hingewiesen. Auch eine Erklärung dafür, warum | |
vor allem jüngere Menschen erkranken, blieben die Behörden schuldig: Die | |
Älteren sind diesem angeblich so neuen Virus nämlich schon bei früheren | |
Influenza-Infektionen bereits begegnet, weshalb sich ihr Immunsystem gegen | |
dieses Virus stärken konnte. | |
Risikoinformation muss für die Zielgruppen verständlich sein, sonst führt | |
sie zu noch mehr Unsicherheit und Ängsten. Im Falle der Schweinegrippe hat | |
die total verfehle Risikokommunikation eine allgemeine Impfverdrossenheit | |
ausgelöst. "Ich kann nur hoffen, dass hier nie die Pest ausbricht", wird | |
der Berliner Frauenarzt Albrecht Scheffler im Zusammenhang mit den | |
planlosen, auch chaotischen Impfaktionen zitiert. Recht hat er. | |
22 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Gerd Glaeske | |
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