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# taz.de -- Unter Zockern - Ein Besuch im Wettbüro: "Wetten ist Arbeit"
> Grelles Neonlicht, graugrüner Filzteppich, Anzeigetafeln, schlichte
> Holzstühle: Männer jeden Alters hoffen hier auf den großen Gewinn. Zu
> Besuch in einem Berliner Wettbüro.
Bild: "Erfahrung, Wissen, Glück und Zeit": die Grundvoraussetzung, um Wettsche…
Kemal Arayan* ist eine Größe in der Kreuzberger Wettszene, "Wettprofessor"
nennen sie ihn, er selbst weist solche Titel zurück. Es ist
Mittwochnachmittag, Champions League, für Arayan ein "gewöhnlicher
Werktag". Und das bedeutet: Spielpläne studieren, Quoten berechnen,
Wettscheine ausfüllen.
Arayan sitzt im "Hattrick" am Kottbusser Tor, eines der vielen Wettbüros,
die, obwohl es sie nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht geben dürfte,
seit einigen Jahren zur Insigne der urbanen Armuts- und Einwandererviertel
geworden sind. 190 illegale Wettbüros nebst einer "hohen Dunkelziffer" hat
allein das Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten
gezählt. Hier ist Fußball Männer- und dem Interieur des "Hattrick" nach zu
urteilen eine schnörkellose Sache: Grelles Neonlicht, graugrüner
Filzteppich, Anzeigetafeln, auf denen Zahlenreihen herunterrattern,
schlichte Holzstühle, auf denen Männer jeden Alters wortlos Vordrucke lesen
und ausfüllen.
Arayan ist 50, schmächtige Gestalt, buschiger Schnauzbart. Seine Stimme ist
sanft, seine Sätze sorgfältig überlegt. Kurz vor dem Putsch von 1980 kam er
als politischer Flüchtling aus der Türkei, seit vielen Jahren arbeitet er
als Erzieher. Und seit zehn, zwölf Jahren wettet er auf Fußballspiele.
Wer mit Wetten Geld verdienen wolle, dürfe nicht gierig werden, sagt
Arayan. Diese Erfahrung habe er von der Börse mitgenommen, überhaupt seien
Aktienspekulationen unsicherer. Arayan empfiehlt, pro Schein nur auf ein
einziges Spiel zu tippen. Neben internationalen Wettbewerben und
Länderspielen wettet der St.-Pauli-Fan nur auf die großen europäischen
Ligen, die anderen sind ihm zu unsicher. Für den Abend hat er sich sechs
Spiele ausgesucht; 20 Euro Einsatz, 300 Euro Maximalgewinn. Je nach Monat
setzt er zwischen 500 und 1.500 Euro ein. Seine letzte Jahresbilanz, so
überschlägt er, waren um die 1.000 Euro Gewinn.
Ioannis Tsingos weiß genau, wie viel er verdient hat. Tsingos ist 49,
Fernmeldetechniker und wurde in Dresden geboren, ehe er mit seiner Familie
in den Westen zog. Heute wohnt er am Westberliner Stadtrand. Er kramt seine
sorgsam geordneten Wettscheine hervor: 4.394 Euro Gewinn 2009, ein sehr
gutes Jahr.
Wie er das macht? "Erfahrung, Wissen, Glück und Zeit", sagt Tsingos. Seine
Arbeit besteht momentan aus seinen vier kleinen Kindern. Und aus Wetten. Er
liest die Fachpresse, verfolgt die Teams und studiert Formkurven und
Statistiken. "Aber man muss erkennen, wann der Buchmacher einen mit seinen
Quoten verleiten will. Und oft werden Quoten nicht ermittelt, sondern vom
Computer hingeknallt. Da muss man sehen, wo die Statistik eine Mannschaft
zum krassen Außenseiter macht, die in Wirklichkeit gar kein krasser
Außenseiter ist." Schließlich seien Statistiken nicht alles. "Ich versuche,
mich in die Psychologie der Spieler hineinzuversetzen", sagt Tsingos.
Davon, dass man am Ende im Plus ist, ist man auch am "deutschen Stammtisch"
im "Hattrick" überzeugt. Die Champions League hat noch nicht angefangen,
Laurenz Roth, ein introvertierter 53-Jähriger im Blaumann, hat Live-Wetten
auf zwei Spiele abgeschlossen, die er nur an der elektronischen
Quotenanzeige verfolgt. Eines läuft in Ägypten, das andere in der Slowakei.
Oder in Kroatien? "Ist egal", sagt er, "da geht man nur nach Bauchgefühl".
Das sei besser als Lotto spielen, meint sein Stammtischfreund Marius
Langer, ein 46-jähriger gelernter Straßenbauer, der seit sechs Jahren
arbeitslos ist und "den ganzen Tag im Wettbüro" verbringt. Wie Roth betont
auch er, dass es nicht um den Gewinn, sondern um den "Spaß" gehe. Dafür,
dass das Wort "Spaß" auf Nachfrage hier ziemlich oft fällt, geht es an
dieser Tischgesellschaft recht wortkarg zu.
Am Schalter im "Hattrick" hängt ein Plakat: "Wetten kann süchtig machen",
dazu eine Telefonnummer der Spielsuchtprävention. Ugur Baris, 29,
Jogginganzug, Basecap, steht davor und erzählt, dass er im Monat bis zu
1.000 Euro verwettet - Geld, das der gelernte Maurer mit Hartz IV und
Schwarzarbeiten verdient. Ob ihn dieses Plakat nachdenklich stimmt? "Ich
habe das noch nie beachtet. Ich sehe nur das andere", sagt er, auf die
Zahlenreihen der Live-Wetten deutend. "Und ich setze nicht nur, ich gewinne
ja auch."
"Am Ende gewinnt immer die Bank", grinst hingegen Cinar Aygün. Und er muss
es wissen. Er sitzt in einem der größten Kreuzberger Wettbüros an der
Kasse. Wie hoch die Umsätze sind, will er nicht verraten, aber an einem
Champions-League-Tag würden etwa 800 Scheine abgegeben; bei Spielen der
Bundesliga seien es bis zu 1.200.
Einen Teil seiner Kundschaft hält der 50-jährige für süchtig: "Die Leute
erinnern sich lieber an ihre Gewinne. Und manche machen mit mir um elf den
Laden auf und schließen um elf den Laden mit mir. Die setzen hier zwei Euro
und da fünf Euro und merken gar nicht, wie viel sie verspielt haben." Ob er
solche Leute nicht mal nach Hause schickt? "Das kann ich nicht machen.
Außerdem würden die meisten, vor allem die Türken, das als Beleidigung
sehen." Gibt es denn Unterschiede zwischen seiner türkischen und deutschen
Kundschaft? "Die Deutschen sind hier in der Minderheit, die trauen dem
Wetten nicht so ganz. Und die meisten unserer deutschen Kunden setzen fünf
und wollen zehn gewinnen. Viele Türken oder andere Ausländer, die wenig
Geld haben, wollen mit zwei, drei Euro den Jackpot knacken." Er ist
überzeugt: Je weniger man von Fußball versteht, desto besser sind die
Chancen.
Dass die Suchtgefahr der Grund für das Verbot der Sportwetten ist, leuchtet
Aygün nicht ein: "Wenn das so gefährlich ist, warum bietet der Staat dann
selbst Wetten an?", fragt er und antwortet selbst: "Der Staat will den
ganzen Kuchen für sich behalten." Der staatliche Anbieter Oddset aber habe
in der Woche vielleicht hundert Spiele, so viel würden in seinem Wettbüro
jeden Tag angeboten. Außerdem gebe es bei den freien Anbietern viel mehr
Wettmöglichkeiten und bessere Quoten.
Probleme mit Lizenzen hat man im "Goldesel" nicht. Gelegen an der Grenze
zwischen dem studentischen Friedrichshain, dem bionade-bürgerlichen
Prenzlauer Berg und dem Plattenbauviertel Lichtenberg, ist der "Goldesel"
eines der wenigen legalen Wettbüros der Stadt. Der Betreiber Bernd Hobiger
hatte seine Konzession noch zu DDR-Zeiten erworben, weshalb sie laut
Einigungsvertrag Bestandsschutz genießt.
Das Flair ist hier etwas anders: Geraucht wird nicht, neben Fußball werden
auch Pferderennen aus drei Ländern sowie englische Hunderennen übertragen.
An zwei Wänden hängen Kopien von Wettscheinen, von denen jedes Wetterherz
träumt: Im März hat hier jemand mit 300 Euro Einsatz rund 11.600 gewonnen,
im Juli hat es jemand mit zwei Euro auf etwas über 4.000 gebracht. An den
Fenstern hängen Gardinen, davor finden sich ein paar Topfpflanzen. Deutsche
Gemütlichkeit zwischen Altberliner Schultheißkneipe und Bushaltestelle.
Auch die Kundschaft ist eher altdeutsch.
Roland Berning nimmt im "Goldesel" die Wetten an. Mit seinem heutigen Chef
habe er schon zu DDR-Zeiten auf Pferderennen gewettet. "Aber der war
cleverer und hat im richtigen Moment den Laden hier aufgemacht." Im Lauf
von 30 Jahren, so schätzt der 58-Jährige mit dem akkurat rasierten Kinnbart
und der Lederweste, habe er eine Million Euro verwettet. Ob er noch an das
große Glück glaubt? "Ach, iwo. Aber ich rauche nicht, ich habe kein Auto
und verheiratet war ich auch nie, warum soll ich nicht wetten?"
An das große Los glauben Niklas Herden, 33, und Simon Fuhrmann, 26,
ebenfalls nicht. Die beiden studieren Regie beziehungsweise Drehbuch an der
Deutschen Film- und Fernsehakademie und sitzen an diesem Abend in der
"Wettarena", einem der neueren Wettbüros mit schmucker Bar. Sie wohnen in
der Nähe, im seit geraumer Zeit gerade unter Studenten beliebten Norden
Neuköllns. Sie wetten, wie Herden sagt, um beim Fußballgucken die Spannung
zu steigern. "Und hier ist es so bodenständig. Das ist doch viel normaler
als die Welt in einer Filmhochschule oder in einer Zeitungsredaktion",
meint er. Und Furhmann ergänzt mit seinem breiten Schweizer Akzent: "Wir
gucken Fußball, wir wetten, wie spielen auch Playstation. Ich kann doch
nicht immer nur Godard-Filme gucken."
Auch Memed Gürer hat an diesem Abend seine 20, 30 Euro verwettet – ohne
dabei seine Wohnung zu verlassen. "Die Wettbüros haben ihre beste Zeit
schon hinter sich", glaubt der 42-jährige Geschäftsführer einer
Transportfirma. "Wenn du das richtige Equipment und die richtigen Programme
hast, kannst du dir ohne zu zahlen alle Spiele auf den Fernseher laden und
dabei live deine Wetten abgeben." Ob ihm da nicht der Austausch mit anderen
fehlt? "Schon, aber dafür kann ich mich besser konzentrieren." Und der
Spaß? "Wetten ist kein Spaß, wetten ist Arbeit", sagt er.
"Wettprofessor" Kemal Arayan sieht das ähnlich. Nach Abpfiff hat er
übrigens drei Richtige – zu wenig, um auch nur seinen Einsatz
zurückzuerhalten. Aber morgen ist der nächste Spieltag. Und der ist immer
der ertragreichste.
* Alle Namen geändert
27 Nov 2009
## AUTOREN
Deniz Yücel
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