# taz.de -- Regimekritiker über Iran: "Westen sollte sich nicht einmischen" | |
> Demokratie und Menschenrechte lassen sich nicht von außen einführen, sagt | |
> der iranische Regimekritiker Akbar Gandji. Von Sanktionen hält er nichts. | |
Bild: Der Journalist und Regimekritiker Akbar Gandji lebt heute in den USA. | |
Herr Gandji, Sie haben sechs Jahre im Iran im Gefängnis gesessen und sind | |
nach Ihrer Freilassung 2006 ins Ausland gegangen. Zurzeit leben Sie in | |
Amerika. Inzwischen hat sich im Iran viel ereignet. Hat Sie die grüne | |
Protestbewegung überrascht? | |
Akbar Gandji: Nein, keineswegs. Es ist die Fortsetzung dessen, was vor | |
Jahren begonnen hat. Im Iran herrscht eine tiefe Unzufriedenheit, und die | |
breite Zivilgesellschaft hat eine lange Tradition. Der Demokratieprozess | |
begann mit der konstitutionellen Revolution von 1906, ging in den | |
Fünfzigerjahren mit der Bewegung zur Verstaatlichung der Ölindustrie unter | |
Führung von Mohammed Mossadegh weiter und gipfelte in der Revolution von | |
1979. Die Reformbewegung wie auch die gegenwärtigen Proteste setzen diese | |
Tradition fort. Was diese Bewegung auszeichnet, ist ihre Gewaltfreiheit und | |
Friedfertigkeit. Sie ist frei von Ideologie, demokratisch und hat die | |
Durchsetzung der Menschenrechte zum Ziel. | |
Aber was kann sie ohne eine Organisation und klare Führung erreichen? | |
Die Vorstellung von einer zentral geführten Organisation ist veraltet. | |
Heute organisieren sich gesellschaftliche Bewegungen in einem Netzwerk. Das | |
ist eine Erkenntnis, die nicht nur die Protestierenden, sondern auch die | |
beiden bei den Wahlen unterlegenen Kandidaten, Mir Hossein Mussawi und | |
Mehdi Karrubi, gewonnen haben. | |
Aber die beiden gehören doch selbst zum islamischen Establishment. Wie | |
können sie eine solche Bewegung repräsentieren? | |
Was die beiden bisher gesagt und veröffentlicht haben, zeugt davon, dass | |
sie voll und ganz hinter den demokratischen Forderungen stehen. Wenn sie | |
gleichzeitig immer wieder betonen, dass sie nicht den Sturz des Systems zum | |
Ziel haben und ihre Forderungen auch im Rahmen der bestehenden Verfassung | |
realisierbar sind, ist das eine bewusste Distanzierung von radikalen | |
Positionen, die zumeist von der Auslandsopposition stammen. Diese | |
Distanzierung ist notwendig, um eine gewaltsame Auseinandersetzung mit dem | |
Regime, das keine Verbrechen scheut, zu vermeiden. | |
Sie selbst wurden nach Ihrer Rückkehr von der Berliner Iran-Konferenz im | |
April 2000 verhaftet. War die Teilnahme an einer öffentlichen Konferenz aus | |
der Sicht des Regimes ein so gravierendes Vergehen? | |
Nein, die Berliner Konferenz war nur ein Vorwand für eine breitangelegte | |
Kampagne der Rechtsradikalen gegen die Reformer, die mit dem Sieg Mohammed | |
Chatamis 1997 die Regierung und 2000 die Mehrheit im Parlament erobert | |
hatten. Während dieser Zeit entstand ein Freiraum, der Journalisten die | |
Chance bot, sich kritisch mit der Islamischen Republik auseinanderzusetzen. | |
Dazu gehörte auch die Aufklärung der sogenannten Kettenmorde an | |
Schriftstellern und Intellektuellen. Immerhin haben die Presse und die | |
öffentliche Meinung das Informationsministerium dazu gezwungen, zuzugeben, | |
die Morde geplant und ausgeführt zu haben. Das war eine Sensation. | |
Ihre Artikel und Bücher haben entscheidend zu der Aufklärung beigetragen. | |
Auch ich gehörte zu jener machtvollen Bewegung, die nach Veränderungen | |
strebte. Aber auch die Gegenseite blieb nicht untätig. Sie nahm unter | |
anderem die Berliner Konferenz zum Anlass, um zurückzuschlagen. Kurz nach | |
unserer Rückkehr aus Berlin bezeichnete Revolutionsführer Ali Chamenei beim | |
Freitagsgebet die gesamte Reformpresse als Stützpunkt der Feinde der | |
Islamischen Republik. Gleich am nächsten Tag wurde ich in Haft genommen. | |
Rund hundert Zeitungen wurden in den folgenden Monaten verboten und | |
zahlreiche Journalisten inhaftiert. Schon damals wurde behauptet, der | |
Westen schüre im Iran Unruhen, um eine "sanfte Revolution" durchzuführen. | |
Sie zählten wie viele andere Reformer zunächst zu den treuen Anhängern | |
Ajatollah Chomeinis. Sie waren sogar Mitglied der Revolutionsgarden, die | |
unter anderem die Liquidierung der Opposition zum Ziel hatte. Wie kam es zu | |
dem Gesinnungswandel? | |
Sie wissen, dass in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Iran, wie überall | |
in den Entwicklungsländern, linke Theorien dominiert haben. Selbst | |
islamische Oppositionsströmungen blieben davon nicht unberührt. Mein Idol | |
war damals Ali Schariati, der die Idee vom revolutionären Islam einführte | |
und damit auch geistig die islamische Revolution vorbereitete. | |
Als die Revolution siegte, war ich neunzehn Jahre alt. Ich war davon | |
überzeugt, dass diese Revolution uns das ersehnte Paradies, vor allem eine | |
gerechte Gesellschaft, bringen würde. Doch diese Hoffnungen wurden schon | |
nach wenigen Tagen und Wochen gedämpft. Das Volk spaltete sich. Zufällig | |
bekam ich damals zwei Bücher von Hannah Arendt über Macht und Gewalt und | |
totalitäre Herrschaft in die Hand und stellte fest, wie sich genau der | |
Prozess, den sie beschrieb, in unserem Land Schritt für Schritt vollzog. | |
Ich merkte, dass eine gewaltsame Revolution zwangsläufig wieder in Gewalt | |
mündet. Zum Beispiel beobachtete ich als Mitglied der Revolutionsgarden, | |
die eigentlich eine Art Volksmiliz zur Verteidigung der Landesgrenzen sein | |
sollten, wie sich die militärische Führung zunehmend in die Politik | |
einmischte. Heute sind die Garden die Macht Nummer eins im Iran, nicht nur | |
militärisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich. | |
Sie haben während Ihrer Haft zwei Manifeste verfasst, in denen Sie radikale | |
Forderungen, bis hin zur Trennung von Staat und Religion, formulierten. Ihr | |
Widerstand im Gefängnis, bei dem Sie bis an den Rand des Todes gegangen | |
sind, hat Sie international berühmt gemacht. Was war der Grund für diesen | |
harten Widerstand? | |
Ich sollte meine Ansichten widerrufen, anderenfalls würde ich nie mehr | |
freigelassen werden, wurde mir gedroht. | |
Wurden Sie gefoltert? | |
Nein, wenn man Faustschläge und Tritte nicht zur Folter zählt. Aber ich war | |
krank. Die sechs Jahre, die ich zum Teil in einer Einzelzelle isoliert | |
verbrachte, hatten meine Gesundheit stark beeinträchtigt. Aber sie wollten | |
mich nicht freilassen. So wehrte ich mich mit einem unbefristeten | |
Hungerstreik. | |
Der hat 75 Tage gedauert. Wie haben Sie das ausgehalten? | |
Ich fiel oft in Ohnmacht. Nur Infusionen hielten mich am Leben. Das Regime | |
konnte meinen Tod nicht riskieren. Denn vor allem ausländische Medien | |
berichteten fast täglich über den dramatischen Fall, und die Nachrichten | |
drangen von außen nach Iran. | |
Sie wussten, dass Ihr Protest keine Änderung der politischen Verhältnisse | |
bringen konnte. Wollten Sie als Held gefeiert werden oder war das ein Hang | |
zum Märtyrertum, der in unserer Kultur eine wichtige Rolle spielt? | |
Nein, ich wollte kein Held werden. Ich wollte meine Würde verteidigen. | |
Wie soll sich der Westen gegenüber der heutigen Protestbewegung verhalten? | |
Der Westen sollte sich nicht einmischen. Man kann Demokratie und | |
Menschenrechte nicht von außen einführen. Das ist die Aufgabe des | |
iranischen Volkes. Schauen Sie, was solche Versuche im Irak und in | |
Afghanistan angerichtet haben, obwohl ich nicht glaube, dass das | |
eigentliche Ziel der USA die Demokratisierung dieser Länder war. Im Iran | |
konzentriert sich das Interesse westlicher Regierungen zurzeit ohnehin auf | |
den Atomkonflikt und die Rolle des Landes in der Region. Wird in diesen | |
Fragen Einigung erzielt, werden Menschenrechte und Demokratie keine Rolle | |
mehr spielen. Libyen ist dafür ein gutes Beispiel. | |
Im Moment sieht es ja nicht nach Einigung aus. Der Westen droht mit | |
Sanktionen, die USA schließen sogar einen militärischen Eingriff nicht aus. | |
Was halten Sie von diesen Drohungen? | |
Ich lehne beides absolut ab. Ein möglicher Krieg würde nicht nur Iran, | |
sondern die ganze Region in ein Flammenmeer verwandeln und den Frieden in | |
der ganzen Welt gefährden. Und mit Sanktionen bestraft man das iranische | |
Volk und stärkt das Regime. Sanktionen haben nie zum Erfolg geführt. | |
Welche Lösung empfehlen Sie? | |
Solange der Westen mit zweierlei Maß misst, wird es kaum eine Lösung geben. | |
Wieso, frage ich mich, darf Israel so viel Atombomben bauen, wie es will? | |
Auch Indien und Pakistan dürfen ihr Atomarsenal ausbauen. Aber schon der | |
Verdacht, der Irak könnte an der Bombe arbeiten, der sich zudem als Lüge | |
erwiesen hat, war Grund genug, das Land in Schutt und Asche zu legen. Ich | |
bin absolut gegen die atomare Bewaffnung Irans, aber wenn man gegen | |
Atombomben ist, muss man eine atomwaffenfreie Zone in der ganzen Region | |
fordern und nicht nur für bestimmte Länder. Das gilt auch für | |
Menschenrechte. Wenn deren Einhaltung zu Recht vom Iran verlangt wird, muss | |
dieselbe Forderung auch für Länder wie Saudi-Arabien, Turkmenistan, | |
Georgien oder auch Israel gelten. Die Doppelmoral macht den Westen | |
unglaubwürdig und liefert dem Regime in Teheran die besten Argumente, sich | |
als Unschuldslamm darzustellen. Aber auch eine demokratische unabhängige | |
Regierung im Iran würde ein solches Verhalten nicht akzeptieren. Indem der | |
Westen den nationalen Stolz der Iraner verletzt, spaltet er die | |
Zivilgesellschaft und stabilisiert das Regime. | |
30 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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