Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 1000 Tote pro Tag: Aids frisst Südafrika
> Mehr als fünf Millionen Menschen in Südafrika sind mit HIV infiziert. Nur
> knapp die Hälfte erhält überhaupt Medikamente. Die Finanzkrise verschärft
> die Not weiter.
Bild: "Stop Aids and keep the promise"
"Ich kann niemanden leiden sehen", sagt Sello Mokhalipi. Der 31-jährige
Südafrikaner trägt seit 14 Jahren das tödliche HI-Virus in sich. Letztes
Jahr verlor er seine Lebensgefährtin durch Aids. Er kennt die Isolation,
das Stigma der Krankheit, die Sorgen der Menschen in Bloemfontein, der
Hauptstadt der Provinz Oranje-Freistaat im Herzen Südafrikas. Er ist auch
ein Sprecher der südafrikanischen "HIV-Aids-Koalition", die mehr Hilfe für
Betroffene fordert.
Mit 5,7 Millionen HIV-Infizierten und rund 1.000 Aidstoten pro Tag erleidet
Südafrika die weltweit schlimmste Aidsepidemie. Die medizinische Versorgung
im Oranje-Freistaat ist katastrophal. Statt lebensverlängernder
Aidsmedikamente erhalten Kranke lediglich einen Eintrag auf einer
Warteliste. Und die ist lang.
Medizin ist nicht mehr auf Lager, und bei der Provinzregierung gibt es
unzumutbare Verzögerungen. Sello arbeitet mit der Poliklinik "Pelonomi"
zusammen. Dort ist nur noch einer der drei Ärzte im Einsatz, und auf ihn
warten häufig 200 Patienten. "Viele gehen ohne Behandlung nach Hause", sagt
Sello.
Die Hilfe kam zu spät
Kürzlich starb ein Patient auf dem Autorücksitz seiner Kollegin auf dem Weg
ins Krankenhaus. "Meine Hilfe kam zu spät; er hatte mehrere Monate auf
Anti-Aids-Medikamente gewartet", sagt Trudie Harrison, Direktorin der
Mosamaria-Aids-Hilfsstelle der anglikanischen Kirche, die sich mit 21
Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und anderen Kirchengruppen
der HIV/Aids-Koalition angeschlossen hat.
Harrisons Vertrauen in die Fähigkeiten der Provinzregierung ist gering.
"Ich glaube, es wird eher schlechter, als dass es besser wird, es sei denn,
der Gesundheitsminister schreitet persönlich massiv ein."
Genau das hat Aaron Motsoaledi versprochen, Südafrikas neuer
Gesundheitsminister in der seit April bestehenden Regierung von Präsident
Jacob Zuma. Überhöhte Ausgaben der Provinzregierung hatten im November
vergangenen Jahres sogar zu einem Behandlungsstopp bis Februar 2010
geführt, und laut Schätzungen der südafrikanischen HIV Clinicans Society
starben 30 Menschen pro Tag. Aber noch hält die Notlage an. Nicht nur im
Freistaat. Motsoaledi: "In elf Jahren - von 1997 bis 2008 - hat sich die
Todesrate in Südafrika verdoppelt.
Die weltweite Finanzkrise spitzt die Situation zu: Internationale
Hilfsorganisationen kürzen ihre Budgets für HIV-Aidsprojekte, so manches
inländische Unternehmen strafft seine Ausgaben für firmeneigene
HIV/Aids-Programme.
Auch De Beers, der weltweit größte Diamantenproduzent aus Südafrika, plant,
Aufklärungs- und Informationsprogramme zu reduzieren. "Wir waren in diesem
Bereich in den letzten fünfzehn Jahren sehr aktiv", sagt Joy Beckett,
Manager für Gesundheitsdienstleistungen bei De Beers. "Manche Kampagnen
waren sehr erfolgreich, andere weniger, und die Auswirkungen sind nicht
direkt bewiesen."
Aber Behandlungprogramme werden weitergeführt. So holt De Beers seit vier
Jahren Ärzte aus Europa nach Südafrika, die in ländlichen Kliniken
arbeiten. De-Beers-Angestellte und ihre Lebenspartner erhalten
Aidsmedikamente, auch in den Gemeinden werden Hilfsprojekte weiter
unterhalten. Aber: Am Arbeitsplatz werden im nächsten Jahr rund 4 Millionen
Rand weniger in den Kampf gegen Aids investiert. In den vergangenen drei
Jahren gab De Beers zusammen 10 Millionen Rand dort aus und weitere 10
Millionen in den Gemeinden.
Auch Südafrikas prominente Lobbygruppe Treatment Action Campaign (TAC)
musste die Hälfte ihrer 13 Büros in allen Landesprovinzen schließen, ihr
Haushalt schrumpft 2010 von 54 auf 26 Millionen Rand. "Wir arbeiten mit 22
Geldgebern im Ausland, darunter hauptsächlich Großbritannien und
Skandinavien, und die Mittel sind für 2010 um die Hälfte reduziert worden",
sagt Phillip Mokoena, Provinzmanager bei TAC.
Allerdings spielt da nicht nur die Rezession eine Rolle. Internationale
Hilfsorganisationen setzen andere Prioritäten und wollen beispielsweise
weit verbreitete Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria stärker in ihre
Arbeit einbeziehen. "Mehr Verpflichtung gegenüber anderen
Gesundheitsrisiken muss sein, aber dass sollte zusätzlich passieren, nicht
an Stelle der kontinuierlichen Arbeit in HIV/Aids-Projekten", sagt Tido von
Schoen-Angerer, Leiter der Medikamentenkampagne von MSF. "Der Globale Fonds
kann nicht das Defizit decken, das seine Geldgeber verursacht haben. Die
vorgeschlagene Streichung macht die Erfolge zunichte." Für 2010 stehen 35
Prozent weniger Gelder für HIV-Prävention zur Verfügung als im Vorjahr.
Der Privatsektor ist gefragt
Südafrika wird sein Ziel nicht erreichen, 80 Prozent der HIV/Aids-Kranken
bis 2011 zu versorgen. "Zurzeit erhalten 700.000 Menschen Medikamente,
leider sind das nur 50 Prozent derjenigen, die sie brauchen", erklärte
Minister Motsoaledi.
Laut Mark Heywood, stellvertretender Vorsitzender des nationalen Aidsrates
und Direktor des Aids Law Project in Johannesburg, holt Südafrika zwar
jetzt das nach, was unter Expräsident Thabo Mbekis Regierung versäumt
wurde. So besitzt Südafrika heute den weltweit umfassendsten
Aidsbehandlungsplan. Der Fünfjahresplan wurde 2007 verabschiedet, ist aber
nach Angaben des Gesundheitsministeriums mit rund einer Milliarde Rand
unterfinanziert. Nicht nur dem Freistaat geht das Geld aus, andere
Provinzen könnten in den nächsten Monaten folgen.
Allerdings ist in der neuen Regierung Südafrikas ein politischer Wille zu
spüren, das Problem zügiger anzugehen. Ein neuer Aktions- und Kostenplan
wird diskutiert. Der Privatsektor ist stärker als bisher gefragt,
Partnerschaften zu bilden. "Aber die Regierung muss erst ihre eigene
Wirtschaft in Ordnung bringen, dann vertrauen die Firmen in mehr gemeinsame
Investitionen. Die Krise hat auch etwas Gutes", meint TAC-Sprecher Mokoena.
"Die Schwächen werden deutlicher."
1 Dec 2009
## AUTOREN
Martina Schwikowski
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.