# taz.de -- Nachhaltige Schule: Die Generation Visionen erwächst | |
> Eine Schüler-NGO pflanzt Millionen Bäume. Dabei ist ein Elfjähriger der | |
> Organisator. Wichtigster Mitstreiter ist eine visionäre Schule in Berlin | |
> mit unkonventionellen Lernansätzen. | |
Bild: Felix Finkbeiner ist erst elf Jahre alt und hat mit "plant for the planet… | |
HAMBURG/BERLIN taz | Peter Maffay lächelt nur beseelt auf der Bühne. Und | |
der Moderator des ZDF hat die Gala schon für beendet erklärt. Da fast sich | |
die kleine Hannah ein Herz und nimmt in der Aula der Hamburger Industrie- | |
und Handelskammer noch mal das Mikro. Vor etwa 300 Gästen. | |
"Herr Bürgermeister", sagte die Zehnjährige, "sie verleihen hier schöne | |
Preise, aber davon allein geht es dem Klima nicht besser. Wenn Sie etwas | |
für den Klimaschutz tun wollen, dann stoppen Sie den Bau des | |
Kohlekraftwerks Moorburg in ihrer Stadt." | |
In der Handelskammer des Hansestadt werden gerade die B.A.U.M.-Preise | |
vergeben, die Trophäen des Bundesdeutschen Arbeitskreise für | |
Umweltbewusstes Management, kurz B.A.U.M. Und das feine Publikum mit | |
Goldknöpfen und ulkigen Hüten ist so vom Hauptpreisträger begeistert, dass | |
sie gegen den eigenen Bürgermeister klatschen - auf dass er Moorburg | |
abschalte. | |
Der Toppreisträger der umweltbewussten Manager ist elf Jahre alt. Er heißt | |
Felix Finkbeiner und ist buchstäblich dabei, die Welt zu verändern. Bei | |
einem Schulreferat über Wangari Maathai, die Friedensnobelpreisträgerin, | |
hatte er eine verrückte Idee. So wie Maathai das größte Aufforstungsprojekt | |
Afrikas ins Leben rief, dachte sich Felix: Ich will auch Bäume pflanzen! | |
Aus dieser Idee hat Felix (zusammen mit der Global Marshall Plan | |
Foundation) eine echte Schüler-NGO gemacht, die Bewegung "plant for the | |
planet". In 56 Staaten pflanzen Kinder Bäume. In jedem Land wollen sie eine | |
Million Bäume setzen. | |
Wie kann ein Elfjähriger Millionen Bäume pflanzen und nun sogar Druck auf | |
den Klimagipfel in Kopenhagen ausüben? Ganz einfach, Felix ist nicht | |
allein. Nicht auf der Bühne in Hamburg, wo 20 Kinder in "plant for the | |
planet"-Shirts Sätze wie diesen sagen: "Wir Kinder wollen nicht als die | |
Generation in die Geschichtsbücher eingehen, die alle Küstenstädte unter | |
Wasser gesetzt hat, sondern als die, die die größte Herausforderung der | |
Menschheit gelöst hat." | |
Die Schüler kommen von der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, einer | |
Schule, die auf eine NGO wie die von Felix Finkbeiner gewartet hat. Denn | |
auch diese Schule will den Planeten retten. Was ihre Schüler beim | |
Bäumepflanzen oder einer Preisverleihung in Hamburg erleben, ist das, was | |
ihre Rektorin Margret Rasfeld "Lernen am Leben" nennt. "Wir brauchen heute | |
kein künstliches Lernen mehr, dafür sind die Probleme zu groß, die unser | |
Planet hat. Deswegen versuchen wir Lernen mit Ernstcharakter zu | |
praktizieren. Schluss mit dem Als-ob-Lernen." | |
Zunächst ist die drei alte Jahre Schule in Berlin eine innovative Schule. | |
Anders als die Stifter des [1][Lehrerpreises] hat sie einen Begriff von | |
innovativem Lernen. Er heißt: individuelles, selbständiges Lernen. | |
Um das zu erreichen, hat die Schule ihren Stundenplan umkrempelt. Es gibt | |
hier keinen Fachunterricht mehr, der im 45-Minuten-Takt abläuft, sondern | |
verschiedene Lernformate. Sie sind fast immer mehrstündig. Das Lernen teilt | |
sich in verschiedene Phasen. Sie unterscheiden sich nicht nach Mathe oder | |
Deutsch, sondern danach, wie selbständig der Schüler arbeiten kann - und | |
der Frage, ob im Team gearbeitet wird oder allein. | |
Der Tag beginnt zum Beispiel mit dem "Lernbüro". Dort stehen die | |
Hauptfächer Deutsch, Mathe, Englisch oder "Natur und Gesellschaft" auf dem | |
Programm. Die SchülerInnen können selbst wählen, wann sie in welches Fach | |
gehen - und wann sie ihre Bausteine bearbeiten und von den Lehrern abfragen | |
lassen. | |
Es gibt auch noch die Werkstatt, wo jeder Schüler insgesamt vier Stunden | |
pro Woche Zeit hat, seinem eigenem Interesse und seinen Neigungen | |
nachzugehen. Es gibt auch noch Projektlernen, die Klassenstunde, den | |
Klassenrat - und Tutorengespräche mit Beratungslehrern. | |
Die entscheidende Innovation der Evangelischen Schule liegt aber gar nicht | |
darin, dass in Berlins Zentrum ein neues Lernen praktiziert wird. Margret | |
Rasfeld geht es nicht um pädagogische Kniffe, sondern um Ziele: Wozu lernen | |
wir? Wozu sind wir überhaupt da? Was sind die Herausforderungen der | |
Zukunft? | |
"Die Kinder und die Jugendlichen sind doch diejenigen, die sich über so | |
etwas noch am meisten Gedanken machen", sagt Margret Rasfeld. "Warum | |
sollten wir sie daran hindern, indem wir sie in einen Lehrplan einsperren | |
und ihnen von außen die Lernaufgaben des vergangenen Jahrhunderts stellen." | |
Rasfeld begreift eine Schule tatsächlich als ein Labor, in dem junge | |
neugierige Menschen die Fragen nach der Zukunft des Planeten stellen. | |
Einer der Inhalte, die regulär im Stundenplan auftauchen, ist die Agenda | |
21, die Tagesordnung für das 21. Jahrhundert. Margret Rasfeld legt ein | |
Dokument auf den Tisch, das niemand anderes als der Deutsche Bundestag | |
beschlossen hat. Darin steht, "dass die Menschheit an einem entscheidenden | |
Punkt ihrer Geschichte steht". Für Rasfeld ist das keine Lyrik. "Wir können | |
gute Schule nicht nur mit ausgefeilter Didaktik machen. Die Kinder brauchen | |
Ziele, Visionen, Utopien." Dann holt sie noch mal die Agenda 21 heraus. "Es | |
ist zwingend erforderlich, dass Jugendliche aus allen Teilen der Welt auf | |
allen für sie relevanten Ebenen aktiv an den Entscheidungsprozessen | |
beteiligt werden", steht da. Rasfeld legt das Dokument zur Seite. Dann sagt | |
sie: "Wie kann es sein, dass der Bundestag so etwas beschließt und sich | |
Initiativen, Behörden Unternehmen dieses Ziel teilen - und 99 Prozent aller | |
deutschen Schulen tun es nicht?" | |
"Der Bundestag beschließt die Agenda 21 - und 99 Prozent der deutschen | |
Schulen interessiert das nicht!" MARGRET RASFELD | |
2 Dec 2009 | |
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## AUTOREN | |
Christian Füller | |
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