# taz.de -- Streit um "Thüringer Allgemeine": Der WAZ-Konzern putscht | |
> Erfolg war zuwenig: Nach beinahe 20 Jahren schasst die Essener WAZ-Gruppe | |
> den gewählten Chef der ersten ostdeutschen Reformzeitung. | |
Bild: Mitarbeiter der Tageszeitung "Thüringer Allgemeine". | |
Er wird nochmal in die Redaktion kommen. Am Samstag, wenn dort niemand | |
arbeitet, wenn man ihn nicht sieht: Sergej Lochthofen, dem Chefredakteur | |
der Thüringer Allgemeinen (TA), blieb am Dienstagabend zu wenig Zeit, sein | |
Büro zu räumen. | |
Dass ihm, einem der erfolgreichsten und bundesweit bekannten | |
Redaktionsleiter einer Regionalzeitung - noch dazu einer aus den neuen | |
Ländern - eine solche Woche bevorstehen würde, hatte er wohl kaum geahnt, | |
als er am vergangenen Donnerstag zum Gespräch mit der Geschäftsführung | |
gebeten wurde. Doch dort, erzählen TA-Mitarbeiter, wurde ihm eröffnet, man | |
danke für seine "exzellente Arbeit", ganz ausdrücklich. Aber nun müsse | |
Schluss sein: Zum Jahresende solle Lochthofen seinen Platz räumen und | |
Paul-Josef Raue, Chefredakteur der wie die TA zum WAZ-Konzern gehörenen | |
Braunschweiger Zeitung übernehmen. Ein Schock ging durch die Redaktion, | |
durch Erfurt, durch ganz Thüringen. | |
Die Reaktion kann man seit diesem Dienstag auf den Redaktionsfluren | |
besichtigen: Aus den schwarzen Brettern auf der Etage sind wieder | |
"Wandzeitungen" wie zu Wendezeiten geworden. Hier hängen die E-Mails, | |
Briefe, Faxe der LeserInnen. Hunderte, Tausende innerhalb weniger Tage, | |
trotz des Wochenendes. "Dass sich eine Zeitung leisten kann, einen derart | |
profilierten Chefredakteur abzulösen, zeigt, dass dem Leitungsgremium wenig | |
an den Wünschen der Leser gelegen ist", schreibt Altbischof Werner Leich, | |
1978 bis 1992 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in | |
Thüringen. "Wirtschaftliche Entscheidungen sollten stets auch vor dem | |
Hintergrund von Ethik und Moral getroffen werden", mahnt der Chef der | |
Industrie- und Handelskammer Erfurt. Ihn verbindet mit Lochthofen eine ganz | |
persönliche Erfahrung: Wie der bis heute amtierende IHK-Chef Niels Lund | |
Chrestensen ist auch Sergej Lochthofen in freien und geheimen Wahlen | |
gewählt. | |
Da war die Thüringer Allgemeine gerade mal eine Woche alt: Am 13. Januar | |
1990 hatten RedakteurInnen und Druckereimitarbeiter geputscht - für | |
Unabhängigkeit und freien Journalismus. Trotz Drohungen aus Partei und | |
Stasi: Aus dem SED-Parteiorgan Das Volk wurde die Thüringer Allgemeine, und | |
am 20. Januar wählten die MitarbeiterInnen den damals 36-jährige | |
Auslandsredakteur Lochthofen zum Chefredakteur des Blattes und seine Frau | |
Antje-Maria zur Stellvertreterin. Wer immer die besondere Stimmung bei den | |
alten, aber auch bei vielen jüngeren RedakteurInnen im Erfurter Verlagshaus | |
verstehen will, kommt um diese Anfangszeit nicht herum. | |
Den Triumph, gemeinsam den 20. Jahrestag ihrer Revolution zu feiern, mochte | |
die Essener WAZ-Gruppe dem Blatt und vor allem seiner Chefredaktion nun | |
nicht mehr gönnen: "So sehr wir die unterschiedlichen Motive verstehen, die | |
viele Redaktionsmitglieder veranlasst hat, sich hinter Herrn Lochthofen zu | |
versammlen, so sehr sind wir davon überzeugt, dass die erfolgreiche | |
Geschichte dieser Thrünger Allgemeinen nicht allein und ausschließlich das | |
Werk einzelner Personen ist - so angesehen sie auch immer sein mögen", | |
schreiben die Geschäftsführer Klaus Schrotthofer und Martin Jaschke an | |
diesem Dienstag an die "lieben Kollegen" in Verlag und Redaktion. Der | |
WAZ-Konzern war im Frühjahr 1990 zunächst mit der Hälfte der Anteile bei | |
der TA eingestiegen - die andere Hälfte gehörte den MitarbeiterInnen - und | |
kontrolliert heute über seine Zeitungsgruppe Thüringen (ZGT) neben der TA | |
auch die Thüringische Landeszeitung (Weimar) und die Ostthüringer Zeitung | |
aus Gera. | |
Dass Lochthofen überhaupt gehen muss, liegt - etwas anders als im Fall | |
Brender beim ZDF - weniger an der Politik, als an der aus dem Westen | |
vorgegebenen neuen Konzernstrategie: Wie bei den WAZ-Titeln im Ruhrgebiet | |
soll nun auch in Thüringen mit Strukturveränderungen auf die Medienkrise | |
reagiert werden. In NRW fällt dabei jede dritte Stelle in den Redaktionen | |
weg, doch die Thüringer Titel werden schon immer viel kostengünstiger | |
gemacht. Über Jahre hat der Konzern hier gutes Geld verdient. Und | |
Lochthofen gilt als Gegner der Zentralisierungsbestrebungen, habe sich | |
gegen ein geplantes zentrales Newsdesk für die 14 TA-Lokalausgaben gewandt | |
und war auch gegen die vom Konzern durchgedrückte Abbestellung der | |
Nachrichtenagentur dpa. Mit ihm sei das nicht zu machen, sei das klare | |
Signal nach Essen gewesen, sagen TA-Mitarbeiter. Dafür habe Lochthofen seit | |
zwei Jahren ein ums andere Mal eigene Vorschläge an Konzernboss Bodo | |
Hombach geschickt. Anstelle einer inhaltlichen Reaktion folgt jetzt die | |
knallharte personelle Antwort. | |
Auch wenn Wut und Verzweiflung tief sitzen: Gearbeitet wird am Dienstag | |
trotzdem, "eine gute Zeitung bis zum letzten Tag zu machen" habe Lochthofen | |
als Ziel ausgegeben, sagen seine Kollegen. Er selbst erscheint zur zweiten | |
Konferenz am Nachmittag, seine Frau ist schon den ganzen Tag da. Und wohl | |
niemand rechnet damit, dass die Konzernmächtigen aus Essen die Situation am | |
gleichen Tag noch einmal zuspitzen. | |
Doch um kurz nach 21 Uhr geht per E-mail eine Erklärung der | |
Geschäftsführung an die Belegschaft: Der angekündigte Wechsel an der Spitze | |
werde sofort vollzogen: "Unsere Entscheidung gründet auf der Einsicht, dass | |
die Redaktionsarbeit in der jetztigen Situation erheblich beeinträchtigt | |
wird", schreiben Jaschke und Schrotthofer. Lochthofen muss gehen, er ist | |
"von seiner Tätigkeit als Chefredakteur der TA freigestellt". Zur | |
Begründung hält seine in vielen Medien dokumentierte Reaktion her, dass | |
nach den ursprünglichen Plänen des Verlags seine Frau Antje-Maria ebenfalls | |
zum Jahresende ihren Posten räumen sollte. Noch in ihrer Montagsausgabe | |
berichtete die TA in eigener Sache über die "Abberufung von Chefredakteur | |
Sergej Lochthofen und seiner Stellvertreterin Antje-Marie Lochthofen". | |
Lochthofen hatte dies als "Sippenhaft" bezeichnet. Daraus wird ihm nun der | |
Strick gedreht: "Wir möchten Ihnen nicht verschweigen, dass die Art und | |
Weise, wie sich Herr Lochthofen in den letzten Tagen zu unserem Bedauern | |
öffentlich geäußert hat, uns zusätzlich zu diesem Schritt veranlasst hat", | |
schreibt die Geschäftsführung, die "in ihrer offenbar beabsichtigten | |
Wirkung außerordentlich verlagsschädigenden Vergleiche mit der | |
nationalsozialistischen oder stalinistischen Gewaltherrschaft" weise man | |
"in aller Form zurück". | |
Lochthofen, dessen deutscher Vater und Großvater unter Stalin im Gulag | |
saßen, dessen Verwandte aus dem russischen Teil seiner Familie von den | |
NS-Truppen misshandelt und als Zwangsarbeiter in Deutschland ermordert | |
wurden, trifft diese Wendung hart: "Ich habe sicherlich nicht sehr klug | |
gehandelt. Aber ich habe mich spontan vor meine Frau gestellt, die ohne | |
jede Begründung gehen sollte, weil sie meinen Namen trägt - und das gehört | |
sich auch nicht anders". | |
Nun soll immerhin mit "Frau Lochthofen über ihre weiteren Perspektiven in | |
der TA" gesprochen werden, schreibt der Verlag. Gestern war sie schon | |
dabei, als sich Paul-Josef Raue der Redaktion vorstellte. Von einer "hohlen | |
Charmeoffensive" des neuen Chefs war hinterher auf den Redaktionsfluren die | |
Rede. | |
Sehen wird man Sergej Lochthofen in der TA-Redaktion trotzdem weiterhin. Er | |
wäre "in einem anderen Leben ein guter bildender Künstler geworden", hat | |
Feuilleton-Chef Sigurd Schwager seinem Chefredakteur, der auf der Krim | |
Kunst studiert hat, bescheinigt. Es reicht ein kurzer Blick auf die Bilder | |
und Skulpturen im Büro seiner Frau Antje-Maria im zweiten Stock der | |
TA-Redaktion, um zu sehen, wie recht Schwager hat. Wenn sie nun bleibt, | |
werden auch die Bilder bleiben. | |
2 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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