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# taz.de -- Wölfe in Deutschland: Der unheimliche Nachbar
> Der Wolf ist zurück. Die Population des Tieres nimmt in Deutschland zu
> und statt Furcht kann der Wolf Nutzen nach Deutschland bringen: die
> Wildschweine eindämmen.
Bild: Nein, der Wolf ernährt sich nicht ausschließlich von Großmüttern und …
Bei aller Toleranz, ein bisschen unheimlich sind uns die neuen Zugezogenen
schon. Für die meisten sind sie ja auch weit weg. Irgendwo im Osten von
Sachsen und Brandenburg soll es sie geben. Wirklich gesehen oder gehört
haben wir sie noch nicht. Nur der Freund eines Freundes will jemanden
kennen, der mal einen beim Abendbrot beobachtet hat.
Gerüchte haben wir aber alle schon gehört, Schauergeschichten hat uns schon
Oma am Bett erzählt und damit für Albträume gesorgt. Diese Einwanderer aus
dem Osten würden Großmütter überfallen und kleinen Mädchen auflauern. Oder
die Lebensgrundlage notleidender Ziegenzüchter vernichten.
Da sind uns doch die alten Nachbarn lieber, die die nur mal gucken, im Müll
wühlen oder auf der Suche nach etwas Essbaren den halben Vorgarten
umgraben. Auch harmlosen Vandalismus wie die mutwillige Sabotage von
Kraftfahrzeugen können wir vertragen. Obwohl Marder, Fuchs und Wildschwein
damit natürlich schlechte Vorbilder sind für Zuwanderer wie Waschbär und
Mink, lässt man ihnen doch viel durchgehen.
Aber beim Wolf, dem Neuen, ist das ganz was anderes. Engagierte Mitarbeiter
des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) wie Wolfsexperte Markus Bathen
werden nicht müde zu betonen, dass die Zuwanderer aus Polen eigentlich
nichts Böses im Sinn haben. Man müsse ihnen Raum geben, ihnen mit Respekt
begegnen und ihre Andersartigkeit akzeptieren, dann ließen sie sich auch
integrieren. Angst vor einem Clash of Civilisations müsse man nicht haben.
Zwar breitet sich die deutsche Wolfspopulation immer mehr aus und umfasst
inzwischen fünf Rudel mit zusammen bis zu 50 Tieren und einige
Einzelgänger, jedoch würden sie uns nicht ihre Lebensweise aufdrängen
wollen. Außerdem gibt es mit den vielen Haushunden ja schon hervorragend
integrierte Artgenossen. Und überhaupt, das ständige Verstecken sei kein
Zeichen konspirativer Umtriebe, sondern schlicht Schüchternheit und ein
wenig Angst.
Dass die auch berechtigt ist, zeigt ein Blick in die Geschichte: "Der Wolf
wurde mit Feuer und Schwert bekämpft. In Deutschland stand er in etwa auf
derselben Stufe wie die Ratte, und es galt ihn auszurotten", erklärt der
Wildbiologe Sven Herzog, Dozent an der TU Dresden. Diese konsequente
Bekämpfung habe dann auch dazu geführt, dass sich zwischen 1904 und 1999
kein einziger Wolf mehr nach Deutschland getraut hat - zumindest hat in
dieser Zeit niemand einen gesehen.
Wegen der belasteten Vorgeschichte ist eine Annäherung schwierig. Die
menschliche und nichtmenschliche Bevölkerung Deutschlands hat sich hier
ohne den Wolf eingerichtet. Was wir über ihn wissen, haben wir von den
Brüdern Grimm und anderen Propagandisten der Vertreibung.
Auch der Nabu-Wolfsexperte Markus Bathen sieht hier die größten Probleme.
"Die Leute sind das enge Zusammenleben mit dem Wolf nicht gewohnt. Wenn er
irgendwo neu auftaucht, stehen da noch keine Zäune um die Schafherden, in
dem Moment entstehen auch die Schäden." In Gegenden, in denen es schon
länger Wölfe gibt, gebe es allerdings kaum noch Konflikte mit Schaf- und
anderen Tierzüchtern.
"Den Wolf zu tolerieren ist eigentlich kein Problem mehr", versucht Sven
Herzog die Diskrepanz zwischen der Angst vor dem Wolf und der tatsächlichen
Gefährdung zu überbrücken. Denn anders als im Mittelalter bedeutet der
Verlust eines Schafs heute nicht mehr den Verlust der gesamten Existenz für
den Besitzer. Der Schäfer kann sich heute besser anpassen: Er kann Zäune
bauen oder Herdenschutzhunde anschaffen. Sozusagen als domestizierte
Vermittler zwischen Mensch und Wolf.
Diese Tricks funktionieren aber nur bei Viehzüchtern, die es gewohnt sind,
ihren Nutztieren den Lebensraum und ihr soziales Umfeld vorzuschreiben.
Schwieriger ist die Anpassung für die Jäger. Als Zunft sei sie von jeher
darauf angewiesen, dass sich möglichst dummes Wild bereitwillig vor die
Flinte oder Büchse stellt.
Das ist vor allem wichtig, wenn man die Familie termingerecht mit einem
Festtagsbraten versorgen will, aber sonst eigentlich nie draußen ist.
Selbst Tierarten, die sich nicht so bereitwillig vom Wolf fressen lassen
wie das vom Menschen angesiedelte Mufflon, werden vorsichtiger und damit
schwieriger zu erlegen. Schließlich jagt der neue Nachbar nicht nur am
Wochenende.
"Den einzelnen Jäger kann die dauerhafte Anwesenheit eines Wolfsrudels in
seinem Jagdrevier wirklich schädigen, aber meist reicht es aus, sich an die
neuen Feindvermeidungsstrategien der Beutetiere anzupassen", erklärt Markus
Bathen und stützt sich auf die regionalen Abschusszahlen der Jäger, wenn er
sagt, dass der Wolf keine einheimische Wildart in ihrem Bestand gefährdet:
"Wenn man die Zahlen mit wolffreien Gebieten vergleicht, zeigen sich nur
Schwankungen, wie sie auch überall sonst auftreten."
Sven Herzog widerspricht dem allerdings vorsichtig: "Welche Auswirkungen
der Wolf auf Reh- oder Rotwildpopulationen haben wird, lässt sich noch
nicht sagen. Dafür gibt es auch momentan kein wirksames
Monitoringverfahren." Allgemein erlegen Wölfe vor allem geschwächte Tiere
und tragen so zu einer gesunden Populationsentwicklung der Beutetiere bei.
Entgegen der landläufigen Meinung besteht die Nahrung des Wolfs nicht nur
aus Ziegen und alten Frauen. Wie sich auf [1][www.wolfsregion-lausitz.de]
nachlesen lässt, frisst der Räuber vor allem Rehe, Hirsche, Wildschweine
und Hasen. Diese Tierarten machen fast 98 Prozent seiner Beute aus. Mehr
als die Hälfte der Wolfdiät besteht aus Rehfleisch. 0,6 Prozent des
Speiseplans sind dagegen Haustiere und ein weiteres Promille Früchte. Damit
unterscheiden sich laut Sven Herzog die hiesigen Wölfe von vergleichbaren
Populationen in Osteuropa, wo Wildschweine bis zu 60 Prozent des
Nahrungsbedarfs decken würden.
Diese Daten zu erheben ist eine sehr intime Angelegenheit. Denn als Hinweis
dient fast nur der Kot der Tiere. Viel näher kommt man ihnen auch meist
nicht. Selbst Markus Bathen muss sich seit sieben Jahren mit
Hinterlassenschaften und Pfotenabdrücken begnügen, seit er das letzte Mal
einen Wolf gesehen hat.
Aus der Sicht von Sven Herzog ist die Wiederansiedlung des Wolfs eine
gewaltige Chance für den Artenschutz in Deutschland. Schließlich wurde er
nicht, wie Falken oder Luchse, vom Menschen unterstützt. Die Kehrseite der
Medaille ist eine sehr geringe genetische Variabilität, denn die deutschen
Wölfe stammen komplett von einer kleinen Population in Polen ab. Das macht
sie potenziell anfälliger für Krankheiten oder Umweltveränderungen.
Helfen könnte das gezielte Aussetzen einiger Exemplare, zum Beispiel aus
Zoos oder Wildtiergehegen. Doch dem steht die sehr verhaltene Akzeptanz in
der Bevölkerung gegenüber. Und hier verhärten sich die Fronten. Auf der
einen Seite Schafzüchter, Jäger und andere Betroffene, die den Wolf oft
ablehnen, auf der anderen die Naturschutzverbände, wie der Nabu, der große
Teile der Bevölkerung hinter sich weiß. "Hier wäre ein echter moderierter
Prozess nötig, bei dem die Vorbehalte beider Seiten berücksichtigt werden",
sagt Sven Herzog. Man müsse verstehen, dass Menschen nicht zur Toleranz
neigen, wenn ein Wolf gerade ihren übermütigen Hund getötet hat.
Für Markus Bathen ist klar, dass die Entscheidung für oder gegen den Wolf
eine gesamtgesellschaftliche sein muss. Vielleicht auch, weil die besonders
Betroffenen den Wolf kritischer sehen als der Rest der Gesellschaft. Im
Moment lässt sich nur darüber spekulieren, ob in Zukunft auch der Berliner
oder Stuttgarter betroffen sein wird. Zwar halten sich die Wölfe im Moment
noch fern von Städten, aber es haben sich schon viele Räuber an die guten
Nahrungsbedingungen in der Nähe des Menschen gewöhnt.
"Wenn das Rotwild in der Landschaft schwieriger zu erbeuten ist, folgt der
Wolf vielleicht dem Wildschwein", konstruiert Sven Herzog eine Möglichkeit.
Und das gräbt ja bekanntlich schon so manchen Berliner Vorgarten um.
30 Dec 2009
## LINKS
[1] http://www.wolfsregion-lausitz.de/
## AUTOREN
Klemens Köhler
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