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# taz.de -- Die Säulen von Persepolis: Gespannte Erwartung
> Begegnung mit einer Hochkultur aus vorislamischer Zeit. Eine Reise in
> eine Gesellschaft auf Identitätssuche
Bild: Persepolis: Darius Palast
Die intensive Mittagssonne wirft kurze Schatten. Unter dem hohen Himmel
entfaltet sich die altpersische Kultur in der heutigen Provinz Fars wie ein
Panorama in Pastell. Die "Stadt der Perser", im Jahr 330 von Alexander dem
Großen zerstört, war das Verwaltungszentrum eines Großreichs, das sich vom
Indus-Tal im Osten bis nach Thrakien im Westen erstreckte. Darius I. begann
um 515 v. u. Z. mit dem Bau der Stadt, die nach acht Jahrzehnten
fertiggestellt wurde. Von den längst abgeholzten Hängen des Sargosgebirges,
an denen kein Grün auszumachen ist, über den steinigen Boden mit staubigem,
niedrigem Gestrüpp bis zu den riesigen Steinquadern und Säulen von
Persepolis, den Ruinen der weitläufigen Palastanlage der
Achämeniden-Herrscher, dominiert lichter Ocker bis hin zu hellen oder
bräunlichen Siena-Farbtönen. Am Wegrad blüht einsam eine zart blauviolette
Herbstzeitlose.
Nur wenige Kilometer von Persepolis entfernt bestaunen Touristen Felsbilder
und Grabreliefs. Auf einem Felsbild an der schroffen Bergwand begegnen sich
zwei Reiter hoch zu Ross. Der eine, Ardeschir I., empfängt aus der Hand des
anderen, des Gottes der Zoroastrier, Ahura Mazda, den Ring, der für den
Kreis des Lebens steht und mit den Bändern der Königswürde geschmückt ist.
Unter den Hufen der Pferde liegen die besiegten Feinde: unter dem des
Gottes der Herr des Bösen, Ahriman, unter dem des Königs der letzte
Partherherrscher. Das Grabrelief zeigt ein Bündnis zwischen Gott und
Herrscher und steht mit anderen Worten für das Verhältnis zwischen Religion
und Staat im 3.Jahrhundert. Es ist auch ein passendes Sinnbild für eine
Reise durch den heutigen Iran.
Die Hochkultur vor dem Islam
"Wenn ich iranische Präsidentin wäre, würde ich als Erstes Persepolis
restaurieren", sagt die Studentin Mariam*, die mit Freundinnen hier
spazieren geht. Das Tuch sitzt locker auf ihrem Hinterkopf, zu den engen
schwarzen Jeans trägt sie einen taillierten dunkelvioletten Mantel aus
einem leicht glitzernden Stoff, der ihr bis auf die Mitte der Oberschenkel
reicht und hier "Manteau" genannt wird. Mariam hat bereits einen Bachelor
in Englisch und bereitet sich gerade auf die schwierige Aufnahmeprüfung
eines Zweitstudiums in Physik vor. Dafür muss sie nicht nur
naturwissenschaftliche Fächer büffeln, sondern auch islamische Theologie.
Ein Pflichtfach für alle, das sie schon während ihres ersten Studiums
gelangweilt hat und in dem es ein Abschlusszeugnis gibt, das die
Studierenden als eine "gute Frau" oder einen "guten Mann" ausweist. Bei dem
Gespräch bleibt das Notizbuch der Berichterstatterin in der Tasche, wie
auch bei allen anderen Gesprächen mit Ausnahme derer mit Funktionsträgern.
Persepolis, das ist leicht zu erraten, steht für die junge Frau Mitte
zwanzig, die zurzeit der Revolution von 1979 noch nicht geboren war, für
die Hochkultur ihres Landes in der vorislamischen Zeit. Die islamische
Welt, deren Leitung nach Revolutionsführer Ajatollah Ruollah Chomeini auch
dessen Nachfolger Ali Chamenei beansprucht, ist für sie kein Bezugspunkt.
"Wir sind hier im Iran", sagt sie und fügt hinzu: "Was ist unsere
Identität?" Es ist also nicht nur eine Flucht in die Vergangenheit, die sie
umtreibt, sondern die Suche nach einer Verortung ihres Landes und einer
Selbstdefinition, die sich vom herrschenden Regime absetzt. Mariam ist es
leid: die Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheiten und die politische
Kontrolle an den Universitäten. Sie will weg, "nach Europa, Amerika,
Kanada, Australien - irgendwohin". Die Studentin glaubt nicht an eine
Abkehr vom Islam. Solche Annahmen hält sie für "reines Wunschdenken".
Im heutigen Iran ist es ein kleines privates Zeichen, Persepolis zu
besuchen, vor allem während des vorislamischen Neujahrsfests Nourus, das am
21. März gefeiert wird. Das gilt auch für das Grab des Nationaldichters
Hafes in Schiras. Junge Leute legen zwei Finger an den erhöhten Grabstein
aus farbigem Marmor in einem offenen Pavillon und murmeln leise vor sich
hin, so als beteten sie zu einem Heiligen. Hafes, der im 14. Jahrhundert
lebte, war in der Begriffswelt der islamischen Mystik bewandert. Seine
Gedichte sprechen von der Suche nach Gottesnähe im Genuss, in der Lust und
beim Wein in Zeiten des Alkoholverbots, nehmen aber auch Machthaber oder
Geistliche aufs Korn. "Die Türen der Weinhäuser haben sie geschlossen,
lasst sie bitte nicht die Tür der Heuchelei öffnen", lautet einer seiner
Verse.
Die Mullahs wollten alles Unislamische ausmerzen
Es überrascht nicht, dass die Bücher von Hafes nach der Revolution zunächst
nicht neu aufgelegt werden durften. Doch auf die Dauer war das ebenso wenig
durchzuhalten, wie sich das Ansinnen Chomeinis durchsetzen konnte, das
Nourus-Fest abzuschaffen. Auch sein damaliger Mitstreiter, Ajatollah Sadegh
Chalchali, scheiterte an den Protesten der Schiraser mit seiner Forderung,
die Ruinen von Persepolis sprengen zu lassen.
So wie das Schah-Regime sich auf die altpersischen Könige berief, wollte
das Chomeini-Regime in seinen frühen Tagen am liebsten alles Unislamische
ausmerzen und anstelle von Nourus nur noch den Geburtstag des Propheten
Mohammed feiern. Doch das hatte seinen Preis.
Im heutigen Iran gibt es Menschen - und nicht nur solche mit
Hochschulabschluss -, deren Ablehnung "der Mullahs" so stark ausgeprägt
ist, dass sie nicht mehr unterscheiden wollen, ob ein Geistlicher aufseiten
der Opposition steht oder Anhänger des Regimes ist.
Der Trend, Kinder nicht mehr Mohammed oder Fatima zu nennen, sondern ihnen
altpersische Namen wie Darius oder Wanja zu geben, scheint sich zu
verstärken. Diesen gegensätzlichen Bezug auf die altpersische oder
islamische Geschichte möchte der Restaurator Maziar Kazemi von der
Pasardagae Resaerch Foundation überwinden. "Iran hat den Islam angenommen
und mit alten Religionen gemischt, anders, als Mohammed es gesagt hat. Alt
und Neu haben fusioniert. Das braucht viel Zeit, eine lange Entwicklung und
die Bildung der Bevölkerung, damit sie die Bedeutung davon versteht", sagt
der Restaurator.
Hass auf "die Mullahs" oder Identitätsfragen fechten die Politikstudentin
Massudeh* nicht an. Sie sitzt mit ihrer Schwester auf einer Bank auf dem
großen Platz im Zentrum von Isfahan, einer alten Königsstadt zwischen
Teheran und Schiras. Hier befindet sich die weltberühmte Imam-Moschee.
Massudehs weit geschnittener grauer Mantel, der bis über die halbe Wade
reicht, und das Kopftuch, das gerade mal den Haaransatz freilässt, weisen
sie als eine gläubige junge Frau aus. Sie möchte, dass die
Demokratiedefizite, die mit der Revolution einhergingen, korrigiert werden,
wie es der reformorientierte Präsident Mohammed Chatami (1997-2005)
versuchte.
Was bedeuten ihr heute die Ereignisse von 1979, die sie nicht erlebt hat?
Sie sieht einen durchaus positiven Prozess: "Die Bewegung hat die
Generationen wieder zusammengeführt," sagt sie. "Unsere Eltern haben gegen
das Schah-Regime demonstriert, und wir demonstrieren heute gegen das
jetzige Regime." In den Familien sei nach den umstrittenen
Präsidentschaftswahlen vom 6. Juni viel darüber diskutiert worden, wie man
sich dazu verhalten und ob man auf die Straße gehen soll. Viele Familien
hätten sogar gemeinsam demonstriert, sagt Massudeh. Die Eltern seien
machmal auch deswegen mitgegangen, sagt sie, um auf ihre Kinder
aufzupassen.
An Kreuzungen stehen Polizeicontainer
Eine merkwürdige Zwischenzeit herrscht derzeit im Iran. Das Regime und
seine Anhänger sind noch da, aber auch die vielen Menschen, die immer
wieder demonstrieren und überrascht festgestellt haben, "wie viele wir
sind". Auf den Universitätsgeländen kommt es immer wieder zu Kundgebungen,
etwa anlässlich offizieller Aufmärsche wie dem Jerusalem-Tag, dem Jahrestag
der Besetzung der US-Botschaft in Teheran oder wie jetzt am höchsten
schiitischern Trauertag Aschura. Dann demonstriert die Opposition mit
Forderungen wie "Nieder mit der Diktatur". Im Straßenbild erinnert kaum
etwas an die Massenbewegung. Doch eine Hauptverkehrsader rund um das
Gebäude des staatlichen Fernsehens ist weiträumig abgesperrt. Das verstärkt
die allgegenwärtigen Staus. An großen Kreuzungen stehen die üblichen
weiß-blauen Polizeicontainer, in denen auch Sittenwächter sitzen. Ab und zu
guckt ein grünes Bändchen unter einem Ärmel hervor. Niemand weiß, wie es
weitergeht.
Dindscha Schahsadi, ein zoroastrischer Priester, gerade zu Besuch in
Teheran, schwärmt vom Interesse an der alten monotheistischen Religion, die
vor der arabischen Eroberung in der ganzen Region weit verbreitet war. "Ja,
viele kommen", antwortet er auf eine entsprechende Frage, "aber sie dürfen
sich nicht zu uns bekennen. Unsere Religion übt auch keinen Druck aus." Die
Zahl der Zoroastrier im Iran schätzt Schahsadi auf 25.000. Akbar* gehört zu
denjenen, die im Sommer mitdemonstriert haben. Der etwa 60-jährige
Selbständige sitzt bei einem Tee in einem Café-Restaurant in der Teheraner
Innenstadt. Junge Männer und Frauen an den Tischen drum herum sind in einem
lebhaften Gespräch. Auf einer Bank ist ein Pärchen heftig am Schmusen, halb
sitzend, halb liegend. Wandgemälde und Friese zeigen Figuren aus
archämenidischer Zeit. Klar, dass die Frauen mit Kopftuch hier ganz hinten
sitzen. Rauchen darf man hier auch.
"Wenn man den Islam ohne Todesstrafe verlassen könnte, wären morgen 90
Prozent der Iraner Zoroastrier", behauptet Akbar in dem ihm eigenen
Überschwang, gibt aber auf Nachfrage freimütig zu, dass das reichlich
übertrieben ist.
Akbar blickt optimistisch in die Zukunft. Die Demokratiebewegung, meint er
wie viele andere auch, sei nicht umkehrbar. Eine neue Revolution oder
Gewalt, auch da gibt es Übereinstimmung, lehnt er ab. Die Entwicklung zum
Regimwechsel müsse schrittweise erfolgen, betont Akbar. Bis das Regime weg
ist, werde es vielleicht noch ein oder andertalb Jahre dauern: "Unser Land
ist schwanger mit der Demokratie. Dieses Kind muss kommen. Wir warten
drauf."
*Alle Namen geändert
30 Dec 2009
## AUTOREN
Nora Nada
## TAGS
Reiseland Iran
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