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# taz.de -- Eisangeln: Einfach nur sitzen
> Stundenlang verharren finnische Männer in der Eiseskälte auf dem
> zugefrorenen See. Mit Genuss
Bild: Ein Eisangler bohrt sein Loch
Jukka wartet auf den Fisch. Und das seit Stunden. Er sitzt dick vermummt in
Thermokleidung auf dem zugefrorenen See und trotzdem finnischen Winterwind.
Der ist eisig, auch an einem sonnigen Tag wie diesem. Es ist Winter in
Ostfinnland, und die Hälfte aller Männer scheint draußen auf dem Saimaasee
zu sein. Eisfischen – Pilkki – ist Männersache. Sie alle starren wie Jukka
in ein kleines Loch in der Eisfläche. Jukka kennt seine Fische. Er weiß, wo
und wann man sie am besten fängt. Zielsicher hat er eine Stelle etwa 200
Meter vom Ufer angepeilt, seinen Klappstuhl aufgestellt, die Thermoskanne
mit heißem Kaffee in Stellung gebracht und mit seinem großen Eisbohrer ein
Loch in die Oberfläche getrieben. 50 Zentimeter dick ist das Eis, und
selbst Jukka, der als Besitzer einer „Outdoor company“ ziemlich
durchtrainiert ist, kommt ins Schwitzen. Aber sobald das Loch im Eis ist,
geht es ruhiger zu. Viel ruhiger.
Für die nächsten Stunden ist erst einmal nur Sitzen angesagt. Obwohl – der
eine oder andere Eisangler wechselt im Laufe des Tages dann doch einmal das
Angelloch, um an anderer Stelle des Sees ein neues Loch zu bohren. Ein
Mittel gegen Langeweile? „Nein, Langeweile gibt es beim Eislochangeln
nicht“, sagt Jukka mit dem Brustton der Überzeugung. Dass einige Angler ihr
Loch aufgeben und weiterziehen, habe fangtaktische Gründe, erklärt er. Wenn
man in der ersten halben Stunde an einem Loch nichts fange, stünden die
Aussichten dort generell schlecht: „Die Fische treten in Schwärmen auf, wo
du einen fängst, fängst du mehrere“, sagt er. Ein Blick auf Jukkas Fang,
der recht lieblos neben ihm auf der Eisfläche verstreut herumliegt, scheint
ihm recht zu geben. Dort liegt nach kurzer Zeit ein Dutzend Barsche. Doch
die sind so klein, dass ich mich trotz der großen Anzahl frage, was Jukka
damit macht. „Die werden in Brotteig eingebacken und als eine Art
„Fischtasche“ gegessen“, sagt er.
Mein Angelloch ist keine 20 Meter von Jukkas entfernt – und scheint leer zu
sein. Kein noch so kleiner Barsch will sich an der Made, die an meiner
Angel hängt, verschlucken. Auch Jukkas genaue Anweisungen – erst die
Angelschnur bis zum Seegrund ablassen, dann wieder einen halben Meter
zurück hochziehen und schließlich die Fische durch verführerische
Ruckbewegungen mit der Angel richtig hungrig manchen – bringen nicht den
gewünschten Erfolg. Nach einer Stunde bei minus zehn Grad bin ich total
durchgefroren und beginne so langsam den Spaß am Pilkki zu verlieren. Was
alles könnte man an diesem herrlichen Wintertag machen: Skilanglaufen,
Schneeschuhwandern oder mit den Schlittschuhen über den See brausen.
Hier bei Oravi, einer kleinen Ortschaft am Saimaasee, wird den ganzen
Winter über eine knapp 50 Kilometer lange Eisbahn auf dem See freigeräumt.
Die ist inzwischen so populär, dass Oravi im eislaufverrückten Holland zu
einem beliebten Winterreiseziel geworden ist. Etwas neidisch blicke ich auf
die Schlittschuhläufer, die nur 50 Meter von meinem Eisloch entfernt ihre
Bahnen ziehen. Ob das Schleifen ihrer Kufen die scheuen Fische verscheucht?
Offenbar nicht, denn Jukka meldet aus 20 Meter Entfernung seinen nächsten
Fangerfolg. „Ahven“, schreit er zu mir herüber – schon wieder ein Barsch.
Ich lege eine kleine Fangpause ein und wärme mich an meinem Kaffeebecher.
Jetzt aufstehen, die paar Minuten zum Ufer hinüber stapfen und dann ab in
die Sauna. Das wär’s.
Von meinem Angelplatz aus sehe ich sogar die drei Saunahäuschen, die zum
Ferienzentrum Järvisydän gehören. Eine eigene „Saunamaid“ haben sie da, …
ständig des Holz im Ofen am Brennen hält, während man selbst entspannt vor
sich hin schwitzt und sich nur darüber Gedanken machen muss, ob man lieber
in einer Rauchsauna, einer typischen finnischen Holzofensauna entspannen
möchte– oder nicht doch lieber gemütlich im 40 Grad warmen Wasser des
Hotpots sitzen will, um von dort aus den dämlichen Eisanglern auf dem
kalten See zuzusehen. Im Augenblick gehöre ich aber selbst zu den
„Dämlichen“ auf dem See und weiß, dass mich nur die Dämmerung retten kan…
„Im Winter sind die Fische nur bei Tageslicht aktiv“, hat mir Jukka vor dem
Aufbruch erklärt – und so begründet, warum wir zu den Ersten gehören
sollten, die am Morgen hinaus auf den See gehen. In der Dämmerung habe man
nur wenig Aussicht auf Angelerfolg. „Herr, lass Abend werden,“ schicke ich
ein Stoßgebet gen Himmel. Noch aber ist gerade mal Mittag, deswegen steht
jetzt eine zünftige Brotzeit auf dem Eis an. Wieder Kaffee, das
Lebenselexier der Finnen, und ein paar Wurstbrote. Und wieder scheint mir
das Ufer so verführerisch nah. War da nicht ein Restaurant? Eines, in dem
das Feuer im offenen Kamin flackert? Doch die Finnen haben ein anderes
Verhältnis zur Natur als verweichlichte Mitteleuropäer. Ein Ausflug auf den
zugefrorenen See und ein Picknick an einem Lagerfeuer im Freien gehören
auch bei Minusgraden zum normalen Wochenendprogramm.
Nach dem Mittagessen klappt es besser. Nein, nicht das Angeln. Aber ich
komme langsam in „Finnlandstimmung“. Und ich begreife: Den finnischen
Männern geht’s gar nicht ums Angeln. Sie wollen nur dasitzen, von niemandem
gestört werden und die Welt um sich herum vergessen. Und nach etwas
Anlaufzeit tauche auch ich aus der Realität ab. So lange, bis mich das
Rucken an der Angel aus meinen Träumen reißt.„ Ahven“, schreie ich zu Juk…
hinüber und halte stolz zehn Zentimeter Fisch in die Luft.
7 Jan 2010
## AUTOREN
Rasso Knoller
## TAGS
Reiseland Finnland
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