# taz.de -- Pro und Contra: Ist Käßmanns Afghanistankritik mutig? | |
> Pazifismus in Deutschland ist out. Kritische Stimmen wie Käßmann sind | |
> leider unpopulär, sagt Daniel Bax. Hingegen glaubt Jörg Sundermeier, die | |
> Bischöfin wisse nur zu gut, wie sie Moral verkaufen könne. | |
PRO | |
Pazifismus ist out. In den frühen 1980er-Jahren war das noch anders: Halb | |
Deutschland war damals eine Friedensbewegung, die gegen das atomare | |
Wettrüsten der beiden Supermächte auf die Straße ging und "Schwerter zu | |
Pflugscharen" schmieden wollte. "Peace"-Buttons waren überall, mit Udo | |
Lindenberg fragte man: "Wozu sind Kriege da?", und mit Nicole betete man | |
für ein bisschen Frieden. Nur der CDU-Politiker Heiner Geißler störte diese | |
traute Harmonie, als er im Bundestag die provozierende Behauptung | |
aufstellte, der Pazifismus der 1930er-Jahre habe Auschwitz "erst möglich" | |
gemacht. | |
Kurz zuvor hatten Otto Schily und Joschka Fischer in einem | |
Spiegel-Interview erklärt, durch den Nato-Nachrüstungsbeschluss drohe der | |
Welt ein "atomares Auschwitz". So war die Stimmung in Deutschland damals. | |
Spätestens aber, seit der gleiche Joschka Fischer als Außenminister die | |
deutsche Beteiligung am Kosovokrieg mit Auschwitz begründete, hat sich der | |
gesellschaftliche Wind gedreht. Gradmesser für diesen Wandel sind die | |
Grünen, die sich von friedensbewegten Wehrdienstverweigerern zur | |
kriegsführenden Regierungspartei mauserten. | |
Seitdem wirkt der Pazifismus in Deutschland, der auf so große Namen wie | |
Kurt Tucholsky, Käthe Kollwitz oder Heinrich Böll zurückblicken kann, etwas | |
einsam und heimatlos, und wer noch "Frieden schaffen ohne Waffen" fordert, | |
wird bestenfalls als naiv und blauäugig belächelt. So hat lediglich die | |
Linkspartei den Afghanistankrieg von Anfang an grundsätzlich abgelehnt. | |
Mutig ist es darum von Margot Käßmann, als Ratsvorsitzende der | |
evangelischen Kirche den Afghanistankrieg in klaren Worten kritisiert zu | |
haben. Die Reaktionen auf ihre Neujahrspredigt zeigen, wie unpopulär ihre | |
Meinung ist. Noch mutiger ist es von Käßmann, die Berechtigung von Kriegen | |
überhaupt in Zweifel zu ziehen und dabei auch der Gretchenfrage - war der | |
alliierte Krieg gegen Hitler alternativlos? - nicht auszuweichen. Denn | |
Heiner Geißlers provokantes Diktum von einst ist hierzulande längst zu | |
einem Glaubensdogma erstarrt, das nicht mehr hinterfragt wird. | |
DANIEL BAX ist Meinungsredakteur der taz | |
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CONTRA | |
Moral kostet nichts. Das weiß Bischöfin Margot Käßmann nur zu gut, Moral zu | |
verkaufen ist schließlich ihr Beruf. Und ihr Beruf ist es auch, alte Hüte | |
für neue auszugeben. "Sich selbst konfrontieren mit den großen Fragen des | |
Lebens, mit dem, was mein Leben in Frage stellt, das braucht Mut und | |
Vertrauen", so predigte sie beim Neujahrsgottesdienst in der Frauenkirche | |
Dresden. Und siehe: Sie fragte sich eine Frage. | |
Krieg ist schlimm, lautete sodann die Erkenntnis der Bischöfin, die einer | |
Kirche vorsitzt, die immer mal wieder gern Waffen einsegnete und zum | |
Kosovokrieg oder zum Somalia-Einsatz der Bundeswehr brav schwieg. Nun aber, | |
zu einem Zeitpunkt, da der Krieg in Afghanistan von allen Krieg genannt | |
wird, ermannt sich auch die EKD-Ratsvorsitzende Käßmann und nennt den Krieg | |
Krieg. Und mag ihn nicht. Wow. | |
Mutig ist daran nichts. "Nichts ist gut in Afghanistan", predigt sie, doch | |
wie jede und jeder weiß, ist das Pauschalurteil nicht nur billig, sondern | |
auch - und zwar in moralischer Hinsicht - falsch. Ja, in Afghanistan läuft | |
nicht nur nicht alles zum Besten, der Nato-Einsatz am Hindukusch läuft in | |
vielerlei Hinsicht falsch. Doch: es wurden bereits Fakten geschaffen, es | |
wurden Fronten gezogen, nun sind sie da. Es gibt dahinter kein Zurück. Auch | |
wenn es Frau Käßmann gern so hätte, es ist nicht mehr 2001. Und nachher ist | |
man immer schlauer. | |
Verließen die Nato-Streitkräfte das gepeinigte und auch sicherlich durch | |
den Nato-Einsatz gepeinigte Land nun ratzfatz, so ergäben sich dort | |
Zustände, die man mitverantworten muss. Und die die Taliban so oder so | |
herstellen wollten. Es ist zu fragen, was man will. Und wie man es | |
erreicht. Frau Käßmann glaubt an Gott, der ja bekanntlich genauso hilft wie | |
die Bekundung des guten Willens. Sie ist inkompetent und will gar nicht | |
kompetent sein. Sie sammelt ihre Schäfchen unter einer Parole, die gut | |
ankommt. Die Regierung muss das Statement ernst nehmen, es geht um | |
Wählerinnen und Wähler. Das ist das ganze Spektakel. Und nichts mehr | |
dahinter, auch keine höhere Wahrheit. | |
JÖRG SUNDERMEIER ist Journalist und Programmleiter des Verbrecher Verlags | |
8 Jan 2010 | |
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