# taz.de -- Anmelder der Luxemburg-Liebknecht-Demo im Porträt: Der Orthodoxe | |
> Klaus Meinel war Stasi-Major. Sein Sohn ein Neonazi. Am Sonntag ist | |
> Meinel wie jedes Jahr wieder Anmelder der | |
> Luxemburg-Liebknecht-Demonstration. | |
Bild: Grabstein von Rosa Luxemburg an der Gedenkstätte der Sozialisten in Frie… | |
Die Kekse hat Klaus Meinel nicht angerührt. Sie standen zwei Stunden lang | |
vor ihm, auf dem Tisch im Flur, die offene Schachtel schon halb leer. Er | |
hätte durchaus Lust auf Kekse gehabt. Aber er war sich nicht sicher, ob sie | |
den Freunden im Nebenbüro gehören. Und ob die es ihm erlauben würden, davon | |
zu essen. Anstand gehört zu Klaus Meinel. | |
Und deshalb wird dieser Sonntag für den 60-Jährigen wieder der schönste Tag | |
des Jahres. Wenn alles gut geht. Seit 1992 meldet Meinel die | |
Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin an, den Gang vom Frankfurter | |
Tor zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde am zweiten Sonntag | |
im Januar. In den letzten Jahren kamen je rund 10.000 Menschen, es ist die | |
wohl größte regelmäßige linke Demonstration in Deutschland. | |
Nicht nur für den Gedenkmarsch zeichnet Meinel mit seinem Namen. Seit der | |
Wende hat er über 120 Demonstrationen angemeldet. Seine Adresse wurde schon | |
tausendfach mit dem Vorsatz "V.i.S.d.P." auf Flyer und Plakate gedruckt. Er | |
wohnt seit Jahrzehnten in der Schlange, einem S-förmigen Gebäude am Platz | |
der Vereinten Nationen. 300 Meter lang, elf Stockwerke hoch, ein | |
Lehrbuch-Beispiel für sozialistischen Städtebau. | |
Doch dort wird gerade renoviert. Aber Klaus Meinel hat nicht nur ein | |
Zuhause. "Wir hätten uns auch am Mehringplatz treffen können oder im | |
Karl-Liebknecht-Haus", sagt Meinel. Schließlich hat er das Haus der | |
Demokratie als Treffpunkt vorgeschlagen, hier beteiligt er sich an Clof, | |
der Creative Lobby of Future. Zudem arbeitet er bei der Kommunistischen | |
Plattform der Linken mit. Auch wenn er in die Partei nie eintreten würde. | |
Sie ist ihm zu regierungsfixiert. Hartz IV im Bund ablehnen und als | |
Senatspartei auf Landesebene durchsetzen müssen, das gehe nicht, meint | |
Meinel. Er ist Mitglied der DKP. | |
Dass er Karl und Rosa kennen gelernt hat, ist lange her. Meinel spricht | |
immer von Karl und Rosa, manchmal von "dem Karl" und "der Rosa". | |
"Liebknecht" oder "Luxemburg" sagt er selten. Unter Genossen wird geduzt. | |
"Ich hatte das Glück, in der DDR zur Schule gegangen zu sein", sagt Meinel. | |
Deshalb habe er schon in der ersten Klasse von den ermordeten Anführern des | |
Spartakusbundes gehört. "Sie sind heute immer noch bessere Vorbilder als | |
ihre Mörder, die all die Jahre geschützt wurden." | |
Der Gedenkmarsch nach Friedrichsfelde am zweiten Sonntag im Januar gehörte | |
für ihn zum Jahr wie Weihnachten. "Es war Gewohnheit als DDR-Bürger", sagt | |
Meinel. Auch 1991, als das Gedenken erstmals nicht mehr staatlich | |
organisiert wurde, ging Meinel an die Gräber - mit Tausenden anderen. Hatte | |
er das erwartet? Meinel zögert. "Ich war auch ein bisschen überrascht", | |
sagt er. | |
Noch im gleichen Jahr plante der Bezirk Friedrichshain den Abriss des 19 | |
Meter hohen Lenin-Denkmals vor Meinels Haustür. Mit anderen gründete er | |
eine Bürgerinitiative dagegen. 1992 meldete zum Gedenktag erstmals eine | |
Demonstration vom Platz der Vereinten Nationen nach Friedrichsfelde an. | |
Eine LLL-Demo - Lenin war jetzt mit im Boot. In den Folgejahren wuchs die | |
Demonstration, schon 1995 war die Bürgerinitiative nicht mehr in der Lage, | |
den Auflagen der Polizei gerecht zu werden, und gründete ein breiteres | |
Bündnis aus Antifa-Gruppen und Linken. | |
Er habe erst einiges lernen müssen nach der Wende, sagt Meinel. Das mit den | |
zehn Stunden zum Beispiel. Bei der Vorbereitung eines Aufrufs zur Demo | |
gegen den Golfkrieg 1990 hätten sie einmal von sechs Uhr abends bis vier | |
Uhr morgens über den Text diskutiert. Dann las jemand noch einmal den | |
Vorschlag vor, den er abends vorgestellt hatte. Und er wurde abgenickt. | |
Anstrengend, aber interessant, sagt Meinel. Für ihn war der Pluralismus und | |
die Diskussionskultur in der Linken neu. | |
Meinel kommt aus dem Militär. Er war Major im DDR-Ministerium für | |
Staatssicherheit, Abteilung Terrorismusbekämpfung. "So etwas wie die GSG | |
9", sagt Meinel. Im MfS-Handbuch der Birthler-Behörde taucht er noch unter | |
Klaus-Peter Meinel auf, den Peter hat er nach der Wende hinter sich | |
gelassen. Noch 1989 bekam er die Leitung der Unterabteilung "Spezifische | |
Kampfkräfte" übertragen. Seine Aufgaben: "militärisch-operative Bekämpfung" | |
etwaiger terroristischer Anschläge in der DDR, Sicherung gesellschaftlicher | |
Großereignisse, Beteiligung am Schutz führender Repräsentanten von Staat | |
und Partei, Bewachung der Auslandsvertretungen der DDR sowie Durchführung | |
"spezifischer Kampfaufgaben" im Kriegsfall einschließlich der Ausführung | |
subversiver Akte gegen die Bundesrepublik. | |
Nach der Wende wurde er "Offizier für Terroranalyse" im Ost-Berliner | |
Innenministerium, jedoch noch vor der Wiedervereinigung entlassen. Er | |
schulte um zum Buchhalter, auch da muss man genau sein, das ist seine | |
Stärke. Als er das erste Mal arbeitslos wurde, ging er 1994 als Minenräumer | |
nach Mosambik. "Das ist wie jeder Beruf", sagt er. Und dann: "Man geht | |
davon aus, dass man es überlebt." Er blieb ein Jahr, das einzige, in dem | |
die LL-Demo ohne ihn stattfand. | |
Bei der Tageszeitung junge Welt, wo er anschließend Buchhalter war, | |
belächelten ihn einige junge Mitarbeiter als Stasi-Onkel. Schlampige | |
Spesenabrechnungen habe er, so ein ehemaliger Redakteur, mit dem Satz | |
zurückgegeben: "So was hätte es bei uns beim Militär nicht gegeben." Es sei | |
klar gewesen, dass Meinel auf der Seite des orthodox-linken | |
Geschäftsführers gestanden habe, als die Redaktion 1997 wegen des Streits | |
um die Ausrichtung streikte. | |
Die von den Streikenden gegründete Jungle World amüsierte sich dann auch | |
2002, als Meinels 20-jähriger Sohn als Mitglied der heute verbotenen | |
Neonazi-Kameradschaft Tor enttarnt wird. Der Sohn hatte Hakenkreuze | |
geschmiert - ausgerechnet auf der Route der LL-Demo. "Ja, es ist wahr, dass | |
er bei dieser Gruppe dabei war, ohne dass ich etwas davon wusste", sagt | |
Meinel. War? "Ich hoffe." | |
Er hat dem Sohn gedroht, den Kontakt abzubrechen, aber jetzt reden sie | |
wieder miteinander. "Ich hoffe, dass er ein vernünftiger Mensch wird und | |
kein Verbrecher." Man dürfe nicht aufhören Menschen überzeugen zu wollen. | |
Davon, dass am S-Bahn-Chaos nicht Herr Mehdorn schuld ist, sondern die | |
Privatisierung. Davon, dass an der Finanzkrise nicht die Manager und Banken | |
schuld sind, sondern das Wirtschaftssystem. Davon, dass Faschismus keine | |
Meinung ist, sondern ein Verbrechen. | |
Der Vorfall mit dem Sohn wiegt doppelt schwer. Denn hat der Geschichte | |
einen Knacks gegeben, die er so gerne erzählt. Sie handelt von seiner | |
Familie, die seit Generationen zu ihren Überzeugungen steht. Sein | |
Urgroßvater mütterlicherseits war Sozialdemokrat, sein Urgroßvater | |
väterlicherseits Kommunist, beide wurden als alte Männer von der Gestapo | |
verprügelt. | |
Die Geschichte gehörte auch zum Ersten, was Laura von Wimmersperg von ihm | |
hörte, als er sie nach Hause fuhr nach einer Vorbereitung für eine | |
Demonstration gegen den Golfkrieg. Laura von Wimmersperg hatte mit der | |
Berliner Friedenskoordination schon zahlreiche Protestzüge in West-Berlin | |
organisiert. Nun, nach dem Mauerfall, waren plötzlich viele neue Menschen | |
beim Vorbereitungstreffen, Meinel war einer davon. Er sagt, er habe viel | |
von Laura gelernt. Sie sagt, dass sie ihm vertraut. Mittlerweile haben die | |
beiden viele Demos gemeinsam organisiert, auch die gegen den Irakkrieg | |
2003, zu der eine halbe Million Menschen kamen. Von Wimmersperg sagt, sie | |
würde mit Meinel barfuß durch die Wüste gehen. Seine Stasi-Zeit spiele für | |
sie keine Rolle, "Klaus ist kein Verräter". Er wisse immer so gut, was zu | |
tun ist. | |
Ungeplante Eskalationen sind Meinels größte Sorge. Man müsse sich | |
absprechen und koordiniert handeln. "Ein Mann, ein Wort". Mit dieser | |
Disziplin habe man es in den letzten Jahren geschafft, dass es keine Gewalt | |
und keine Polizeiübergriffe bei der Demonstration gegeben habe. Meinel | |
hofft, dass das auch am Sonntag klappt. Als Demonstrationsanmelder wird er | |
dann immer auf der Höhe des ersten Transparents laufen. Es ist eine Auflage | |
der Polizei. Er kennt die Regel. Er wird sich daran halten. | |
8 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Luise Strothmann | |
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