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# taz.de -- Essaysammlung über Michael Jackson: Immer der Nase nach
> Wie erging es der Nase von Michael Jackson, nachdem sie sich von ihrem
> Besitzer getrennt hatte, um alleine die Welt zu erkunden? Nachzulesen im
> Essayband "The Resistible Demise of Michael Jackson".
Bild: Die Ikonisierung des King of Pop wird im Essayband kritisch untersucht.
Der Tod war sein größtes Comeback. Auf einmal wirkte Michael Jackson so
allgegenwärtig wie nie zuvor: auf den Titelseiten und im Internet, an der
Chartspitze und in den Sondersendungen. Dabei wurde meist Altbekanntes
widergekäut: unzählige, labyrinthisch verbundene Geschichten über den King
of Pop und Peter Pan, der alle fasziniert und abgestoßen hat.
Die bodenlose Medienarchitektur in Jacksons Namen und die perverse Freude
an seinem Kollaps hat nun der Kulturtheoretiker Alex Williams beschrieben.
Sein Aufsatz "Tabloid sublime" beschließt die Essaysammlung "The resistible
demise of Michael Jackson" - "Der aufhaltsame Niedergang von Michael
Jackson". Darin holen angloamerikanische Kritiker nach, was beim Rummel um
seinen Tod zu kurz kam, nämlich Jackson als Symptom unserer Zeit zu
analysieren. Diskurs statt Hype. Ein Feuerwerk aus anregenden Thesen als
Alternative zum Bilderstrom.
Der britische Autor Mark Fisher, Herausgeber der Essay-Sammlung und bekannt
als Theorieblogger k-punk, plädiert im Vorwort für eine bedachte und
beseelte Auseinandersetzung mit dem Phänomen - jenseits von rührseligen
Tributen und Skandalbiografien. 23 Kollegen, die wie Fisher in
Universitäten, Blogs und Musikmagazinen tätig sind, liefern Beiträge,
darunter der altgediente The-Wire-Autor David Stubbs und neue Stimmen wie
Tom Ewing vom Online-Magazin Pitchfork.
Aufschlussreich sind besonders die Essays im Spannungsfeld von Ökonomie und
Rassismus. Jacksons Tod fiel mit der Finanzkrise und dem Aufstieg Barack
Obamas zusammen. Fisher sieht darin das Ende einer Ära, die mit dem
Jackson-Album "Thriller" begann. Seinen Megaerfolg markiere den Übergang
vom Fordismus der Motown-Jahre zur immateriellen Arbeit im Neoliberalismus.
Der Literaturprofessor Joshua Clover greift die zentrale These des Buches
auf und schließt die materialistische Entwicklung von Pop über das Gleiten
des Moonwalk mit der Bankenkrise kurz. Schließlich stellt er den
hochverschuldeten Neverland-Bewohner US-Hausbesitzern gegenüber, deren
Besitz der Kreditblase zum Opfer gefallen ist.
Der Meinung von Kritikerdoyen Greil Marcus, Jackson habe dem Konsumwahn der
Gegenwart den Weg geebnet, widerspricht Steven Shaviro wiederum scharf.
Ferner kritisiert er den Rassismus im Jackson-Diskurs und betont
gleichzeitig dessen Einzigartigkeit: "Michael war eine Supernova; wir
liebten ihn, wir fanden seine Performances fast gottgleich - und dieses
,Wir' war eines der am meisten einschließenden ,Wirs' in der Geschichte der
Menschheit."
Jacksons kometenhafter Aufstieg in der Reagan-Ära war das Ergebnis der
Verflechtung seiner utopischen Strahlkraft mit den kapitalistischen
Werkzeugen der Massenkultur. Als globale Ikone verkörperte er die
Möglichkeit einer von Rassismus befreiten Welt. Das Gitarrensolo von Eddie
van Halen in "Beat It" riss die Schranken zwischen Schwarz und Weiß nieder.
"Dialectriff" tauft der Philosoph Suhail Malik diese Auflösung per
Powerchord.
Für Shaviro besteht Jacksons Einzigartigkeit darin, dass er zu einem Wert
für sich wurde, zu dem sich jeder in Beziehung setzen konnte. Jeremy
Gilbert von der Universität East London leitet das Paradox so ab: "In
seinem Versuch, jeder zu werden, wurde er niemand. Und aus niemand wurde
Pepsi."
"The resistible demise" vermeidet den Jargon des Kulturpessimismus. Die
Autoren haben ihre Marx, Adorno, Deleuze und Negri gelesen. Aber sie
bringen auch eine eigene Faszination für das Genie Jackson und die
Schönheit seiner Musik mit - und ein Detailwissen, das den Nerd im
Intellektuellen zum Vorschein bringt.
Wunderbar klingende Beschreibungen von Songs und Tanzbewegungen sind zu
lesen. Und aufrichtige Meinungen, die in brillante Thesen münden. Etwa wenn
Jackson in seiner messianischen Spätphase mit Nichtregierungsorganisationen
verglichen wird: Im Namen von Frieden und Humanismus bilden sie die Vorhut
für Kriege und Kapitalismus.
In anderen Beiträgen wird Michael Jackson durch ausufernde Denkbewegungen
in Beziehung zu James Brown, Elvis, Kleist, Andy Warhol oder Bollywood
gesetzt. Und es wird wild spekuliert. Was für Musik ihm der britische
Elektronik-VisionärAphex Twin wohl entlockt hätte? Und wie erging es der
Nase von Michael Jackson, nachdem sie sich von ihrem Besitzer getrennt
hatte, um alleine die Welt zu erkunden?
"The resistible demise" ist eines der besten Sachbücher über Pop seit
langem. Es wird seinem Gegenstand in Tragweite und Exzessivität in vollem
Umfang gerecht. Und es beantwortet zudem die Frage nach einem anderem Tod,
von dem in letzter Zeit oft die Rede war: dem Tod des Musikjournalismus.
Hier lebt er wieder auf, und mit ihm kommt die Fähigkeit zum Vorschein,
Leidenschaft mit Kritik zu verbinden und das Leben anhand eines Songs zu
erklären.
Mark Fisher (Hrsg.): "The Resistible Demise of Michael Jackson". O Books,
Ropley, 318 Seiten, 19,95 US-Dollar
12 Jan 2010
## AUTOREN
Uh-Young Kim
## TAGS
Michael Jackson
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