# taz.de -- Debatte Musikfeuilleton: Pop ist tot, es lebe der Pop | |
> Manche Enden sind endlos, Kritik, Ideologie, Postmoderne etc. sind im | |
> Feuilletondiskurs schon unzählige Male für tot erklärt worden. Jetzt war | |
> mal wieder der Pop dran. | |
Bild: Tocotronic-Lied- und Albumtitel: Pure Vernunft darf niemals siegen. | |
"Verfallsdatum abgelaufen. Die Ära des Pop ist vorbei", titelte zum | |
Jahreswechsel das SZ-Magazin, nur um Autoren wie Georg Diez ein bekanntes | |
Lamento abspulen zu lassen: Pop sei nicht mehr rebellisch, kritisch und | |
provokant, sondern Teil des Konsenses. | |
Abgesehen davon, dass hier kuriose Maximalforderungen vorgetragen werden, | |
fragt man sich, warum das am 31. 12. 2009 wahrer gewesen sein soll als etwa | |
2008, 1996 oder 1985. Wieso soll ausgerechnet 2009 das letzte Pulver | |
verschossen worden sein? Etwa nur, weil der King of Pop gestorben ist? | |
Die Popproduzenten machen eh trotzdem weiter, egal wie leer und redundant | |
der Popbegriff geworden ist. In den nächsten Wochen erscheinen zwei Alben, | |
auf denen Popkultur trotz der Abgesänge noch als so etwas wie ein Medium | |
für Dissidenz begriffen wird. Das neue Tocotronic-Album "Schall & Wahn" und | |
die neue Platte der Fehlfarben mit dem Titel "Glücksmaschinen". | |
Tocotronic und Fehlfarben stammen zwar aus unterschiedlichen Zeiten und | |
Szenen, doch artikulierten sie schon immer ein transzendentales | |
Nichteinverstandensein. Auch 2010 werfen sie unverdrossen eine Frage auf, | |
die in Zeiten inflationärer Facebookfreundschaften und einer kuscheligen | |
Emo-Popkultur in Vergessenheit zu geraten droht: Was ist eigentlich aus der | |
öffentlichen Feinderklärung geworden, wen oder was kann man noch legitim | |
scheiße finden? | |
Im Titelsong "Glücksmaschinen" singt der inzwischen 51-jährige | |
Fehlfarben-Sänger Peter Hein: "Du weißt, du sagtest immer "sie" / Du | |
kanntest sie, die Bösen / In ihren Häusern mit den scharfen Kanten / In | |
ihren hochmütigen Türmen / Doch noch davor, da waren es die, im Garten dort | |
im Grünen / Und jetzt sitzt du da, im eigenen Heim / Musst Kinder hüten … / | |
Wir leben, wir sind Glücksmaschinen / Wir sind noch lang nicht | |
ausgeschieden (…)". Der Feind steht hier überdeutlich vor uns, es ist der | |
Neobürger, der früher einmal "anders" sein wollte und nun das öde Leben | |
führt, das er nie leben wollte. Heins (imaginärer) Ex- Kumpel ist der | |
klassische Verräter alter Gegenkulturideale. | |
Während Hein gegen das Eigenheim polemisiert, wettert Tocotronic-Sänger | |
Dirk von Lowtzow gegen den Eigenbau. Auf der gerade erschienenen | |
Singleauskopplung "Macht es nicht selbst" appelliert er: "Was du auch | |
machst / Mach es nicht selbst / Auch wenn du dir den Weg verstellst / Was | |
du auch machst / Sei bitte schlau / Meide die Marke Eigenbau". Gemeint sind | |
die Bastler und Kreativitätsoptimisten, über die die Berliner | |
Stadtzeitschrift Zitty vor einigen Wochen titelte: "Selber machen, anders | |
machen, besser machen!" Weiter heißt es im Tocotronic-Text: "Heim- und | |
Netzwerkerei / Stehlen dir deine schöne Zeit / Wer zu viel selber macht / | |
Wird schließlich dumm / (Ausgenommen Selbstbefriedigung)". | |
Wie Fehlfarben verachten Tocotronic einen Privatismus, von dem Social | |
Networks und neoliberale Projektemacherei Manifestationen sind. Anders als | |
die meisten deutschen Bands schütten beide nicht irgendwelche | |
"authentischen" Befindlichkeiten aus - stattdessen bestehen sie darauf, | |
dass zu relevanter Popkultur Öffentlichkeit und Konflikt gehören. Aus | |
dieser Sicht ist der Rückzug ins "Eigene" nichts anderes als | |
harmoniesüchtige Idiotie. Wirklich am Ende wäre Pop erst, wenn er endgültig | |
zur subjektivistischen Geschmacksfrage würde. | |
Natürlich tragen sie ihre Attacken in unterschiedlichen Rhetoriken vor, | |
heroisch (Fehlfarben) und post-heroisch (Tocotronic). Hein überführt den | |
verbürgerlichten Feind des falschen Lebens im falschen und positioniert | |
sich selbst außerhalb der Verfallsbiografie. Von Lowtzow ist sich seiner | |
Sache nicht ganz so sicher; das "ihr", an das er appelliert, ist nicht der | |
korrumpierte Andere, sondern ein Teil der eigenen Subjektivität. | |
Schließlich glaubte man selbst einmal an die Verheißungen einer | |
selbstgebauten, unabhängigen (Indie-) Kultur. | |
Während Peter Hein und die Fehlfarben der heroischen Abgrenzungspraxis | |
klassischer Subkulturen folgen und die Erinnerung an die | |
konfrontationistischen Achtzigerjahre aufrufen, in denen man noch ein | |
überlegenes "Wir" gegen "Die" (Lehrer, Eltern, Popper?) in Stellung bringen | |
konnte, wissen Tocotronic um die eigene Verstrickung in den neuen Geist des | |
Kapitalismus. | |
Nicht zufällig heißt ein anderes Stück auf dem neuen Tocotronic-Album "Das | |
Blut an meinen Händen". Denn das öffentliche Popsubjekt lässt sich nicht | |
reinwaschen und in den Zustand nachhistorischer Unschuld verfrachten. Es | |
wagt etwas und begibt sich auf umkämpftes Terrain, denn nur wo Differenz | |
und Dissens sind, kann die Geschichte weitergehen. Diesen Kulturoptimismus | |
bekommt man auf den genannten Platten übrigens auch musikalisch spüren, | |
dazu wird noch mehr zu sagen sein. | |
13 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
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