# taz.de -- Kulturkampf der Journalisten: Die nächste Generation | |
> Kleiner, jünger, flexibler, onlineaffiner: Der Verein für freie | |
> Journalisten "Freischreiber" setzt sich klar von den großen | |
> Gewerkschaften ab - und lässt die Etablierten mitunter alt aussehen. | |
Bild: Die geringe Größe der Freischreiber macht sie flexibler. | |
Der Club Uebel & Gefährlich in St. Pauli, untergebracht im einem Bunker aus | |
dem Zweiten Weltkrieg, ist eine bundesweite Institution, hier gastieren | |
maßgebliche DJs und Independentbands. Journalisten sitzen dort | |
normalerweise nicht auf der Bühne. Dennoch hat der mit gerade mal 300 | |
Mitgliedern recht kleine Journalistenverband Freischreiber hier kürzlich | |
einen Leseabend veranstaltet, wie auch in Berlin, Köln und München. Solche | |
Lesungen dokumentieren auch die Wertigkeit von journalistischen Texten, | |
sagt der freie Autor Lars Reppesgaard ("Das Google-Imperium"), | |
Vorstandsmitglied der Freischreiber. | |
Dass sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), mit 39.000 Mitgliedern | |
die größte Journalistenorganisation Europas, im Uebel & Gefährlich | |
präsentiert, wäre hingegen schwer vorstellbar. Es würde kaum passen zu | |
einem Verband, der sich manchmal allzu staatstragend gibt. Nach dem letzten | |
Bundeskongress teilte der DJV mit: "Mit großer Mehrheit haben die | |
Delegierten des DJV-Verbandstags 2009 am heutigen Dienstag die ,Berliner | |
Erklärung zur Krise in den Medien' angenommen. | |
Darin drückt der Deutsche Journalisten-Verband seine Sorge aus, dass sich | |
,die Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Qualitätsjournalismus | |
weiter verschlechtern'." Abgesehen davon, dass dies eine euphemistische | |
Umschreibung der Lage ist, wirkt eines besonders seltsam: Ein Verband, der | |
Journalisten vertritt, pflegt einen Verlautbarungsjargon, den diese bei | |
Politikern kritisieren. | |
Die geringe Größe der Freischreiber bringt eine Flexibilität mit sich, die | |
dem DJV zwangsläufig fehlt. Innerhalb von zwei Stunden sei man in der Lage, | |
auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, sagt Reppesgaard. "Wer bei uns | |
mitmacht, kann schnell etwas anzetteln." Niemand muss einen mühseligen | |
Marsch durch die Gremien auf sich nehmen. Gelegentlich berichten | |
Medienseiten deutscher Zeitungen über Freischreiber-Aktivitäten - ein | |
Erfolg für den erst Ende 2008 formierten Verein. Die Gründer hatten das | |
Gefühl, dass der DJV und auch die andere große Gewerkschaft, die in der | |
breiteren Öffentlichkeit eher unauffällig agierende Deutsche | |
Journalisten-Union (dju), die Interessen Festangestellter besser vertraten | |
als die freier Journalisten. Dabei wird die eine Gruppe kleiner und die | |
andere immer größer. | |
Derzeit tobt ein kleiner Kulturkampf zwischen den ungleichen Verbänden, die | |
offiziell stets betonen, einander nicht als Konkurrenten zu betrachten. | |
"Wir empfinden die Umwälzung, die das Internet mit sich gebracht hat, nicht | |
als Problem", sagt Lars Reppesgaard. "Wir finden es gut, dass man heute | |
keine Druckerpresse mehr braucht, wenn man etwas publizieren will." Es sei | |
doch selbstverständlich, dass die Arbeit eines Journalistenverbandes auch | |
angetrieben sein müsse "von einem Interesse daran, wie sich Kommunikation | |
verändert". | |
So weit scheint man beim DJV noch nicht zu sein. "Bei Kollegen aus dem | |
Printbereich wird der Medienstrukturwandel als negativ wahrgenommen. | |
Mitglieder, die sich in einer Mischung aus Angst und Unwissenheit gegen den | |
Wandel sträuben und sich nur zähneknirschend mit dem Internet beschäftigen, | |
haben eine starke Lobby", sagt Thomas Mrazek, Leiter des Fachausschusses | |
Online. Unter solchen Voraussetzungen ist es für eine Gewerkschaft schwer, | |
den Medienwandel mitzugestalten. | |
Die Gemengelage ist komplex: Gewerkschaften haben eigentlich den Zweck, | |
Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen. Andererseits verschwimmen bei | |
Journalisten von jeher die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Eine | |
Entwicklung, die seit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke, auf die jeder | |
auf Eigenwerbung bedachte freie Journalist angewiesen ist, noch forciert | |
wurde. Er muss mehr arbeiten, obwohl er damit zumindest unmittelbar nichts | |
verdient. | |
2009 gab es einen kleinen Aufruhr im DJV, als einige internetaffine | |
Mitglieder einen kritischen Beitrag des DJV-Vorsitzende Michael Konken zum | |
Thema Google als derart weltfremd empfanden, dass sie mit großer Geste | |
ihren Austritt erklärten. "Die Polarisierung" zwischen den Fürsprechern der | |
sogenannten Holzmedien und deren Widersachern aus dem Netz sowie "die | |
unbegründete Arroganz auf beiden Seiten blockieren uns", sagt Ulrike | |
Kaiser, die stellvertretende DJV-Vorsitzende. Sie rät auch aus historischen | |
Gründen zu mehr Gelassenheit: "Solche Animositäten hat es immer gegeben. | |
Als das Fernsehen aufkam, prophezeiten einige Hörfunker den Untergang des | |
Abendlandes, andere etablierte Radioleute fanden Gefallen an dem neuen | |
Medium." | |
Allerdings hat sich der digitale Strukturwandel stärker als bisherige | |
medienhistorische Brüche auf das Berufsbild ausgewirkt. Ob ein Journalist | |
nun vernetzt ist mit ganz gewöhnlichen Mediennutzern und von ihnen | |
profitieren kann, aber auch mit ihnen konkurrieren muss, oder ob ein | |
Journalist angesichts von sinkenden Honoraren und Zeitschriftensterben zu | |
Nebentätigkeiten in der PR gezwungen ist - das sind nur zwei | |
Einzelphänomene einer längst noch nicht abgeschlossenen Entwicklung. | |
Angesichts dieses Wandels betrachten es die Freischreiber als Teil ihrer | |
Arbeit, "über die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen nachzudenken". | |
Reizvoll findet der junge Verband etwa die Idee, dass sich Journalisten von | |
den Verlagen emanzipieren. Theoretisch ist das möglich, die technischen | |
Voraussetzungen sind längst vorhanden. Ob sich auf diese Weise in | |
nennenswertem Umfang Geld verdienen lässt, ist indes ungewiss. | |
Einer der Ausgangspunkte für solche Gedankenspiele ist die Frage, warum man | |
sich eigentlich alles gefallen lassen soll von Verlagsmanagern, die vor | |
Gesellschafterfamilien und Aktionären auf die Knie gehen und denen | |
Qualitätsjournalismus eigentlich wurscht ist - sooft sie den Begriff auch | |
verwenden, wenn sie in Sonntagsreden die Bedeutung von Zeitungen für die | |
Demokratie preisen und gegen Google oder die iPhone-App der "Tagesschau" | |
wüten. | |
Der Journalist als verlegerähnlicher Kleinunternehmer in eigener Sache - in | |
deutschen Medienblogs klingen entsprechende Plädoyers leider noch oft wie | |
FDP-Propaganda. Das hierzulande noch relativ neue Thema "entrepreneurial | |
journalism" soll Ende 2010 Schwerpunkt eines Freischreiberkongresses sein. | |
Journalisten, die diesen Weg gingen, hätten mit der Klientel einer | |
klassischen Gewerkschaft dann gar nichts mehr gemein, denn Unternehmer | |
haben dort eigentlich nichts verloren. | |
Die Freischreiber widerlegen en passant den weit verbreiteten Eindruck, | |
dass ehrenamtliches Engagement bei Jüngeren out sei. Eine Mittvierzigerin | |
sagt: "Ich bin da schon fast die Oma." Der DJV leidet dagegen unter | |
Überalterung. Wer kurz vor oder hinter dem Ende des Berufslebens steht, ist | |
zwangsläufig weniger nah dran an neuen Entwicklungen. Letztlich sei der DJV | |
von "einem gesamtgesellschaftlichen Problem" betroffen, sagt die Fotografin | |
Heike Rost, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands | |
Rheinland-Pfalz. Nahezu allen Berufs- und Wirtschaftsverbänden fehle es an | |
Nachwuchs, in den Gremien sei kaum jemand unter 35. | |
Freischreiber als Blaupause? | |
Die Auseinandersetzungen zwischen DJV und Freischeibern könnten sich auf | |
ähnliche Weise wiederholen. Zum einen weil nach der Musikindustrie und dem | |
Journalismus auch andere Branchen die Folgen des digitalen Strukturwandels | |
noch ähnlich stark zu spüren bekommen werden. Zum anderen weil es immer | |
weniger feste Jobs und immer neue Spezialberufe geben wird. Damit wächst | |
auch ein Potenzial für kleine, flexible Interessenvertretungen, die die | |
entstehenden Bedürfnisse möglicherweise besser abdecken als die großen | |
Berufsverbände mit ihrer relativ heterogenen Klientel. Reppesgaard hofft | |
insgeheim, dass die Freischreiber eine "Blaupause" sein können für andere | |
relativ neue Berufsgruppen, die bisher schlecht organisiert sind, etwa | |
IT-Freiberufler. | |
Abgesehen davon, dass sich ihr Überbau unterscheidet, gibt es mittlerweile | |
auch in der Praxis handfeste Auseinandersetzungen zwischen dem alten und | |
dem jungen Verband. So protestieren die Freischreiber gegen die | |
Honorarregelungen, die der DJV und die dju gerade für freie | |
Tageszeitungsjournalisten ausgehandelt haben. Die Traditionsverbände halten | |
sie für angemessen, die Freischreiber kritisieren, durch die Vereinbarung | |
würden unhaltbare Zustände quasi festgeschrieben. "Es ist nicht fair, wenn | |
ein freier Journalist pro Tag so viel verdient wie ein Handwerker oder ein | |
Redakteur in ein, zwei Stunden", argumentiert Mitglied Wolfgang Michal im | |
Blog der Freischreiber. | |
Die Organisation hat nun eine Internetpetition initiiert, deren | |
Unterzeichner die Vorstände der großen Gewerkschaften auffordern, die | |
Tarifvereinbarungen nicht abzusegnen. Die dju hat dies dennoch getan. Am | |
Montag fällt nun der DJV-Bundesvorstand eine Entscheidung. Sie wird auch | |
Aufschluss darüber geben, wie stark der Einfluss der Freischreiber | |
mittlerweile ist. | |
Der Autor ist DJV-Mitglied | |
15 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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