# taz.de -- Feministinnen und Rechte: Ungebrochene Selbstidealisierung | |
> Beispiel Minarettverbot: Wie kommt es, dass Feministinnen mit den Rechten | |
> koalieren? Eine Kritik des kolonialen Feminismus. | |
Bild: Das Minarettverbot brachte Schweizer Feministinnen und die rechtspopulist… | |
Immer häufiger machen Feministinnen mit Rechten gemeinsame Sache. So | |
kämpfte Julia Onken, eine der bekanntesten Feministinnen der Schweiz, | |
gemeinsam mit der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei erfolgreich | |
für das Minarettverbot. Alice Schwarzer zeigt viel Verständnis dafür, | |
drückt sich in dieser Abstimmung doch ihrer Meinung nach das ganze | |
Unbehagen an einem emanzipations- und demokratiefeindlichen Islam aus. | |
Ebenso war sie voll des Lobes für Ayaan Hirsi Ali, die niederländische | |
Feministin aus Somalia, die, kaum dass sie ihre antiislamischen Positionen | |
öffentlich gemacht hatte, von der rechtsliberalen Partei VVD (Volkspartij | |
voor Vrijheid en Democratie) zur Kandidatur aufgefordert wurde und diese | |
mehrere Jahre als Abgeordnete im niederländischen Parlament vertrat. | |
Feministinnen müssten inzwischen auch mit den Rechten koalieren, so | |
argumentierte kürzlich die Publizistin Halina Bendkowski in einer | |
Radiodiskussion im rbb, da die Linken sich aus Angst vor den Muslimen nicht | |
mehr trauten, sich für die Gleichberechtigung der Frauen einzusetzen. | |
Früher gab es eine eher selbstverständliche Affinität zwischen Linken und | |
Feministinnen, auch wenn diese oft genug den männlichen Chauvinismus in der | |
Linken anzuklagen hatten. Dennoch schien der Kampf für Gleichheit und | |
Gerechtigkeit sie miteinander zu verbinden. Selbst als der Begriff "links" | |
zunehmend problematisch wurde, war man sich doch zumindest darin einig, was | |
man nicht sein wollte, nämlich rechts. | |
Allerdings gab es auch schon früher chauvinistische Tendenzen innerhalb der | |
Frauenbewegung, indem andere Gruppierungen mithilfe des | |
Patriarchatsvorwurfs diskreditiert wurden. In den 1970er-Jahren richtet er | |
sich vor allem gegen die Juden. Ihnen wurde vorgeworfen, einem archaisch | |
verwurzelten Patriarchat verhaftet zu sein, und unter anderem auch, den | |
sexuellen Missbrauch von Kindern zu legitimieren ("Das bestgehütete | |
Geheimnis"). Dass Jüdinnen Feministinnen sein konnten, war unvorstellbar. | |
Dem gegenüber war, wie Franz Alt in seinem damaligen Bestseller titelte, | |
"Jesus, der neue Mann". | |
Kaum zwei Jahrzehnte später waren es die Ostfrauen, so wussten westdeutsche | |
Feministinnen angesichts des Vereinigung zu klagen, die die Frauenbewegung | |
um zwanzig Jahre zurückwarfen, weil sie noch nie für ihre Rechte gekämpft | |
und noch nie etwas von sexistischer Gewalt oder von einem | |
geschlechtersensiblen Sprachgebrauch gehört hätten. Spätestens seitdem die | |
erste Bundeskanzlerin eine ostdeutsche Frau ist, ist auch diese Klage | |
verstummt. | |
Nun sind es die Muslime, die den Prototyp des Unterdrückers zu geben haben. | |
Das wird jedoch wohl kaum eine Episode bleiben, können sich diese | |
Feministinnen doch auf einen breiten Konsens in der Gesellschaft und auf | |
mächtige Stimmen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern, national | |
wie international, stützen. So werden allenthalben der Mut und das | |
Engagement von Necla Kelek und Seyran Ates gelobt, die sich unerschrocken | |
über Tabus hinwegsetzten und für die unterdrückten Musliminnen kämpften. | |
Ja, es ist eine gute Sache, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Das | |
Problem beginnt dann, wenn die Unterdrückung von Frauen untrennbar mit | |
einer bestimmten Kultur, wahlweise auch einer bestimmten Religion oder | |
Tradition verknüpft wird. Patriarchat und Kultur beziehungsweise Religion | |
oder Tradition sind dann nicht mehr jeweils eigenständige Größen, die in | |
Wechselwirkung miteinander treten, sondern miteinander verschmelzen, sodass | |
man schließlich die ganze Kultur beziehungsweise Religion infrage stellen | |
muss, will man sich für Frauenrechte einsetzen. Nach dieser Logik müsste | |
man auch unverzüglich das Christentum abschaffen. Das Problem jedoch wäre | |
dann, dass im Zweifel nur noch der Säkularismus übrig bliebe, der jedoch | |
genauso patriarchal ist, hat er doch mit der Biologisierung der | |
Geschlechterunterschiede die Grundlage für tief greifende Formen der | |
Frauenunterdrückung gelegt. | |
Die Verschmelzung von unterschiedlichsten Einflussgrößen erlaubt es nun, | |
alle möglichen Probleme auf eine Ursache zurückzuführen: Ob es um Gewalt | |
gegen Frauen geht, um die Kriminalität von Jugendlichen, um politische | |
Radikalisierung oder überhaupt um die Einstellung zu Erziehung und Bildung, | |
um Arbeitsmotivation und das gesamte Freizeitverhalten, alles wird, glaubt | |
man Autorinnen wie Kelek oder Ates, durch "die" Kultur bestimmt. Ebenso | |
schweifen sie mit ihren Gedanken frei durch die ganze Welt und greifen all | |
die Grausamkeiten auf, über die gerade aktuell berichtet wird, um sie als | |
Anzeichen des drohenden Scheiterns eines multikulturellen Zusammenlebens in | |
Deutschland heranzuziehen. Zurück bleibt das Bild einer diffusen, überall | |
lauernden Macht, die uns ständig bedroht und die nur durch entschlossenes | |
Zurückdrängen und Überwachung in Zaum gehalten werden kann. | |
Differenz wird hier mit Hass und Feindseligkeit aufgeladen. Mit dieser | |
Essenzialisierung von Differenz und ihrer Dämonisierung durch die Exotik | |
der Grausamkeit wird ein nüchterner Blick auf ihre möglicherweise | |
produktiven wie problematischen Aspekte gar nicht erst zugelassen, sondern | |
man versucht, das Andere auszustoßen oder unter Kontrolle zu bringen. Aus | |
diesem Grunde geht es in erster Linie um repressive Maßnahmen wie das | |
Kopftuchverbot, Einwanderungsbeschränkungen und Gesinnungsprüfungen in Form | |
des sogenannten Muslimtests. | |
Was die längerfristigen Strategien betrifft, gibt es im Grundsatz jedoch | |
unterschiedliche Positionen: Die eher Gemäßigten setzen auf eine Reform des | |
Islam, was aber angesichts der ständigen Vermengung von Traditionen und | |
Kulturen mit der Religion und angesichts der weitgehenden Negierung aller | |
anderen gesellschaftlichen Einflussgrößen von sehr begrenztem Wert sein | |
dürfte. | |
Militanter hingegen gibt sich etwa Necla Kelek. Sie hält "den" Islam nicht | |
für reformfähig und möchte ihn insgesamt zugunsten des Christentums | |
abschaffen. Denn während "das Alte Testament und der Koran", so Kelek, | |
"Geschichten von Blut und Gewalt erzählen, ist das Neue Testament eine | |
Botschaft der Liebe und Hoffnung". | |
Diejenigen, die angesichts der "Kriminalgeschichte des Christentums" | |
Zweifel an dieser Lesart haben, wenden sich dann doch eher einer | |
säkularistischen Position zu, die alle Religionen als patriarchal | |
verurteilt und in ihrem Einfluss auf ein Minimum reduziert sehen möchte. | |
Religion wird als wesentlich vormodern begriffen, als etwas, was es mit dem | |
menschlichen Fortschritt zu überwinden gilt. Zumindest sollte sie in die | |
Verborgenheit des Privaten zurückgedrängt werden, um die "Neutralität" der | |
Öffentlichkeit nicht zu unterlaufen. Nach dieser Logik hat sogar das | |
Minarettverbot einen Sinn, vorausgesetzt, die christlichen Kirchen zählen | |
nicht. Und das ist in der säkularen Argumentation sehr häufig der Fall, | |
denn es werden nicht nur die Kirchtürme "übersehen", sondern die | |
Durchdringung des gesamten öffentlichen Lebens mit christlichem | |
Traditionen. Selbst wenn, wie viele Säkularisten fordern, der christliche | |
Religionsunterricht in den Schulen oder die Steuerbegünstigung der Kirchen | |
abgeschafft würde, wäre noch lange nicht die kulturelle Dominanz des | |
Christentums in dieser Gesellschaft infrage gestellt. Denn die Kirchen | |
beanspruchen heute mehr denn je Autorität in Sachen Ethik und Moral. Gerade | |
weil sie aus dem politischen Tagesgeschäft verdrängt wurden, konnten sie | |
nun umso besser eine besondere Moralkompetenz beanspruchen. Davon hat sich | |
auch die große Mehrheit der Deutschen - einschließlich der säkularen und | |
ungläubigen - überzeugen lassen. | |
Aufgrund dieser eminent christlichen Prägung unserer Gesellschaft müsste es | |
hier auch mit der Frauenbefreiung schlecht aussehen, wenn man eine | |
Identität von Religion und Patriarchat unterstellt. Deshalb setzen die | |
Säkularisten auch vor allem auf die emanzipatorische Kraft von Aufklärung | |
und Moderne. Allerdings müssten informierte und kritische Menschen heute | |
wissen, dass die Aufklärung nicht nur den Ausgang "des" Menschen aus seiner | |
selbst verschuldeten Unmündigkeit beschert hat, sondern auch die | |
Entmündigung von Frauen, Sklaven und Besitzlosen. Sie hat diese | |
Machtverhältnisse fortgeführt, teilweise verschärft und vor allem neu | |
legitimiert. Mit der Aufklärung wurde die Vernunft zum Maßstab von | |
Menschenwürde und politischen Rechten, wer aber als vernünftig zu gelten | |
hatte, das entschied die Wissenschaft. Dabei war die Erfindung des | |
physiologischen Schwachsinns des Weibes ebenso wie die Hierarchisierung von | |
Menschen mithilfe ihrer Hautpigmentierung eine der bezeichnenden Produkte | |
dieser "aufgeklärten" Wissenschaft. | |
Es muss wohl vorsätzliche Naivität angenommen werden, wenn die Geschichte | |
Europas ausschließlich als eine von Demokratie und Menschenrechten erzählt | |
wird, und das in einem Land, in dem noch vor gut 70 Jahren die Mehrheit der | |
Menschen aller Bildungsstufen davon überzeugt war, dass man das Jüdischsein | |
an der Nase ablesen könnte und es als Zeichen persönlicher Verworfenheit | |
und politischer Allmacht interpretieren müsste. | |
Wenn dies höchst zwiespältige europäische und deutsche Erbe nicht | |
angenommen wird und man in einseitiger Selbstidealisierung verharrt, führt | |
man letztlich den alten Machtanspruch fort. Adorno sagt dazu: "Nicht selten | |
verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen | |
Chauvinismus. Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten | |
Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen | |
Herrschaftsanspruch." | |
Man benützt also nicht mehr so sehr das Argument "rassischer" | |
Überlegenheit, sondern stützt sich vielmehr auf die zivilisatorische | |
Funktion des Westens. Teil dieser "zivilisatorischen Mission" war jedoch | |
auch schon zu Zeiten des Kolonialismus das Bestreben, "die unterdrückte | |
Muslimin" zu befreien, was Leila Ahmed von einem "kolonialen Feminismus" | |
sprechen lässt. Wer jedoch zögert, die Machtanmaßungen des Kolonialismus | |
mit Feminismus zusammen zu denken, der sollte wissen, dass auch im | |
Nationalsozialismus Frauen ihre "rassische" Überlegenheit mit ihrem Einsatz | |
für die Gleichstellung von Mann und Frauen begründeten. So formulierte etwa | |
Sophie Rogge-Börner in der Zeitschrift Die deutsche Kämpferin, dass man | |
gemeinsam mit den arischen Rassegenossen gegen das "orientalisch-jüdische | |
Patriarchat" kämpfen sollte, weil dies die ursprüngliche, germanische | |
Gleichstellung der Frau zerstört habe. | |
Der Einsatz für Frauenrechte und der Kampf um Hegemonie sind also nicht per | |
se Antagonismen. So ist es auch in anderen Bereichen gängige Münze | |
geworden, die eigene Suprematie mit dem Einsatz für Menschenrechte zu | |
begründen. Nicht nur wurde der Einmarsch in den Irak mit dem Kampf um | |
Demokratie begründet, sondern ebenso die Forderung nach Ausweisung von | |
Muslimen aus Holland im Namen des Kampfs um die gesellschaftliche | |
Anerkennung und Gleichberechtigung von Homosexuellen. | |
Insofern ist wohl auch die Affinität des antimuslimischen Feminismus mit | |
rechten Strömungen nicht ganz zufällig. Sie kann wohl kaum nur als eine | |
"Notlösung" verstanden werden, die in erster Linie der "Feigheit" der | |
Linken anzulasten sei, vielmehr scheint es argumentative Konkordanzen zu | |
geben, die neue politische Konstellationen hervorbringen. Zu diesen | |
Konkordanzen gehört eine ungebrochene Selbstidealisierung, die auch den | |
Stolz auf das Deutschsein gern pflegt. Ebenso gehört dazu, dass eine | |
differenzierte Analyse durch Polemik ersetzt wird und Ängste und | |
Verschwörungstheorien geschürt werden. Je größer und unheimlicher der Feind | |
gezeichnet wird, desto mehr sind aufrechte Volksgenossen gemeinsam mit der | |
Vorhut der KämpferInnen für die westliche Zivilisation aufgerufen, gegen | |
die anstürmenden Feindesheere in Stellung zu gehen und das bedrohte | |
Volk/die bedrohte Kultur zu schützen. | |
Angesichts der Tatsache, dass laut Allensbach 83 Prozent der Bevölkerung | |
den Islam mit Fanatismus und Radikalismus assoziieren, während sie zu 80 | |
Prozent das Christentum als eine Religion der Nächstenliebe und der | |
Menschenrechte (71 Prozent) ansehen, scheint sich dies manichäische Denken | |
weitgehend durchgesetzt zu haben. | |
18 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Birgit Rommelspacher | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |